
Werther. Schnauf, schnauf macht Werthers Kleinbahn, durch Klingeln und Pfeifen kündigt sie ihr Kommen an, im Hintergrund Stimmen von Menschen, die auf den Zug warten. Dann fährt sie endlich ein, die Dampflok mit den kleinen Waggons an der Bedarfshaltestelle Tannenkrug. Täuschend echt und äußerst lebendig nimmt Knut Weltlich in seinem Film die Zuschauer mit auf eine Fahrt mit der Kleinbahn von Werther nach Dornberg. Mit alten Fotos, kolorierten Postkarten, Luftaufnahmen, bewegten und animierten Bildern, vor allem aber Interviews mit Zeitzeugen haucht er dem wohl einzigartigen Dokument Wertheraner Zeitgeschichte auf anschauliche Weise Leben ein.

Im Jahr 1901 wurde die Kleinbahnstrecke von Bielefeld nach Werther eröffnet – für Werther der Anschluss an die große Welt. Sechs Mal täglich fuhren die Züge, dazu gab es einen regen Güterverkehr. Transportiert wurde alles, was gebraucht wurde, Saatgut und Düngemittel zum Landhandel Rüter, außerdem Lebensmittel, Säcke, Kisten, Koffer. Die Firma Poppe + Potthoff hatte einen eigenen Gleisanschluss, die ehemalige Weberei Delius (heute die Kartbahn) ebenfalls.
Mit der »Dicken Dornberg« ging es nach Bielefeld
Während des Zweiten Weltkriegs mussten hier osteuropäische Zwangsarbeiterinnen Schlösser für Maschinengewehre montieren. »Dicke Dornberg« hieß die Lokomotive, die die schweren Güter von Werther aus nach Bielefeld zog.

Gefährliche Situationen erlebte die Kleinbahn einige: Während des Krieges wurde sie in Isingdorf von einem Tiefflieger angegriffen. Weil sie rechtzeitig in einem Waldstück anhielt und keinen Dampf mehr erzeugte, verfehlten die Geschosse den Zug und trafen stattdessen ein benachbartes Bauernhaus, das dadurch in Brand geriet. 1944 starben 26 Wertheraner, darunter zwölf Schüler, als beim schwersten Bombenangriff auf Bielefeld auch das Stationshäuschen, in dem sie warteten, getroffen wurde. In den 1950er Jahren entgleiste ein Wagen, einmal kippte ein Waggon vom Rollbock, ein anderes Mal fuhr ein Laster gegen den Zug.
Das Ende der Kleinbahn kam 1954. Erst wurde der Personenverkehr, zwei Jahre später der Güterverkehr eingestellt. Busse, so hieß es, wären preisgünstiger und schneller.
Dies alles und vieles mehr erzählt Knut Weltlich in seinem Film. 2013 wurde die Idee dazu geboren. Scherzhaft hatte der Wertheraner mit dem damaligen Stadtführer Wilhelm Redecker, der 2015 nach einem tragischen Unfall verstarb, darüber geulkt, wie toll es wäre, die Kleinbahn noch einmal fahren zu lassen. Das war der Anfang.
Die ersten Aufnahmen entlang der Strecke fanden noch zusammen mit Redecker statt, der auch in einer Szene zu Wort kommt. „Er wusste unheimlich viel über die Kleinbahn. Würde er noch leben, wäre der Film auch viel früher fertig geworden."
Nun hat es vier Jahre gebraucht. Unzählige Stunden Filmaufnahmen sind in dieser Zeit entstanden, die Weltlich auf 40 spannende, unterhaltsame und unbedingt sehenswerte Minuten komprimiert hat.
Wie viele Male er in dieser Zeit die Strecke abgefahren und abgelaufen ist, kann er nicht sagen. „Manchmal war sie ja leicht zu finden, etwa am ehemaligen Bahnhof oder den Kleinbahnbrücken. An anderer Stelle war zumindest noch der Damm zu erkennen, auf dem die Bahn einmal gefahren ist, oder eine Schneise im Wald." Die meisten Stellen jedoch seien heute Acker, „allein in Isingdorf habe ich mich drei Mal verfahren, bevor ich neben der Trasse stand."
Diese heute verlorene Streckenführung mittels Computeranimation wiederzubeleben, sei mit Abstand das Aufwendigste am Film gewesen. Damit es tatsächlich so aussieht, als ob der virtuelle Zug fährt, brauchte es 25 Einzelbilder je Sekunde – „ein Riesenaufwand". Und teuer noch dazu. 20?000 Euro privates Geld, schätzt Weltlich, hat er in den Film investiert.
Doch der Aufwand hat sich gelohnt. „Es ist ein Stück Heimatgeschichte, das es in dieser Form wohl nicht noch einmal geben wird." Weil sich kaum jemand mehr an die Kleinbahn erinnert, und es nur noch wenige Zeitzeugen gibt. Ein knappes Dutzend von ihnen hat Weltlich getroffen. Auch sie kommen im Film vor und sorgen für viel Kurzweil.
Ein Gespräch mit dem Sohn des ehemaligen Bahnhofsvorstehers etwa, der als Kind mit der Kleinbahn mitfahren durfte und ganz schwarz von Ruß und Rauch nach Hause kam; sehr zum Ärger seiner Mutter, die ihn dann abschrubben musste. Oder mit einer Wertheranerin, der der Weg zur nächsten Haltestelle zu weit war und die lieber bei voller Fahrt auf den hinteren Waggon aufsprang. Alle haben tolle Geschichten zu erzählen, und es macht Freude, ihnen bei ihren Erlebnissen mit der Kleinbahn zuzuhören.
Eintrittskarten gibt es im Original-Format
Ab Ende Januar, wenn die letzten Lizenzen vorliegen, will Weltlich den Film öffentlich zeigen. Den örtlichen Heimatvereinen natürlich, überhaupt interessierten Bürgern aus Werther, aber auch in benachbarten Orten. Eintrittskarten hat er schon: Nachdrucke der Original-Fahrkarten, die er mit einer Original-Schaffnerzange entwerten wird – erstanden für 100 Euro bei ebay. Ein Schnäppchen mit besonderem historischen Wert also.