Rheda-Wiedenbrück/Bielefeld

Prozess um Video aus Tönnies-Kantine: Küchenhilfe erhält Abfindung

Gegen ihre Kündigung ist eine ehemalige Mitarbeiterin vorgegangen, die mit einem Video Missstände in der Kantine des Unternehmens Tönnies angeprangert haben soll. Jetzt gab es eine Einigung vor Gericht.

Das Medieninteresse am Prozess am Arbeitsgericht in Bielefeld war groß. Das Video hatte deutschlandweit für Aufsehen gesorgt. | © Jeanette Salzmann

Jeanette Salzmann
11.09.2020 | 11.09.2020, 18:30

Kreis Gütersloh. Für das Erstellen ihres Videos aus der Tönnies-Kantine erhielt die 45-jährige Küchenhilfe die fristlose Kündigung von ihrem Arbeitgeber. Zusätzlich soll ein Hausverbot ausgesprochen worden sein. Dagegen hatte sie sich gewehrt und eine Kündigungsschutzklage eingereicht.

Das Arbeitsgericht Bielefeld verhandelte den Fall am Donnerstag unter Vorsitz von Gerichtsdirektor Joachim Kleveman. Die Parteien einigten sich auf die Zahlung einer Abfindungssumme von 20.000 Euro an die Klägerin, sowie die Zahlung noch ausstehender Gehälter. Im Gegenzug wird das Arbeitsverhältnis für beendet erklärt.

Der Anwalt der Klägerin, Jürgen Graser, gibt vor Prozessauftakt eine Erklärung gegenüber den Medien ab. - © Jeanette Salzmann
Der Anwalt der Klägerin, Jürgen Graser, gibt vor Prozessauftakt eine Erklärung gegenüber den Medien ab. (© Jeanette Salzmann)

Die Klägerin selbst war nicht im Gericht erschienen. Ein ärztliches Attest bescheinigte ihre Prozessunfähigkeit. Anwalt Jürgen Graser erklärte gegenüber der Presse: „Es geht meiner Mandantin aufgrund der Ereignisse, die so hohe Wellen in der Öffentlichkeit geschlagen haben, psychisch sehr schlecht."

"Mir war sofort klar, dass sie das nicht hätte machen dürfen"

Die Kündigung wurde ihr am 6. April ausgestellt, nachdem ein Anruf aus Österreich in der Führungsetage bei Tönnies eingegangen war und auf das Video im Internet aufmerksam machte. Daraufhin wurde der Kantinenbetreiber zum Personalchef einbestellt. Er versprach nach eigenen Aussagen vor Gericht, seiner Küchenhilfe fristlos zu kündigen. „Mir war sofort klar, dass sie das nicht hätte machen dürfen."

Er sei geschockt gewesen. Die Klägerin ist seit sechs Jahren bei ihm angestellt. Am Abend des 6. April wurde sie bei Dienstbeginn um 20 Uhr von ihrem Chef und dem Tönnies-Sicherheitsbeauftragen empfangen und zur Rede gestellt. Damals, so der Kantinenbetreiber, habe sie zugegeben, das Video gedreht zu haben und dieses über den Messengerdienst Whatsapp an „zwei bis drei Freundinnen" gesendet zu haben. Diese Aussage wurde von ihr später widerrufen.

Wie und warum ist das Video tatsächlich entstanden?

Unstreitig ist, dass die Aufnahme aus der Kantine vom 20. März stammt – als die Allgemeinverfügung zu den Coronaschutzmaßnahmen in Kraft war. Auch hat die Klägerin über ihren Anwalt zugegeben, das Video mit dem Smartphone aufgenommen zu haben – allerdings sei das nicht ihr Handy gewesen. Vielmehr habe es sich um das Handy eines männlichen Kollegen gehandelt, der Mitarbeiter im Tönniesunternehmen sei. Nach der Aufzeichnung habe sie ihm das Gerät zurückgegeben.

Was im weiteren Verlauf mit dem Video passiert sei, entziehe sich ihrer Kenntnis. „In ihrer Gegenwart ist das Video nicht weitergeleitet worden oder ins Internet gestellt worden", so ihr Rechtsanwalt Graser. Die Gegenseite sah das anders. Die Aufnahme sei definitiv zu dem Zweck gedreht worden, um es der Öffentlichkeit zu präsentieren und das Unternehmen in Verruf zu bringen.

„Dafür gibt es öffentliche, staatliche Stellen wie etwa das Gesundheitsamt"

Was auf dem Video zu sehen ist, hat die Öffentlichkeit nachhaltig irritiert. Es zeigt eine voll besetzte Kantine in der Nachtschicht ohne Einhaltung von Mindestabständen. „Die Kantine war zu diesem Zeitpunkt rund um die Uhr in Betrieb. 24 Stunden am Tag", erklärte der Kantinenbetreiber vor Gericht. Außer Handdesinfektion habe es keine Vorkehrungen gegeben. 680 bis 700 Sitzplätze habe es damals gegeben. „Wir haben täglich 1.500 bis 1.700 Essen ausgegeben", seine 19 Mitarbeiter seien nicht gesondert geschützt gewesen.

Rechtsanwalt Torben Prüß reklamierte für den beklagten Kantinenwirt, die Mitarbeiterin hätte andere Wege beschreiten müssen, um ihre Angst vor gesundheitlichen Schäden zu dokumentieren. „Dafür gibt es öffentliche, staatliche Stellen wie etwa das Gesundheitsamt." Vorsitzender Richter Kleveman bat den Kantinenchef um seine Einschätzung: „Hätte das Unternehmen wohl gehandelt, wenn die Klägerin zu Ihnen gekommen wäre mit ihrer Sorge?" Der antwortete: „Nein, vermutlich nicht."

"Mich fragt ja auch niemand, wie es mir damit geht"

„Dann sind wir bei dem großen Thema Whistleblower", erklärte Richter Kleveman. Nach Auffassung der Kammer habe die Klägerin die Situation nur dokumentiert. „Das ist nichts schlimmes." Die Rechtsliteratur – und bald auch Rechtssprechung – erlebe hier einen Sinneswandel. „Während Denunzianten früher etwas sehr Schlimmes waren, gilt es diese Personen heute zu schützen, wenn die Veröffentlichungen von öffentlichem Interesse sind." Der Kantinenbetreiber wird nun zahlen. Er ist nach eigenen Aussagen froh, wenn es vorbei ist. „Mich fragt ja auch keiner, wie es mir damit geht."

Den Vorsitz führt Direktor Joachim Kleveman. - © Jeanette Salzmann
Den Vorsitz führt Direktor Joachim Kleveman. (© Jeanette Salzmann)

Vier Wochen habe er in Quarantäne verbracht, zudem sei er selbst an Covid-19 erkrankt. „Ich kann nachts nicht schlafen", außerdem habe er seit dem Corona-Ausbruch bei Tönnies etliche seiner 19 Mitarbeiter aufgeben müssen. Die Klägerin hatte zunächst auf Weiterbeschäftigung in der Kantine geklagt. Das galt von Unternehmensseite als ausgeschlossen. Merkwürdig sei, so Richter Kleveman, dass Personalakten der Klägerin im Unternehmen verschwunden seien. Zudem wurde über ein Hausverbot gestritten. Ob es tatsächlich ausgesprochen wurde oder nicht, ist seit gestern hinfällig, weil der Rechtsstreit durch den Vergleich für beendet erklärt wurde.

Für das Unternehmen Tönnies geht es gerichtlich vermutlich auf anderen Ebenen weiter. Unter den Zuhörern im Gerichtssaal befand sich ein Prozessbeobachter der Staatsanwaltschaft, der sich Notizen machte.