Gnadenhochzeit in Versmold: Die Geschichte einer lebenslangen Liebe

Versmold. Helga Henke ist gut auf das Gespräch mit dem "Haller Kreisblatt" vorbereitet. Auf einem Zettel hat sich die 88-Jährige einige Notizen gemacht. Benötigen tut sie ihre Aufzeichnungen nicht. Sie hat die Daten auch so im Kopf. Muss nicht lange überlegen, wann was im gemeinsamen Leben passierte. Es gibt viele Ereignisse und Erfahrungen, die sie und ihren Ehemann prägten: wichtige Momente deutscher Geschichte genauso wie persönliche Erlebnisse. Seit ihrer Jugend gehen Helga und Günther Henke gemeinsam durchs Leben - mit viel Verständnis füreinander und einem harmonischen Miteinander. "Wir verstehen uns blind", sagt Helga Henke. Oft sage ihr Mann etwas, das sie gerade gedacht habe - oder umgekehrt. Wichtig ist für die beiden gebürtigen Sachsen außerdem: die Macken des jeweils anderen anzunehmen. "Nicht jeder Tag ist Sonnenschein, das wäre geschwindelt", sagt die 88-Jährige. Die Henkes sind ein eingespieltes Team. Sie kümmern sich gemeinsam um den Haushalt, die Wäsche, das Essen - berufstätig waren sie beide und sorgten so für den Familienunterhalt. Nur Kind und Haushalt, das sei für sie nie infrage gekommen. "Man braucht doch die Bestätigung, dass man etwas leistet", sagt Helga Henke. Ihr Mann war als Bauleiter beschäftigt. Die gelernte Verkäuferin arbeitete als Abteilungsleiterin in der Bekleidungsbranche. "Das hat mich wunderbar ausgefüllt", erzählt die 88-Jährige. Dass ihr Kleidung und ein gepflegtes Äußeres wichtig sind, sieht man ihr an. Nicht nur fürs Pressegespräch hat sie sich schick gemacht, auch sonst achte sie aufs Aussehen. Die Spiegel in der Wohnung, die brauche sie, erzählt Helga Henke. Bombenangriff auf Dresden als Jugendlicher erlebt Zwei Zimmer, Küche, Bad und einen kleinen Balkon - die Henkes haben es sich gemütlich gemacht in ihrem neuen Zuhause an der Wittensteiner Straße. Einen großen Schritt sind die beiden vor knapp drei Jahren gegangen. Sie zogen aus dem vertrauten Sachsen nach Versmold - der Familie wegen. "Am 10.10.2020", sagt Helga Henke. Klar, sie hat das Datum sofort parat. "Typisch Oma", sagt Enkeltochter Steffi Gertz, die seit jeher ein enges Verhältnis zu ihren Großeltern hat. Sie selbst zog mit ihrem Mann vor gut 20 Jahren nach Westdeutschland; inzwischen leben auch Mutter sowie Schwiegereltern in Versmold. Die Großeltern im fortgeschrittenen Alter allein 500 Kilometer entfernt? Was, wenn sie irgendwann mehr Hilfe benötigen? Spätestens mit Beginn der Corona-Zeit wurde der Wunsch drängender, sie in der Nähe haben zu wollen. "Wir hätten uns nie vorstellen können, im Alter noch einmal allles umzuräumen", sagt das Jubel-Paar. Immerhin: Fremd sind Ostwestfalen und der Kreis Gütersloh den beiden nicht. "Es ist wie unsere zweite Heimat", sagt der 91-Jährige. Mehrmals im Jahr besuchten sie die Familie, haben hier schon diamantene und eiserne Hochzeit gefeiert. Ohnehin sind Helga und Günther Henke in den Jahren nach der Wiedervereinigung viel durch Deutschland gereist und haben das neue Lebensgefühl genossen. 1951 lernten sich die beiden jungen Leute in der Heimat der Gnaden-Braut bei Meißen kennen. Günther Henke selbst stammt aus Dresden, erlebte dort die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg im Alter von 13 Jahren mit und später die Zeit des Wiederaufbaus. "Man lernte entweder Maurer oder Zimmerer", erinnert er sich. Günther Henke wurde Zimmerer. Oft besuchte er als junger Mann seine Oma auf dem Lande, half ihr auf dem Hof und spielte in seiner Freizeit Fußball. Dort lernte er seine Helga kennen, die am Fußballfeld zuschaute. Sie war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre jung, er vier Jahre älter. Gemeinsam gingen die beiden gerne zum Tanz. Strickvideos auf Youtube und Rezepte aus dem Internet 1953 heiratete das Paar: am 16. Mai. Im September desselben Jahres bekam es Nachwuchs, eine Tochter. Die junge Familie zog 1958 in eine eigene Mietwohnung, die 60 Jahre lang das Zuhause der Henkes sein sollte. Eigentum hätten sie nicht haben wollen. "Wir waren immer damit zufrieden", sagt Helga Henke. Nur ein Balkon fehlte zunächst, weshalb sich die Familie einen Kleingarten in den Weinbergen zulegte. "Da hat sich unser Leben abgespielt." An Nachmittagen und Wochenenden kamen Verwandte und Freunde zu Henkes in den Garten. "Sie wussten, wir haben Kuchen." Nun trifft sich die Familie im Gemeinschaftsraum, den die Bewohner des Mehrparteien-Hauses in Versmold nutzen können. Dort wird auch der 70. Hochzeitstag gefeiert. "Wir sind so schnell älter geworden", sagt das Jubel-Paar und ist manchmal selbst ganz verwundert angesichts der Zeit. Das Alter zeigt sich inzwischen mehr: Die Kraft wird weniger, die Gelenke bereiten Probleme. Und doch ist es ein großes Geschenk, dass beide das besondere Ehejubiläuen gemeinsam feiern können. Denn Günther Henke hätte beinahe eine schwere Corona-Infektion nicht überlebt. Ihr Ziel ist klar: "Wir wollen die 75 auch noch erreichen." Lesen Sie auch: Erstes Date oder romantischer Tag im Altkreis Halle: Unsere Tipps Das Ehepaar ist trotz der Gebrechen viel beschäftigt. Was auch daran liegt, dass beide interessiert und für Neues offen sind. Die 88-Jährige schaut sich am Tablet Strick-Videos auf Youtube an oder sucht im Internet Rezepte, wie sie erzählt. Günther Henke schaut gerne Sport im Fernsehen. Per WhatsApp kommunizieren sie mit der Enkelin und Urenkelin. Früher galt ihre gemeinsame Leidenschaft dem Tanzen, regelmäßig waren Helga und Günther Henke beim Tanzcafé. "Das hält jung", sagt Helga Henke. Am heutigen Dienstag wird das Paar einmal wieder ein Tänzchen machen. Fast so wie einst beim Kennenlernen, vor mehr als 70 Jahren . . .

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