Fast jeder vierte junge Polizist in NRW bricht Ausbildung ab

Düsseldorf/Bielefeld. Der Moment geht unter die Haut: Jedes Jahr im Frühling vereidigt das Land NRW seine Kommissaranwärterinnen und -anwärter. Während der feierlichen Veranstaltung schmeißen die angehenden Polizisten ihre Mützen in die Luft und stimmen sich so auf eine gemeinsame Zukunft ein. Ein Hauch von Hollywood. Doch jede vierte Mütze fliegt umsonst. 25 Prozent schließen das Studium nicht ab. Das hat Gründe. Im Jahr 2021 hatten 2.674 Anwärter ihr Studium bei der Polizei in NRW begonnen - nur 1.983 schlossen es in diesem Jahr ab. &bdquo;Jeder Vierte wird den Dienst nie erreichen“, sagt Michael Mertens. Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW betrachtet die Situation durchaus differenziert. Es sei ein riesiger Erfolg, dass das Land seit 2023 jedes Jahr 3.000 neue Kommissaranwärter einstelle. &bdquo;Diese Zahl wäre vor Jahren noch undenkbar gewesen“, lobt Mertens. Aber: &bdquo;Es bringt wenig, wenn sich Innenminister Reul für diese Zahl feiern lässt - letztlich aber viel weniger Polizisten ihre Ausbildung auch tatsächlich beenden.“ Laut Mertens ist die Abbrecherquote inzwischen so hoch wie nie. &bdquo;Wir waren damals schon aufgeschreckt, wenn sie zweistellig war. Inzwischen liegt sie bei 25 Prozent - und wir fürchten, dass sie weiter steigen wird.“ Wie die &bdquo;WAZ“ berichtet, sollen aus dem Jahrgang 2022 bereits fast 500 Anwärter abgebrochen haben und aus dem Jahrgang 2023 schon mehr als 170. In OWL haben 39 Anwärter ihr Polizeistudium vorzeitig abgebrochen In der Region OWL ist die Quote etwas niedriger. Dort haben im Einstellungsjahrgang 2021 insgesamt 226 Kommissaranwärter das Studium begonnen - und 187 haben es in diesem Jahr abgeschlossen. 39 sind also vorzeitig ausgeschieden, teilt die zuständige Bielefelder Polizei mit. Das heißt: Diese jungen Menschen haben zwar zu Beginn den Eignungstest bestanden, jedoch nicht die Abschlussprüfung erfolgreich absolviert, die drei Jahre später, am Ende des Studiums, ansteht. Mertens macht dafür mehrere Gründe aus. Die Rahmenbedingungen seien dafür ausgelegt, um 2.500 junge Menschen angemessen ausbilden zu können, nicht aber 3.000. Sprich: Es fehle an Räumen, Dozenten, Geld und Zeit. &bdquo;Immer mehr Anwärter brechen aus eigenem Interesse frustriert ab, weil sie sagen: So habe ich mir das nicht vorgestellt; ich werde hier nicht gut vorbereitet“, berichtet Mertens. Deutliche Kritik kommt von der FDP. &bdquo;Ein Polizei-Nachwuchs, der schon in der Ausbildung auf überfüllte Klassen, unzureichend betreute Kurse und eine völlig unterdimensionierte Ausstattung stößt, wird von einer Landesregierung im Stich gelassen, die für ihre Versäumnisse Verantwortung tragen muss“, sagt der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Marc Lürbke aus Paderborn. Die Abbrecherquote sei &bdquo;alarmierend“. Innenminister Reul: Wer Polizist werden möchte, muss einiges leisten Es reicht laut Lürbke nicht, &bdquo;wenn sich der Innenminister im Licht der hohen Einstellungszahlen sonnen will, aber gleichzeitig seine Hausaufgaben bei der Verstärkung der Ausbildungsqualität sträflich vernachlässigt. Herbert Reul wird immer mehr zum Meister der Augenwischerei.“ NRW könne es sich nicht leisten, jedes Jahr über 700 Polizeianwärter zu verlieren. Reul weist die Kritik zurück. &bdquo;Wer Polizist werden möchte, muss einiges leisten. Deshalb fühlen wir den Bewerbern vor Einstellung und während des Studiums ordentlich auf den Zahn“, sagt der Minister gegenüber dieser Redaktion. &bdquo;Dass es Leute gibt, die im Studium merken, dass der Polizeiberuf nichts für sie ist, ist normal. Damit rechnen wir.“ Ein Job bei der Polizei sei nicht wie jeder andere, so Reul weiter. Polizisten hätten das Gewaltmonopol des Staates, seien bewaffnet und könnten in die Grundrechte eingreifen. &bdquo;Gerade deshalb ist es wichtig, genau hinzuschauen, wer das Zeug dazu hat. Die Ausbildung ist anspruchsvoll und soll das auch bleiben. Unsere Ausbilder sind mit viel Herzblut dabei und nehmen die Leute ab Tag eins an die Hand.“ Reuls Ministerium weist zudem darauf hin, dass es auch in allen anderen Studiengängen zu vorzeitigen Abbrüchen kommt. Die Gründe bei der Polizei seien &bdquo;vielfältig“ und reichten insbesondere von nicht bestandenen Prüfungen über gesundheitliche Gründe bis hin zu der Tatsache, dass der &bdquo;ein oder andere“ während der Ausbildung erkenne, dass der Beruf des Polizisten anders sei, als er oder sie sich dies vorher vorgestellt habe. Die Landesregierung habe gemeinsam mit der Hochschule für Polizei und öffentlichen Verwaltung bereits Hilfsangebote entwickelt, teilt das Ministerium mit. Dazu zählen ergänzende Lehrveranstaltungen für Prüflinge, die in der ersten Klausur durchgefallen sind, kleinere Lerngruppen, verpflichtende Onlinekurse für Studierende mit mangelnden Deutsch-Kenntnissen, sowie die Einrichtung von Jahrgangsbetreuern. Die Anwärter müssen zudem jährlich das Sportabzeichen oder das Polizeileistungsabzeichen ablegen, um die sportliche Leistungsfähigkeit kontinuierlich zu verbessern. Das Ministerium prognostiziert, dass das Personal, welches den Kreispolizeibehörden künftig zur Verfügung stehen wird, in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter jährlich &bdquo;kontinuierlich“ gesteigert werden kann. Das ist auch in den Augen der GdP die entscheidende Bezugsgröße: &bdquo;Es kommt nicht darauf an, wie viele Mützen bei der Vereidigung fliegen, sondern wie viele letztlich im Streifenwagen sind“, sagt Mertens.

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