Kuriose Anzeige in Gütersloh: Immobilie zu verschenken - zum Selbstabbauen

Gütersloh. Das mehr als 300 Jahre alte Fachwerkhaus ist vermutlich eines der ältesten, noch stehenden Gebäude im Gütersloher Stadtgebiet gewesen. Jetzt ist es weg. Verschwunden, von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt. Zum einen war der frühere Wohnsitz eines Schmiedes ein eher unscheinbares Nebengebäude, geschichtlich betrachtet von eher geringer Bedeutung und kein offizielles Baudenkmal. Zum anderen lag das kleine Anwesen versteckt, umgeben von dicken, hohen Eichen und einer Hofanlage im Stadtteil Niehorst. Dort ist das baufällige Haus zwar abgerissen worden. Dank einer kuriosen Kleinanzeige im Internet und eines glücklichen Zufalls soll es aber nur einige Hundert Meter entfernt zu neuem Leben erweckt werden. Der alte Kotten und seine letzten Reise – es ist eine schräge Geschichte aus Gütersloh. Mutmaßlich seit dem Jahr 1697 befindet sich das knapp 150 Quadratmeter große Fachwerkhaus im Zentrum des Hofes an der Pivitsheide im rechten Winkel zur Holler Straße. Fachwerkhaus überlebte Kriege und einen Großbrand &bdquo;Ich kenne das Gebäude seit Kindesbeinen an. Mein Vater hat mal ein paar Türen erneuern lassen, aber ansonsten stand es dort immer so wie zuletzt“, erzählt Landwirt Reinhard Buschfranz. Der 63-Jährige lebt dort mit Ehefrau Karin (52) und den beiden Söhnen Jan-Hendrik (25) und Marcel (22). Sie bewirtschaften rund 15 Hektar Land, stellen unter anderem Heu für Pferde her. Schon seit Längerem benötigt die Familie dringend Platz für eine neue Maschinenhalle. Die Tage des historischen Fachwerkhauses scheinen im vergangenen Herbst ein für alle Mal gezählt zu sein. Doch die ursprünglich mit Kalk gemauerte Konstruktion einfach in Schutt und Asche zu legen, bringt Reinhard Buschfranz nicht übers Herz. &bdquo;Das Haus mit Wohntrakt und Stallungen hat Menschen kommen und gehen sehen, etliche Stürme erlebt, zwei Kriegen getrotzt“, erzählt der gelernte Landmaschinenmechaniker. Einst hätten dort Schmiedemeister Hermann Klas, der mit seinen Brüdern eine Schmiede auf dem Nachbarhof betrieb, und Frau Sophie gelebt. &bdquo;Auch den Großbrand des Hauptgebäudes auf unserem Hof im Juli 1959 hat es unbeschadet überstanden.“ Hinfälliges Haus bei &bdquo;kleinanzeigen.de“ inseriert Und nun? Einfach abreißen? Auf keinen Fall. Reinhard Buschfranz und seine Söhne schalten ein Inserat auf der Online-Plattform &bdquo;kleinanzeigen.de“ mit einem auffallend seltenen Angebot: &bdquo;Fachwerkhaus zum Selbstabbauen abzugeben“. Der Erfolg ist zunächst mäßig. &bdquo;Die Interessenten konnte man an einer Hand abzählen“, erinnert sich der Landwirt. Ein Mann aus dem Kreis Minden-Lübbecke meldet sich zwar, kommt sogar zur Besichtigung. &bdquo;Doch die hier in der Gegend verwendeten Balken zum Bau eines Fachwerkhauses weisen eine andere Stärke auf wie die der Häuser in seiner Heimat“, schildert Buschfranz: &bdquo;Deshalb konnte er es nicht übernehmen.“ Besonderes Bauprojekt in Gütersloh: Freunde verwandeln Ruine in Traumhaus Die Rettung liegt stattdessen gleich nebenan, wenn sie auch eher einem Zufall geschuldet ist. Nachbar Matthias K. meldet sich. Er bewohnt einige Hundert Meter entfernt eine mehr als 120 Jahre alte, ehemalige landwirtschaftliche Hofstätte. &bdquo;Ein Kollege hatte die Anzeige im Internet gesehen. Ich habe etwas überlegen müssen, ob ich mir das antun will“, erzählt der Elektroingenieur. Stadt Gütersloh erteilt Genehmigung zum Abbau Doch seine Leidenschaft für das Bauen und die Nachhaltigkeit setzt sich durch. &bdquo;Alte Werkstoffe geben eine Geschichte wieder. Sie haben eine gewisse Aura, die man mit neuen Dingen nicht erzeugen kann.“ Matthias K. entscheidet sich, das rot verklinkerte Liebhaberstück mit dem von Grünspan übersäten Dach und den heruntergekommenen Holzbalken im Giebel zu übernehmen und selbst zu demontieren. Im Februar starten der 45-Jährige und die Landwirtsfamilie gemeinsam mit dem Abbau. &bdquo;Wir hatten die offizielle Genehmigung der Stadt Gütersloh, dann ging es los“, schildert Reinhard Buschfranz, der selbst 43 Jahre lang im städtischen Grünflächenamt gearbeitet hat. Das Fachwerkhaus wird komplett in Eigenregie und einem aufwendigen Abbau- und Transportverfahren in seine Einzelteile zerlegt und zu seinem neuen Standort gebracht. Steine werden aus den Gefachen geklopft, tragende Decken- und Torbalken abgebaut. Das Holzständerwerk wird freigelegt, die Grundmauer beseitigt. Zwei Monate ziehen ins Land, vom Haus bleibt nichts mehr übrig. Historiker aus Detmold gibt Einschätzung ab Den gesamten Prozess des Abrisses dokumentiert der Isselhorster Rentner Rudolf Knufinke mit seiner Kamera. Der 86-Jährige bezeichnet sich als &bdquo;Interessent der Heimat“ und ist Autor von 15 Büchern, unter anderem &bdquo;Von Hof zu Hof“. In mühevoller Kleinarbeit erstellt der frühere Pharmareferent für Veterinärmedizin die Chronik &bdquo;Ein altes Fachwerkhaus wird abgebaut“, die er auch dem örtlichen Heimatverein und dem Stadtarchiv in Gütersloh übermittelt. Außerdem taucht Knufinke tief in die Geschichte des Hauses ein, das während der Arbeiten auch einige &bdquo;alte Schätze“ freigibt - Wagenräder, eine Egge oder die historische Miele-Waschmaschine aus Holz. Rudolf Knufinke kontaktiert das Freilichtmuseum in Detmold des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, schickt Fotos von Dachboden-Funden mit und erhält die Antwort eines renommierten Experten. Der für den LWL arbeitende Historiker und Volkskundler Heinrich Stiewe befasst sich unter anderem mit zwei hölzernen Kopfbändern. Er schreibt, dass er die Inschriften in den Bauteilen &bdquo;nach Machart und Gestaltung () in das 18. Jahrhundert datieren“ würde. Den Torbalken über der Remise des alten Fachwerkhauses ziert gar die Inschrift &bdquo;Anno 1697“. Was der neue Eigentümer aus Gütersloh nun vorhat Ob der Balken tatsächlich seinerzeit bei der Errichtung des Fachwerkhauses neu installiert wurde oder von einem anderen Gebäude stammt, das einst auf dem Hof in Gütersloh-Niehorst stand, ist nicht überliefert. Reinhard Buschfranz und Rudolf Knufinke gehen jedoch davon aus, dass das Bauwerk aus jener Zeit stammt. Viele Fragmente, Bau- und Bodenteile waren jedenfalls so mitgenommen, dass sie nicht mehr zu retten waren. &bdquo;Einige Fuhren mussten wir zum Entsorger bringen“, schildert der Landwirt: &bdquo;Verfaulte Balken, versetzte Erde, zerbrochene Klinkersteine oder Teile der Spalierdecke.“ Lesen Sie auch: Gütersloher Auswanderer-Familie lebt in selbst gebautem Tiny House Die noch verwertbaren Reste des Fachwerks hat Nachbar Matthias K. nun in Einzelteilen auf seinem Hof eingelagert. Dort will der 45-Jährige das Gebäude &bdquo;nah am Original“ wieder aufstellen und mit seiner Hilfe ein marodes Nebengebäude reparieren. Wann genau er mit dem Projekt Wiederaufbau startet, weiß der neue Eigentümer des steinalten Fachwerkhauses allerdings noch nicht. Der alte Besitzer ist jedoch erleichtert: &bdquo;Es ist ein tolles Gefühl, dass das Haus irgendwann wieder steht“, sagt Reinhard Buschfranz: &bdquo;Noch dazu in der Nachbarschaft.“

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