
Steinhagen. 13 Uhr im schicken Büro-Loft im Steinhagener Schlichte-Carree. Die Mitarbeiter von Runa Reisen schieben ihre Stühle an die Schreibtische und stellen die leeren Kaffeetassen in der Spüle ab. Feierabend. Das soll’s für heute gewesen sein. „Ich will mit den Kindern heute was basteln", lässt Judith Malachow ihre Kollegen noch wissen, bevor hinter der Reiseverkehrskauffrau die Tür zugeht. Es dauert keine fünf Minuten und in dem Großraumbüro ist es still. Jetzt sind nur noch die beiden Geschäftsführer Karl B. Bock und Falk Olias da.
Seit vergangenem Montag probiert das Unternehmen, das sich auf die Vermittlung von Reisen für Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf spezialisiert hat, die 25-Stunden-Woche aus. Gearbeitet wird jeden Tag von 8 bis 13 Uhr, fünf Stunden. Für die meisten Arbeitnehmer eine Traumvorstellung. Auch die neun Mitarbeiter bei Runa Reisen mussten nicht lange überlegen, ob sie Teil des Experiments sein wollten. Alle machen mit.

Das selbst gesteckte Ziel könnte man sportlich nennen. „Wir möchten die gleiche Arbeit in weniger Zeit bewältigen, bei vollem Lohnausgleich und ohne Home Office", sagt Karl B. Bock. Qualität und Kundenservice dürfen auf keinen Fall leiden.
Wie soll das funktionieren? „Alle Zeitfresser, die den täglichen Arbeitsprozess beeinträchtigen, haben wir eliminiert", erzählt Bock. Mal eben zwischendurch auf dem Handy private Mails checken oder einen Termin beim Friseur ausmachen – seit Montag ist das tabu. Auch der Tratsch mit Kollegen am Kaffeeautomat ist während der fünf Stunden Arbeitszeit nicht vorgesehen. Stattdessen treffen sich alle Mitarbeiter um 13 Uhr zur Besprechung und für einen Imbiss in der Küche. „Denn Kommunikation und Teambildung spielen bei uns durchaus eine wichtige Rolle", betont Karl B. Bock.
»Wir haben alle Zeitfresser aus dem Arbeitsprozess getilgt«
Während des Vormittags sollen sich die Kollegen nicht mehr gegenseitig aus den Arbeitsprozessen reißen. „Fragen werden jetzt gesammelt und in einem eigens dafür eingerichteten Zeitfenster geklärt", erklärt Bock. Das sorge für eine bessere Konzentration im Büro und spare Zeit. Auch klingelnde Telefone stören die Angestellten nur noch selten bei der Arbeit. Anrufe werden jetzt zentral angenommen und beantwortet. Nachmittags sammelt der Anrufbeantworter die Anfragen. Für Kunden auf Reisen gibt es eine Notfallnummer. „Bei allen Maßnahmen geht es darum, die Effizienz zu steigern", bringt Bock das Prinzip auf den Punkt.
Pro7 begleitet Experiment
»Am Ende des zweiten Fünf-Stunden-Tages ist das Team überrascht, wie gut das Konzept funktioniert. „Wir haben 80 Prozent der Arbeit eines Acht-Stunden-Tages bewältigt", so Bock, das sei für den Anfang doch „erstaunlich gut". Der Geschäftsführer stellt aber auch fest, dass der Stresspegel während des verdichteten Vormittags zunimmt. „Dafür entschädigt die Mitarbeiter ein komplett freier Nachmittag", so Bock, „an dem sie regenerieren können."
Als Vorbild für Runa Reisen dient die Bielefelder IT-Agentur Digital Enabler, die das Arbeitszeitmodell der 25-Stunden-Woche bereits 2017 fest eingeführt hat. Damit mache sich ein Unternehmen für potenzielle Mitarbeiter interessant, so Karl B. Bock. „Denn auch in unserer Branche ist es schwierig geworden, gute Fachkräfte zu gewinnen."
Bock hat festgestellt, dass vor allem bei jüngeren Leuten neben Bezahlung und Standortfaktoren die Work-Life-Balance eine immer größere Rolle spielt. Da könne ein Arbeitgeber mit einem frühen Feierabend schon mal überzeugen. „Darüber hinaus trägt das Modell zu einem guten Betriebsklima bei. Wer sich bei seiner Arbeit wohlfühlt, transportiert diese positive Stimmung auch nach außen an unsere Kunden", hofft Bock, der vorerst ebenso wie Mitgeschäftsführer Falk Olias weiterhin auch nachmittags ran muss.
Zeichnet sich am Ende dieser Woche ab, dass die 25-Stunden-Woche funktionieren könnte, will Runa Reisen im Sommer eine dreimonatige Testphase starten.