Star der Klassikszene: Benjamin Appl im großen Interview

Bariton Benjamin Appl gilt als neuer Star der Klassikszene. Auf Einladung des Steinhagener Kulturwerks 
singt der 36-Jährige am Sonntag, 7. April, Lieder von Franz Schubert in verschiedenen Orchesterbearbeitungen

Gehört zur neuen Generation der Liedersänger: Benjamin Appl begann seine Karriere bei den Regensburger Domspatzen, dem weltberühmten Knabenchor. Als Berufssänger ist er dennoch ein Spätberufener. Fast wäre aus dem Barion ein Banker geworden. | © Lars Borges

28.03.2019 | 28.03.2019, 14:57

Herr Appl, eine Kindheit bei den Regensburger Domspatzen ist sicher kein reines Vergnügen. Gerüchteweise soll die Erziehung nicht ganz gewaltfrei gewesen sein. Gab es da auch mal Tränen?

Benjamin Appl: Bei mir gab es anfangs eher Tränen wegen Heimweh, wenn wir ein paar Wochen auf Tournee waren. Es war doch ein großer Einschnitt, als Kind auf einmal so lange so weit weg von zuhause zu sein. Worauf Sie anspielen: Weder meine beiden älteren Brüder noch ich haben Gewaltexzesse oder irgend etwas in dieser Art im Knabenchor erlebt. Wir haben ganz überwiegend positive Erinnerungen.

Unvermeidlich kommt dann der Stimmbruch. Wie haben Sie diese Zeit überstanden?

Appl: Zu meiner Zeit bei den Regensburger Domspatzen war es üblich, dass man während des Stimmbruchs mindestens ein Jahr vollständig pausierte und dann Teil des Chores bis zum Abitur blieb. Da hatte man dann endlich auch Zeit für andere Dinge, nicht zuletzt für einen Tanzkurs mit dem Mädchengymnasium in Regensburg. Der Fokus konnte auf andere Hobbys und Interessen gerichtet werden.

Info

Hier gibt's Karten


•  Der Opern-, Konzert- und Liedsänger Benjamin Appl ist am Sonntag, 7. April, mit der Nordwestdeutschen Philharmonie auf Einladung des Kulturwerks in Steinhagen zu Gast. Beginn ist um 20 Uhr in der Aula.
• Auf dem Programm stehen ausgewählte Lieder von Franz Schubert, außerdem die Sinfonie Nr. 1 c-moll op. 11 von Felix Mendelssohn Bartholdy.
• Karten für das Konzert gibt es in der Geschäftsstelle des Kulturwerks im Haus der Kreissparkasse, Am Pulverbach 36 oder unter der Telefonnummer (0 52 01) 89 30.

Sie haben eine Banklehre und ein BWL-Studium absolviert. War die Musik da ganz aus dem Kopf?

Appl: Nach dem Abitur habe ich immer hobbymäßig gesungen, unter anderem auch in einem Chor, den meine Mutter leitet. Nebenher habe ich privaten Gesangsunterricht genommen und hatte kleinere Solo-Auftritte. Ich kannte einige ältere Freunde, die Gesang studierten und wo es danach gar nicht mit einer Karriere klappte. All dies waren Warnzeichen.

Und doch bewarben Sie sich an Münchens Musikhochschule.

Appl: Mir fehlte im Studium irgendwie der Aspekt, wie man persönlich an sich arbeiten und sich weiter entwickeln kann. Vom Gesangslehrer wird man kritisiert, man bekommt Rückmeldungen, wie man auf der Bühne und auf andere Menschen wirkt. Man wird angeregt, seine Emotionen freizulegen und zu reflektieren. Dass ich eines Tages wirklich Berufssänger werden würde, dachte ich zu diesem Zeitpunkt nicht.

Sie waren ein Kind, als Dietrich Fischer-Dieskau seinen letzten Liederabend gab. Wie war Ihr Zusammentreffen?

Appl: Ich habe damals eine Ausschreibung für einen Meisterkurs bei der Schubertiade in Schwarzenberg im Sommer 2009 gesehen. Es war immer mein Traum, mit Fischer-Dieskau eines Tages zu arbeiten. Nach dem Kurs bat er mich hinter die Bühne und bot mir an, mich zu unterrichten. Ab diesem Zeitpunkt besuchte ich ihn dann in seinen Häusern in Berlin und am Starnberger See und wir arbeiteten jeweils für mehrere Tage stundenlang an meinem Repertoire, bis kurz vor seinem Tod im Mai 2012.

Wie war er als Lehrer?

Appl: Er hatte komischerweise für mich etwas sehr Besänftigendes, Väterliches, Vertrautes. Ich war nie nervös, wenn wir zusammen gearbeitet haben. Er war wie ein guter Mentor, gab mir Ratschläge bezüglich Programmierung eines Liederabends, aber auch zum Umgang mit Publikum und Veranstaltern. Das fand ich unglaublich hilfreich, diesen »Titanen« an meiner Seite zu haben.

Sie sind bisher als freischaffender Opern- und Konzertsänger tätig. Sie müssen also viel Reisen. Ist das nicht anstrengend?

Appl: Natürlich ist das anstrengend und zuweilen nervenaufreibend, gerade wenn wieder mal ein Flug gestrichen wurde. Auf der anderen Seite schätze ich dies sehr: Ich bin meistens nur für ein oder zwei Konzerte weg, ehe ich für eine Nacht wieder nach Hause komme. Bei Opernproduktionen ist man oft sechs Wochen oder länger weg, die Pflege des privaten Umfeldes ist dann sehr schwer.

Ihren Liederabend in Dortmund fand ich ungewöhnlich. Sie sangen – abgesehen von den Mahler-Liedern – ein unbekanntes Repertoire. Das Publikum war ungewöhnlich diszipliniert ...

Appl: Das empfand ich auch so. Dortmund ist überregional bekannt für ein unglaublich aufmerksames und willkommen heißendes Publikum. Ich denke, dass es für Sänger meiner Generation auch spannend ist, Programme etwas anders zu gestalten als man das die letzten siebzig Jahre gemacht hat. Sänger der Nachkriegszeit haben den Liederabend reformiert. Nun folgt eine neue Generation.

Ihren Lebensmittelpunkt haben Sie in London. Nun sechs Konzerte in Ostwestfalen. Die NWD-Philharmonie hat einen sehr guten Ruf, doch die Säle hier sind akustisch auf sehr unterschiedlichem Niveau. Kennen Sie das?

Appl: Das wunderbare an meinem Beruf ist, dass man sich immer wieder auf neue Umgebungen einstellen muss und flexibel bleibt. Jeder Konzertbesucher hat das Recht auf gleich gute Leistung, Ich freue mich jedenfalls sehr auf diese Tournee.

Die Bearbeitungen von Schubert-Liedern, die an den Abenden auf dem Programm stehen, sind nicht sehr bekannt ...

Appl: Selbst bei eingefleischten Konzertgängern besteht manchmal noch eine Barriere bei Liederabenden. Ich sehe Konzerte wie diese als große Chance, weitere Menschen für den Liedgesang zu begeistern.

Eine etwas ketzerische Frage zum Schluss: Tenöre – auch von minderer Begabung – füllen ganze Fußballstadien. Ist man da auch schon mal neidisch?

Appl: Vor kurzem durfte ich in Japan Mahler-Lieder in einer Arena mit 16.000 Zuhörern singen, also manchmal bekommen wir Baritone auch so eine Chance. Nein, Spaß beiseite, ich bin froh, dass ich Bariton bin, gerade was auch das Repertoire im Liedbereich betrifft. Man sagt ja immer, dass der persönliche Charakter sich im Stimmtypen abbildet und ich kann Ihnen versichern, dass ich wahrlich ein glücklicher Bariton bin.