
Dissen/Versmold. Bei einer Routinekontrolle im Juni dieses Jahres waren die Veterinäre des Landkreises Osnabrück in dem Kühlhaus von Nagel Transthermos auf massiven Nagerbefall aufmerksam geworden. Wie Burkhard Riepenhoff, Sprecher des Landkreises Osnabrück, damals erklärte, befanden sich nach den Erkenntnissen des Veterinärdienstes „Ratten in erhöhter Anzahl bereits seit Mitte Januar in Bereichen des Kühlhauses".
Das Verwaltungsgericht Osnabrück ergänzte, dass Kotpillen, Laufwege, Fellreste und Anzeichen für Nestbau der Ratten in einem Umfang gefunden worden seien, der auf eine „sehr große Rattenpopulation" hindeutete: „Ratten bevölkerten das gesamte Gebäude." Längst ist der Skandal ein Fall für die Justiz. Im Zentrum der Ermittlungen stehen zurzeit Stefan Ahlborn und Feng Chengyu, die beiden Geschäftsführer der LVD Fleisch GmbH und der Ahlborn GmbH, einer Handelsgesellschaft der LVD.
Beschuldigte der LVD Fleisch GmbH wehren sich: „Wir sind nur das Bauernopfer"
Wie berichtet, hatten die 13 Mitarbeiter*innen von LVD in dem Kühlhaus am Dissener Westring in einem angemieteten Raum von etwa 240 Quadratmetern Größe Fleischzerlegearbeiten durchgeführt. Nachdem der Rattenbefall offiziell festgestellt worden war, wurde der LVD Fleisch GmbH die Produktion dort verboten. Erst befasste sich die Staatsanwaltschaft Osnabrück mit dem Fall, mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg die Ermittlungen übernommen. Der Grund: Oldenburg ist die Zentralstelle für Landwirtschaftsstrafsachen und somit zuständig.
Von Oldenburg aus wurde in der Zwischenzeit veranlasst, dass die Geschäftsräume der LVD Fleisch GmbH im September durchsucht wurden. Wie Martin Rüppell, Erster Staatsanwalt und Pressesprecher der Oldenburger Behörde, jetzt auf Anfrage erklärte, dauere die polizeiliche Auswertung der sichergestellten Unterlagen und Datenträger allerdings noch an. „Und sie wird auch noch einige Zeit in Anspruch nehmen", so Rüppell weiter, der damit zugleich Erwartungen auf ein schnelles Ergebnis dämpfte.
Das Brisante an dem Fall: Während durch die Nagel-Group erklärt wird, dass Stefan Ahlborn und Feng Chengyu nach derzeitigen Erkenntnissen die gesetzlichen Hygienestandards nicht ausreichend befolgt hätten, versichert Stefan Ahlborn: „Wir sind nur das Bauernopfer." Fest steht, dass es erste dokumentierte Hinweise auf Ratten in dem Gebäude bereits im Januar gab. Während die Nagel-Group jedoch versichert, sie habe „mit aller Konsequenz" gehandelt, wehren sich die Verantwortlichen der LVD Fleisch GmbH gegen diese Aussagen. Man habe Nagel mehrfach auf Schäden am Gebäude und auf Rattenkot hingewiesen. Sogar die Rechnungen aufgrund von Produktionsausfällen seien von Nagel bezahlt worden – passiert sei allerdings nichts.
An den Ermittlungsergebnissen in der Angelegenheit sind derweil noch mehrere Unternehmen interessiert, denn unter anderem hatten namhafte Konzerne wie Tönnies oder Coppenrath & Wiese als Dr.-Oetker-Tochter in dem Nagel-Kühlhaus Waren eingelagert. Und allen Kunden von Nagel Transthermos, die beispielsweise frische Fleischwaren im Gefrierhaus hatten einfrieren und umpacken lassen, wurde aufgegeben, ihre seit Januar 2020 belieferten Kunden zu informieren, dass diese Waren nicht mehr als Lebensmittel zum Verzehr geeignet – und deshalb unschädlich zu beseitigen seien. Einer dieser sogenannten Umpackkunden ist die Tönnies-Gruppe. Und allein der sind enorme Kosten durch Rückrufaktionen und Warenvernichtungen entstanden. Doch wer wird für diese Schäden aufkommen?
Die Tönnies-Gruppe hat den entstandenen Schaden mittlerweile beziffert
Auf HK-Anfrage bestätigte Tönnies-Sprecher Dr. André Vielstädte jetzt: „Wir haben den Schaden mittlerweile natürlich beziffert und sind hierzu in Abstimmung mit unserer Versicherung." Auf die Frage, ob die Tönnies-Gruppe nun Nagel als Vermieterin des Lagers oder alternativ andere Unternehmen beziehungsweise Personen auf Schadenersatz verklagen wird, erklärte Dr. Vielstädte weiter: „Ob gegebenenfalls rechtliche Schritte unternommen werden, muss die Versicherung entscheiden." Die Höhe des entstandenen Schadens werde man man unabhängig davon nicht veröffentlichen.
Eine entsprechende Anfrage bei der Versmolder Nagel-Group, ob Kunden, die durch den Rattenbefall Schaden erlitten haben, zwischenzeitlich bei Nagel Transthermos als Vermieterin des Kühlhauses Ansprüche auf Schadenersatz angemeldet hätten, mochte ein Sprecher weder bestätigen noch dementieren, sondern erklärte: „Ich bitte um Verständnis, dass die Nagel-Group zu juristischen oder vertraglichen Themen generell keine öffentliche Auskünfte gibt." Vor diesem Hintergrund äußerte er sich auch nicht zu der Frage, inwiefern die Nagel-Group ihrerseits gegenüber Stefan Ahlborn und/oder Feng Chengyu eine Klage angestrengt hat, beziehungsweise noch in Erwägung zieht.
Zwar hieß es in der Verfügung des Landkreises Osnabrück, dass LVD die Produktion wieder aufnehmen dürfe, wenn Rattenbefall und Gebäudeschäden beseitigt seien. Aber nachdem das Kühlhaus zum 31. Juli durch Nagel aufgegeben wurde, konnte LVD zumindest hier keine Produktion wieder aufnehmen. Und heute stellt sich diese Frage auch für einen anderen Standort nicht mehr: Durch Beschluss des Amtsgerichtes Osnabrück vom 1. Dezember ist über das Vermögen der LVD Fleisch GmbH Dissen das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die Gesellschaft ist aufgelöst.