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Gütersloher Gesundheitsamt besorgt: Mehr Corona-Infizierte im Krankenhaus

Nach dem Tönnies-Ausbruch wurden zu Höchstzeiten 34 Infizierte stationär behandelt, aktuell sind es mehr als 50. Bei den Corona-Maßnahmen spielt aber vor allem die Inzidenz eine entscheidende Rolle. Wie sinnvoll ist das noch?

12.04.2021 | 12.04.2021, 12:00

Kreis Gütersloh. Bei den Diskussionen um Verschärfungen oder Lockerungen der Corona-Maßnahmen spielt der Inzidenzwert nach wie vor eine entscheidende Rolle. Seit mehr als einem Jahr werden immer wieder verschiedene Grenzwerte als Maßstab genommen. Zuletzt ging es um mögliche Freiheiten bei einer Inzidenz unter 50 und eine harte Notbremse bei einem Wert über 100. Doch wie sinnvoll ist der Blick auf die Inzidenzen überhaupt noch?

Anne Bunte, Leiterin des Gesundheitsamtes:

"Corona-Tests sind zwar eine Unterstützung, aber keine Sicherheit"

Nur die reine Inzidenz zu betrachten, sei definitiv der falsche Weg im Kampf gegen das Coronavirus, sagt auch Anne Bunte, Leiterin des Gesundheitsamtes für den Kreis Gütersloh. „Das haben wir aber auch seit Beginn der Pandemie nicht gemacht. Um die lokale Infektionslage zu beschreiben und einzuordnen, müssen viele Faktoren berücksichtigt werden – und genau das tun wir jeden Tag."

Die Zahl der Neuinfektionen sei dabei sicherlich ein wichtiger Aspekt, so Bunte, in dem Zusammenhang müsse aber auch immer geschaut werden, wie sich diese Zahl zusammensetzt. Wo haben sich die Menschen infiziert? Wie viel wird getestet? Außerdem werde die Lage in den vier Krankenhäusern des Kreises mit einbezogen – vor allem die auf den Intensivstationen. Aktuell werden 54 Corona-Infizierte in den Krankenhäusern behandelt; acht von ihnen müssen intensivmedizinisch versorgt werden und sechs sogar beatmet.

Eine Situation, die Anne Bunte mit großer Sorge betrachtet. „Nach dem massiven Ausbruch bei Tönnies im vergangenen Jahr lagen zu Höchstzeiten 34 Infizierte in den Krankenhäusern. Mittlerweile sind wir bei mehr als 50 – Anfang des Jahres sogar mehr als 100." Diese Zahlen dürften keinesfalls bei Diskussionen über Lockerungen oder Verschärfungen der Corona-Maßnahmen außer Acht lassen.

Gleiches gilt laut der Gesundheitsamtsleiterin für Schulen. Schon nach einer Woche Schulferien im Kreisgebiet merke man einen deutlichen Rückgang der Infektionszahlen. „Schule bedeutet immer ein hohes Maß an Mobilität – entsprechend hat das Virus viele Möglichkeiten, sich zu verbreiten. Das ist gerade im Hinblick auf die britische Mutation, die noch ansteckender ist, ein Risiko."

Der größte Bereich, in dem sich Menschen im Kreis Gütersloh infizieren, ist laut Anne Bunte weiterhin das familiäre Umfeld bzw. soziale Kontakte. Die Ansteckungsrate in Pflegeeinrichtungen sei hingegen in den vergangenen Wochen und Monaten zurückgegangen. Trotzdem habe man natürlich auch auf diese Bereiche weiter ein Auge, um bei lokalen Ausbrüchen schnell zu reagieren und mögliche Kontaktpersonen von Infizierten zum Beispiel mit den mobilen Teams gezielt zu testen.

„Es gibt also nicht nur den einen Faktor, den man betrachten muss, sondern der Kampf gegen Corona setzt sich aus vielen Bausteinen zusammen", betont Bunte, „die wichtigste Botschaft und mein Appell bleibt aber, die Einhaltung der gängigen Regeln: Abstand halten, Hygiene beachten, Masken tragen." Impfungen und Tests würden das nicht ersetzen – im Gegenteil. „Die Tests sind zwar eine Unterstützung, aber keine Sicherheit. Das dürfen wir nicht vergessen."

Wiebke, Lubahn, Intensivmedizinerin am Gütersloher Klinikum:

"Todeszahlen hinken dem Infektionsgeschehen immer mehrere Tage hinterher"

Wiebke Lubahn hat seit Beginn der Pandemie im vergangenen Jahr mit Corona-Patienten zu tun. Jeden Tag. Sie ist Oberärztin der Klinik für Innere Medizin, Kardiologie, Rhythmologie und internistische Intensivmedizin, am Gütersloher Klinikum. Je nach Sichtweise auf die Pandemie erscheine der Inzidenzwert als zu grob, zu unflexibel oder zu ungenau, so die Expertin.

Er sei schlussendlich ein Näherungswert, mit allen Vor – und Nachteilen desselben. „Näherungswerte werden dann verwendet, wenn eine exakte Berechnung aufwendig oder nicht möglich ist oder wenn man nur eine bestimmte Genauigkeit benötigt. Was wir alle möchten, ist genau das: Wir wollen wissen, wohin sich das pandemische Geschehen bewegt."


Die jeweiligen Grenzwerte seien im Frühsommer 2020 rein politisch definiert worden, als ein Anhaltspunkt bis zu welcher Inzidenz eine Nachverfolgung der Infektionsketten durch die Gesundheitsämter noch möglich ist bzw. ab wann welche weiteren Maßnahmen erfolgen sollten. Man müsse aber auch bedenken, dass die Corona-Pandemie für alle die erste Pandemie sei.

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Wiebke Lubahn: „Wir haben alle keine Erfahrungen damit, welcher Messwert der Beste ist. Das wird sich wohl auch erst im Nachgang der Pandemie herausstellen." Die Oberärztin betont aber gleichzeitig: „Um das pandemische Geschehen global aber auch lokal zu beurteilen, benötigen wir einen recht einfach und zuverlässig zu erhebenden Wert. Die Inzidenz ist die am einfachsten zu messende und zu vergleichende Größe, die uns als Gesellschaft eine Aussage zum Infektionsgeschehen machen kann."

Aus ärztlich-intensivmedizinischer Sicht seien aber sicherlich auch Kennziffern wie die Belegung der Intensivstationen eine wertvolle Zahl, die berücksichtigt werden müssten. „Allerdings hinken diese dem Infektionsgeschehen um mehrere Tage hinterher, bei den Todeszahlen noch länger", sagt Lubahn. Der Inzidenzwert liege zum Tagesende – bei allen Unschärfen – schneller und aktueller vor. „Eine gleicher maßen praktikable und einfach zu erhebende Alternative ist in den letzten zwölf Monaten meines Kenntnisstandes nicht gefunden worden. Weder in Deutschland noch in anderen Ländern."

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