Wer bei dem Wort "Karam" gleich "Karamba, Karacho, ein Whisky" zu singen beginnt, ist hier völlig fehl am Platze. "Karam" bedeutet im Nahen Osten "Gastfreundschaft". In dem gleichnamigen Kochbuch mit dem Untertitel "Gemeinsam genießen" verrät die libanesisch-amerikanische Foodjournalistin und Bloggerin Bethany Kehdy raffinierte, levantinische Rezepte aus ihrer Familie, die sowohl traditionell als auch modern interpretiert sind. Außerdem erfahren wir viel über Esskultur, von der wir uns so manches abschauen können.
Bethany Kehdy ist keine Unbekannte für Hobbyköche, die sich mit orientalischer Küche beschäftigen. Der israelisch-britische Koch Yotam Ottolenghi, der wohl vielen bekannt sein dürfte, rühmt sie als "superbegabt" und "neuen Champion der nahöstlichen Küche". Seit 2008 schrieb Kehdy mehrere Jahre einen hervorragenden Blog ("Dirty Kitchen Secrets") über die Küche ihrer levantinischen Heimat. Als Levante-Küche oder levantinisch inspirierte Küche bezeichnet man Gerichte aus den Ländern am östlichen Mittelmeer, also aus dem Libanon, aus Israel, Palästina, Syrien, Jordanien und den südlichen Gebieten der Türkei. Seit Jahren ist das ein weltweiter Foodtrend, und das Kochbuch von Bethany Kehdy setzt hier einen wichtigen und köstlichen Punkt.
Das Kochbuch heißt im Original übrigens "The Jewelled Table" (also etwa: "Der juwelenbesetzte Tisch") und macht damit nicht etwa darauf aufmerksam, dass sich die Zutaten nur gut betuchte Leute leisten können. Stattdessen ist zu erfahren, wie man einen Tisch im Nahen Osten mit "Juwelen" des Genusses schmückt, sei es für die Mahlzeiten des Tages oder für festliche Anlässe. Kehdys erstes Kochbuch mit dem Titel "The Jewelled Kitchen" (also etwa: "Die juwelenbesetzte Küche") hat es leider bislang noch nicht in eine deutsche Übersetzung geschafft. Es ist ihr und uns zu wünschen, dass der Erfolg von "Karam" auch eine deutsche Veröffentlichung ihres ersten Buches nach sich zieht.
Zuschauen, riechen, fühlen, schmecken
Die Kapitel in "Karam" sind unterteilt in sechs Bereiche: Grundrezepte, Erfrischungen, Digestifs und Cocktails, Rohkost, Kanapees und Fingerfood, kleine Gerichte und Beilagen, große Platten und Hauptgerichte sowie zuletzt die Desserts. Acht Menüvorschläge aus den vorangegangenen Rezepten schließen die einfallsreiche und kreative Sammlung ab. Im aufschlussreichen Vorwort erklärt Kehdy, Tochter einer amerikanischen Mutter und eines libanesischen Vaters, wie sie kochen lernte: "Allein durch Zuschauen, Riechen, Fühlen und Schmecken."
All jenen, die sich zu sklavisch an Rezepte halten, alles auf den Milliliter abmessen, sagt sie, dass in ihrer Heimat Genauigkeit beim Kochen keine große Rolle spiele. "Im Nahen Osten bezeichnet man diese Art des Kochens als 'nafas': als Küche der Seele." In einem Interview mit "Gulf News" aus Dubai sagte sie, 'nafas' oder ,Seele' sei für sie eine der Hauptzutaten in jedem Essen: "Wenn Sie keine 'nafas' haben, dann kann kein Training in Kochschulen Ihr Essen köstlich und unvergesslich machen. Einige der besten Speisen, die ich genoss, wurden von Köchen ohne formelle Ausbildung zubereitet, sie schätzen einfach gutes Essen, respektieren die Jahreszeiten und haben wirklich Freude daran, Menschen satt zu machen." Diese Philosophie spürt man auf jeder Seite und in jedem Rezept des Kochbuchs. Alle Rezepte sind gründlich erklärt, und die Zutaten sollte man in jeder größeren Stadt kaufen können.
Kanapees und Fingerfood
Es beginnt, wie bei jedem guten Fest, mit einem Getränk, vor allem heißes oder kaltes aromatisiertes Wasser, hier etwa mit gehackter Wassermelone, Minzblättern und einem Esslöffel Rosenwasser. Wenn sich die Gäste zur geschmückten Tafel begeben, werden die kleinen Gerichte aufgedeckt, unsere Eltern nannten das Kanapees, wir sagen heute Fingerfood. Wir haben die etwas aufwendig herzustellenden Yalanghi ausprobiert (im Buch heißen sie "Nouras trügerische Weinblätter"), aber man kann sie gut vorbereiten und dann zu passender Gelegenheit hervorzaubern. Sie schmecken köstlichst und sind noch dazu vegetarisch, deshalb heißen sie Yalanghi ("Lügner", weil: ohne Fleisch). Wir haben außerdem die Hefe-Halbmonde mit Garnelenfüllung getestet, die wir künftig auch zu Partys von Freunden als Beigabe mitbringen werden. Wer Garnelen mag, wird das Buffet nicht verlassen, bis die Schüssel leer ist, so viel sei gesagt.
Bei den Hauptspeisen sind wir richtig fündig geworden, sowohl als Vegetarier, als auch als Fleischesser, die Variationen sind vielfältig und raffiniert. Ausprobiert haben wir die Spargelsuppe mit getrockneter Limette, die Rinderbäckchen mit Rhabarber (ein wunderbares Schmorgericht, dazu Reis, fantastisch!) und die Kishkamel-Moussaka (der Kniff ist das Kishk-Mehl, für das es im Kochbuch auch ein Rezept gibt, es ist allerdings aufwendig herzustellen und man kann es auch fertig kaufen).
Klebriger Kuchen aus dem Tiefkühler
Und natürlich haben wir uns auch durch die süßen Rezepte gebacken. Als erstes fiel uns der "Klebrige Kuchen aus dem Tiefkühler" auf (der heißt wirklich so). Drin sind Butterkekse, Pistazien, Tahini, Johannisbrot- oder Traubensirup und Honig. Kinderleicht zuzubereiten, aber dann am besten vor den Kindern zu verstecken, denn dieser Kuchen ist einfach zu süß und zu lecker! Ungewöhnlich für europäische Gaumen sind die Black Magic Brownies mit Schwarzkümmel und Clementinen, aber man sollte sich da durchaus mal dran wagen.
Unser Favorit sind die "Jungfrauenbrüste" genannten Lavendelkekse. Ja, auch die heißen wirklich so: Kehdy erzählt, dass arabische Dichter einen Tick haben und es lieben, Essen poetisch mit Frauen und ihren Körperteilen zu verknüpfen. Das Rezept dafür stammt aus dem 14. Jahrhundert, und glücklicherweise hat Kehdy die Zutat Weihrauch durch Lavendel ersetzt. Trotzdem sind die Kekse nicht für jedermann. Aber auch eine Obstplatte aus Früchten der Saison kann eine levantinische Tafel abrunden.
Ein wenig bedauerlich ist, dass es nicht zu jedem Rezept ein passendes Foto gibt. Manchmal bleibt es ein wenig der eigenen Fantasie überlassen, wie das Gericht am Ende aussehen soll. So ist etwa beim sehr schillernd beschriebene Rezept "Der Imam fiel in Ohnmacht" (Baby-Auberginen mit einer sehr feurigen und chili-reichen Füllung) ein Foto abgedruckt, aber leider nur das eines Minaretts. Das hilft natürlich recht wenig. Noch schwieriger wird das dann bei Gerichten wie "Wachtel & Hammel-Mandi", dessen Rezept zwei Seiten einnimmt. Auch hier fehlt ein Foto, dabei würde es ungemein helfen, um einzuschätzen, ob das Rezept geeignet ist.
Denn auf der anderen Seite muss man sagen: die Fotos der Fotografin Nassima Rothacker sind ansonsten gut gewählt, hervorragend ausgeleuchtet und zeigen, was man sehen will. Auch das Design des Kochbuchs sowie die grafische Aufbereitung der Erklärtexte – immer wieder lässt Kehdy die kulturellen und historischen Zusammenhänge der Levante-Küche einfließen – ist faszinierend, zurückhaltend, nie aufdringlich oder zu plakativ.
Für uns verkörpert dieses Kochbuch, trotz der geringen Mängel, den wahren Geist der Gastfreundschaft und sollte all jenen Hobbyköchen in die Hände gegeben werden, die gerne Gastgeber sind und die levantinische Küche mögen. Es wird sie bereichern und inspirieren. Es ist wirklich ein kleiner, köstlicher Schatz. Yalla!
Bethany Kehdy: Karam – gemeinsam genießen, Sieveking-Verlag, München, 2019, 272 Seiten, 126 Abbildungen, gebunden, 20 Euro, ISBN 978-3944874999

