Bielefeld/Bünde. In Deutschland gibt es einen weitgehend unbekannten Killer, der jedes Jahr mindestens 85.000 Menschen das Leben kostet. Sepsis, im Volksmund auch als Blutvergiftung bekannt, zählt damit zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. Und das, obwohl viele dieser Todesfälle vermeidbar wären, da Sepsis bei frühzeitiger Diagnose gut behandelt werden kann.
Trotzdem ist über die lebensbedrohliche Erkrankung, die unbehandelt immer tödlich endet, nicht viel bekannt und wird auch von Ärzten häufig übersehen. Zum Welt-Sepsis-Tag am 13. September machen jedes Jahr Betroffene auf die Missstände aufmerksam. Die Bünderin Lara Janke und der Bielefelder Georg Winterling zeigen, wie die Erkrankung ihre Leben für immer verändert hat.
Es ist Neujahr 2023, als die vierjährige Emily Janke nach einer tagelangen Odyssee im Klinikum Herford stirbt. Ein Jahr nach ihrem Tod zeigt ein erstes Gutachten nach der Obduktion, dass das Mädchen an einer Blutvergiftung litt.
Ernst der Lage in Notaufnahme und Arztpraxen nicht erkannt
Doch den Ernst der Lage erkannte niemand rechtzeitig, denn Lara Janke wird mit ihrer schwerkranken Tochter in den Tagen zuvor mehrfach aus Kinderarztpraxen und der Notaufnahme des Klinikums wieder nach Hause geschickt. Ein Gutachten, das die Eltern in Auftrag gegeben haben, kommt zu dem Schluss, dass es am Tag von Emilys Tod zu einem Kollektivversagen im Klinikum gekommen sei, mit insgesamt neun Behandlungsfehlern.
„Emily könnte vielleicht noch leben, wenn die Ärzte die Blutvergiftung rechtzeitig erkannt und behandelt hätten, doch weder meine Tochter noch ich wurden mit unseren Sorgen ernst genommen“, sagt Lara Janke. Die Bünderin spricht öffentlich über den Tod ihrer Tochter, weil sie damit verhindern möchte, dass auch andere Eltern den Verlust eines Kindes aufgrund einer nicht rechtzeitig erkannten Sepsis erleiden müssen.
„Es ist wichtig, dass Ärzte und das Fachpersonal in den Praxen und Kliniken besser geschult werden, damit Blutvergiftungen nicht mehr so oft und lange übersehen werden.“ Wichtig ist Janke zudem, dass auch in der Bevölkerung mehr über die gefährliche Erkrankung bekannt wird. „Viele Menschen kennen die Symptome nicht und wissen deshalb auch nicht, wann für sie oder ihre Kinder Lebensgefahr besteht.“
Viele Symptome können auf eine Sepsis hindeuten
Weit verbreitet ist nach Angaben des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, das sich über die Kampagne „Deutschland erkennt Sepsis“ für Aufklärung engagiert, der Irrglaube, dass man eine Blutvergiftung an einem blauen oder roten Strich von einer Wunde zum Herzen erkenn kann.
Richtig ist nach Angaben des Aktionsbündnisses, dass eine Sepsis immer aus einer Infektion entsteht. Treten Symptome wie Fieber, Schüttelfrost, ein nie gekanntes schweres Krankheitsgefühl, Müdigkeit und Apathie, plötzlich auftretende Verwirrtheit, schnelle und schwere Atmung, erhöhter Puls und niedriger Blutdruck oder kalte und fleckige Haut an Armen und Beinen auf, kann es sich um eine Sepsis und damit um einen Notfall handeln.
Besonders gefährdet sind nach Angaben des Aktionsbündnisses Schwangere und Mütter nach der Geburt, Neugeborene und Kinder ohne Impfungen gegen Grippe, Covid und Pneumokokken sowie Menschen mit chronischen Erkrankungen, mit geschwächtem Immunsystem, ohne Milz, die über 60 Jahre alt oder abhängig von Drogen oder Alkohol sind, mit künstlichen Herzklappen und Gelenken, mit Mangelernährung sowie Menschen, bei denen Operationen noch keine vier Wochen her sind oder bereits an einer Sepsis erkrankt waren.
Nach Kratzer am Finger durch Sepsis fast gestorben
Das bedeutet jedoch nicht, dass Menschen ohne diese Risikofaktoren vor einer Blutvergiftung gefeit sind oder die Erkrankung schnell wieder überstehen. „Eine Sepsis kann jeden zu jeder Zeit treffen und lebensbedrohlich sein“, weiß Georg Winterling, der als 39-jähriger gesunder und fitter Mann nach einem Kratzer am Finger und einer daraus resultierenden Sepsis 2022 fast sein Leben verloren hat.
„Meine Geschichte zeigt, dass Blutvergiftungen auch durch Lappalien wie kleine Verletzungen entstehen können. Deshalb ist es so wichtig, dass endlich mehr aufgeklärt wird. Jeder sollte die Symptome kennen.“ Winterling macht seine Geschichte öffentlich, um vor den Folgen einer Sepsis zu warnen.
Es ist Winter 2022, als sich das Leben des Bielefelders für immer verändert. Winterling verletzt sich an einer Luftmatratze, an der sich zuvor eine Maus zu schaffen gemacht hatte. Aus dem kleinen Kratzer, der nicht mal blutet, entwickelt sich innerhalb weniger Stunden eine Infektion, die bei Winterling zu starken Schmerzen und Atemnot führt. Winterling vermutet eine Infektion, bittet zwei Ärzte um Bluttests, doch die schicken ihn ohne Tests nach Hause. Kurz darauf ist Winterling so schwer krank, dass er ins Koma gelegt werden muss.
Bielefelder verliert beide Hände und Unterschenkel
Winterling überlebt, doch die Ärzte müssen ihm beide Hände und Unterschenkel amputieren. Der Bielefelder ist dankbar, dass er seine Söhne weiter aufwachsen sieht, doch sein Leben ist ein anderes: „Es ist ein harter Kampf.“
Winterling engagiert sich seitdem für Aufklärung. Auch, damit Ärzte Blutvergiftungen nicht mehr so oft übersehen. „Ich habe damit abgeschlossen, dass zwei Ärzte die Anzeichen meiner schweren Erkrankung falsch gedeutet haben, weil ich die Vergangenheit nicht mehr ändern kann. Aber ich hoffe, dass andere Menschen davon in Zukunft verschont bleiben.“
Der Bielefelder fordert deshalb auch die Politik zum Handeln auf: „Warum wird jedes Jahr über die Statistik der Verkehrstoten im Straßenverkehr gesprochen, aber nicht über die Menschen, die infolge einer Sepsis ihr Leben verlieren? Das erweckt den Eindruck, als ob die Todesopfer einfach so hingenommen werden.“

