
Herr Franz-Rudolf Esch, welche Folgen hat der massive Corona-Ausbruch beim Schlachtkonzern Tönnies auf die Marke des Unternehmens?
Franz-Rudolf Esch: Tönnies ist imagemäßig ein kontaminiertes Unternehmen. Der Shitstorm, der sich gerade über Tönnies, entlädt, schadet nicht nur dem Unternehmen, sondern auch der ganzen Branche. Als Großer der Branche strahlt Tönnies negativ ab. Um billig zu produzieren, wird anscheinend vieles in Kauf genommen. Unternehmen müssen hier angehalten werden, verantwortungsvoll zu handeln. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.
Wie ist der Imageverlust aufzufangen?
Esch: Viele andere Unternehmenskrisen zeigen, dass die Zeit oft alle Wunden heilt und Fehlverhalten schnell in Vergessenheit gerät. Vor allem dann, wenn Kunden wieder günstig kiloweise Fleisch kaufen wollen. Vielen ist das Hemd da näher als die Hose.
Bedeutet das, die Firma muss die Krise einfach aussitzen?
Esch: Nein. Der Vorfall bei Tönnies stößt gerade in der Corona-Krise auf erhöhte Aufmerksamkeit. Dies umso mehr, weil der Blick für nachhaltiges, vertrauensvolles und soziales Handelns im Sinne eines Mit- und Füreinanders geschärft wurde. Hier hilft nur konsequentes Durchgreifen und transparentes Handeln von Seiten Tönnies, um die Missstände dauerhaft zu ändern. Tönnies muss sich vom Buhmann der Branche zum Vorbild entwickeln. Die Schritte dahin sind glaubhaft offen zu legen und konsequent umzusetzen. Da reicht schöne Kosmetik alleine nicht aus.

Kann das Unternehmen Tönnies mit dem Inhaber Clemens Tönnies aus der Krise gehen, oder muss es Veränderungen geben?
Esch: Bei Familienunternehmen, wo der Name der Familie für die Marke und das Leistungsversprechen der Marke steht, ist der Unternehmer immer eng mit dem Konzern verknüpft. Das ist auch bei Tönnies der Fall - Clemens Tönnies selbst leitet das Unternehmen. Daraus ergibt sich die Frage, ob eine Veränderung der Ausrichtung möglicherweise besser gelingen würde, wenn die Geschäftsführung wechselt.
Offen gestanden neige ich dazu, die Schicksale von Einzelpersonen dem Schicksal eines Unternehmens, in dem viele Mitarbeiter auf ihre Jobs angewiesen sind, unterzuordnen. Wenn die Person dem Unternehmen dadurch nutzen kann, dass sie zurücktritt und die Verantwortung anderen übergibt, kann das während der Krise ein geschickter Schachzug sein.
Clemens Tönnies ist kurz nach Bekanntwerden des Corona-Ausbruchs im Unternehmen nur kurz vor die Medien getreten. Müsste er mehr Präsenz zeigen?
Esch: Es ist die Frage, was er damit bezwecken möchte, dass er sich nicht zeigt. Möchte er sich selbst als Person schützen? Glaubt er, dass es keinen Mehrwert bringt, wenn er sich vor die Medien stellt? Das sind alles Dinge, die abgewogen werden müssen, bevor man zu einer Entscheidung kommt, ob das Management selbst oder eben andere vor die Medien gehen. Aber generell wäre es glaubwürdiger, wenn er selbst vor die Presse tritt und klar kommuniziert, was er jetzt tun will. Glaubwürdiger, als wenn das der Leiter der Medienkommunikation macht.
Kann sich Clemens Tönnies persönlich von seinem Imageschaden erholen? Ist seine Karriere vorbei?
Esch: Wenn ein Shitstorm da ist, reden viele darüber. Aber dadurch, dass Medien auf negative Nachrichten programmiert sind und sich eine Nachricht wie die von Tönnies auch relativ schnell abnutzt und schnell etwas neues her muss, jagen die Medien ständig hinter neuen Themen her. Insofern wird es eine Überlagerung der Themen geben und auch das Verhalten von Tönnies irgendwann in Vergessenheit geraten.
Was das für seine weitere Karriere bedeutet, bleibt abzuwarten. Unabhängig davon sind rassistische Aussagen von Clemens Tönnies, die er beispielsweise in Paderborn getätigt hat, mehr als unglücklich. Sie strahlen negativ aus. Zum einen in seiner Rolle als Unternehmenslenker, zum anderen in seiner ehemaligen Rolle als Präsident von Schalke 04. Da hat er die Konsequenzen jetzt schon zu spüren bekommen.
Was sollte aus Firmensicht getan werden, um die Marke Tönnies wieder zu stärken?
Esch: Eine echte Entschuldigung, der dann konsequentes und transparentes Handeln folgt, hilft. Das Unternehmen muss sich auf neue Füße stellen. Geld verdienen alleine reicht nicht. Man muss dies aus einer klaren Haltung heraus machen: mit einem klaren Zweck und Unternehmensgrundsätzen, an die sich alle Mitarbeiter halten, um so einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Die Marke muss zum Leistungsversprechen für Kunden werden und dieses Versprechen, gutes Fleisch zu liefern, auch halten.
Denken Sie, dass der Name Tönnies nach der Krise verbrannt ist?
Esch: Das kann man messen an der Zahl der Verträge, die aufgekündigt werden mit Tönnies. Da ist meine Erwartungshaltung, dass das eher wenige Partner tun werden. Meine Vermutung ist, dass Tönnies durch den guten Kontakt zum Handel besser erklären kann, was das Unternehmen jetzt tun möchte, um ein ähnliches Szenario in der Zukunft tunlichst zu vermeiden. Ich glaube, dass da die Anforderungen an die Fleischproduzenten wachsen werden und dass auch der Druck wachsen wird.
Nicht nur von Nachhaltigkeitsorganisationen sondern auch von der Politik und vom Handel. Jede Firma hat eine Verantwortung. Nicht nur den Kunden gegenüber, sondern auch den Mitarbeitern gegenüber. Sie muss zum Beispiel darauf achten, dass wenn sie Subunternehmer beschäftigt, dass dann die Menschen dort auch unter halbwegs menschenwürdigen Bedingungen arbeiten. Wenn Tönnies das macht, hat sich das Unternehmen nichts vorzuwerfen.
Unter dem Corona-Ausbruch bei Tönnies leidet auch die Gütersloher Bevölkerung. Unter anderem wurden Autos mit einem GT-Kennzeichen zerkratzt. Was können der Kreis und seine Bevölkerung tun, um das Corona-Image wieder loszuwerden?
Esch: Der Kreis Gütersloh und seine Bevölkerung sind nicht Täter, sondern Opfer. Insofern müsste die Frage aus meiner Sicht lauten: Was kann Tönnies für den Kreis Gütersloh tun? Gütersloh kann nur um Verständnis werben für eine Situation, die für die Stadt möglicherweise ebenso wenig vorhersehbar war wie die Corona-Krise für Deutschland. Es sei denn, man hätte die Kontrolle in den Schlachthöfen schleifen lassen und Missstände für Steuergelder hingenommen. Jede Stadt in Deutschland kann zum Gütersloh werden, wenn Unternehmen und Menschen nicht verantwortlich handeln.
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