Der Wochenkommentar

Beim Kaffee wie bei Oma das Geschwätz entlarven und dann Demokratie wählen

In diesen unruhigen Zeiten ist es eine schöne Vorstellung, dass einem ein alter, ruhiger Mensch mit Erfahrung zuhört. Und vielleicht sogar noch weiß, was zu tun ist, um unsere Demokratie zu retten.

Die Sehnsucht nach einem weisen Ohr ist in diesen Zeiten groß, die Sehnsucht nach einem Kaffee mit Oma. Um dann gemeinsam die Demokratie zu retten und - wählen zu gehen. | © Nicole Donath

Nicole Donath
23.02.2025 | 23.02.2025, 09:01

Lust auf einen Kaffee wie bei Oma ...? - Seit Monaten gehen im Netz Videos mit dem Hashtag #niewiederistjetzt viral. Eines davon erzählt diese Geschichte: Auf einem Bürgersteig in Hamburg steht ein gedeckter Tisch. Und daneben die Einladung auf einem Pappschild, sich zu setzen. Zu verweilen an einem Holztisch mit geblümter Decke, Porzellangeschirr, einer Kerze und auch Kuchen. Schließlich kommt Marlo Grosshardt, ein junger Musiker, mit einer Akustikgitarre dazu - und singt den Menschen leise diese Zeilen:

„Hallo, Oma, ich wollte dich nicht stören ... Doch ich habe ... gerade ... so große Angst wie nie ... Du hast dich immer zu uns an den Küchentisch gesetzt und mir gesagt: Nie wieder ... das ist jetzt. Du bist jetzt auch schon ne ganze Weile fort, doch ich wünschte mir ... ein letztes Mal ... dein weises Ohr .... Denn wir wählen gerade wieder N*zis in den Rat, und sich zu wehren, das ist aktuell sehr hart. Denn sie hören uns schon lange nicht mehr zu, und die Lösung, die sie haben, die ist ganz klar ein Tabu. Denn sie schüren wieder vor dem Unbekannten Hass, und auf Menschlichkeit gibt es gerade keinen Verlass. Die kommen hier jetzt wieder ... mit ihrem scheiß Geschwätz, doch ich weiß: Nie wieder ... das ist jetzt.“

Zu sehen, wie viele unterschiedliche Menschen an diesem Tisch Platz nehmen und zuhören, wie sie leise lächeln, wie sie applaudieren, wie sie ihm anerkennend zunicken und wie viele Tränen auch rollen ... - das ist sehr berührend. Als ich dieses Video zuletzt gesehen habe, hatte es schon mehr als 210.000 Likes bekommen und war etwa 30.000 Mal geteilt worden. Eines dieser vielen Herzen habe ich hinterlassen, und geteilt habe ich es auch. Wenngleich es in meinem Fall nicht der Oma-, sondern der Papa-Tisch wäre. Gerne würde ich gerade ein letztes Mal mit ihm erzählen.

Wir halten aus, dass die Demokratie selbst bedroht wird

So einen Tisch wie den von Marlo Großhardt habe ich in unserer Straße, in unseren Städten hier noch nicht gesehen; und selber habe ich ihn auch nicht aufgebaut. Gespräche über den aktuellen Wahnsinn sowie die Ängste, die damit einhergehen, sind hier dennoch an der Tagesordnung. Vor allem, seitdem sich die (welt-)politischen Ereignisse überschlagen; seitdem die EU und Deutschland mittlerweile nicht mehr nur von Russland, sondern obendrein von Donald Trumps USA bedroht werden. Ausgerechnet in Zeiten, da wir in unserer liberalen Demokratie das Risiko in Kauf nehmen, dass an der Architektur dieser Demokratie geruckelt wird. Derweil kann ich es kaum aushalten, dass aktuell 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler einer Partei folgen, die unsere Demokratie zu ihren Zwecken ausnutzt - und sogar noch ganz unverhohlen damit wirbt, genau die daran geknüpften Freiheiten anschließend einschränken zu wollen.

Mit den allermeisten Menschen teile ich diese Sorge, dieses Unverständnis. Das heißt nicht, dass es immer auch Lösungen gibt, wenn man miteinander spricht. Aber allein das regelmäßige Vergewissern, dass die eigenen Komplizen genauso ticken wie man selbst - die Freunde, die Familie, die Kollegen -, das hält zumindest die Hoffnung auf eine friedliche, auf eine auskömmliche Zukunft hoch. Anders fühlt es sich an, wenn man gänzlich unterschiedliche Ansichten vertritt.

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Neulich zum Beispiel war ein Handwerker bei uns im Haus, den ich nicht kannte. Als das Thema durch Zufall auf AfD-Chefin Alice Weidel und deren radikale Aussagen kam, stellte sich schnell heraus, dass wir eine grundsätzlich andere Sicht auf die Dinge haben. Es folgte ein vorsichtiges Herantasten. Aber dann die positive Überraschung: Der Mann, der sich gerade noch in Allgemeinplätzen erging, hörte sich meine Gegenrede aufmerksam an:

  • Dass es beispielsweise völlig unrealistisch ist, die etwa 3.800 Kilometer lange Grenze Deutschlands Tag und Nacht von der Bundespolizei bewachen zu lassen. (Abgesehen davon, dass Migration anders gesteuert und Integration verbessert werden muss, sinnvoll und rechtskonform, würde auch keine der weiteren propagierten Maßnahmen (...) solche Wahnsinnstaten wie die in München, Magdeburg oder Aschaffenburg jemals verhindern können.)
  • Dass wir nicht einfach die (defekte) Erdgasleitung Nordstream 2 nach Russland aktivieren können, ohne sich der wichtigsten Verbündeten zu berauben und uns obendrein in die Abhängigkeit eines Despoten zu begeben.
  • Dass eine Abkehr von der EU, die Rückkehr zu nationalen Währungen oder Zöllen massenhaft Arbeitsplätze kosten würde, weil Deutschlands Wirtschaft in hohem Maße vom Export lebt - nahezu jeder vierte Arbeitsplatz hängt davon ab.
  • Dass die Abschaffung aller Gesetze rund um den Klimaschutz sowie die Forderung nach dem Einsatz fossiler Brennstoffe verheerende Folgen für die Umwelt hätte - und zwar nicht nur in Deutschland.
  • Dass die Selbstbestimmung der Frau sehr eingeschränkt würde (Abtreibung wäre nur noch in Ausnahmefällen erlaubt, kinderreiche Familie sollen gefördert werden, die Betreuung würde staatlich organisiert).

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Einen Moment lang schaute er mich an. Dann meinte er mit einem Lächeln: „Das ist ja was ... So was müssen die einem doch mal sagen ... Warum sagt das keiner?“ - Die Gegenfrage müsste lauten: Warum hört ihr denen, die all das sagen, eigentlich nicht zu?

Zehntausende Menschen stellen sich hier auf einer Demo in Bielefeld gegen Rechts. - © Nicole Donath
Zehntausende Menschen stellen sich hier auf einer Demo in Bielefeld gegen Rechts. (© Nicole Donath)

Was passieren kann, wenn Fakten nicht verfangen, womöglich nicht mal im eigenen Umfeld, das höre ich auch viel zu oft. Es geht um belastete Freundschaften, um zerstrittene Familien ... Und alles, obwohl etwa 80 Prozent der AfD-Anhänger gegen ihre eigenen Interessen wählen. Für was?

All jenen, die sich in diesen Auseinandersetzungen befinden, wünsche ich ein gemeinsames Kaffeetrinken mit Oma. Die davon erzählen kann, wie es damals war, als ein Wolf zu den Schafen sagte: „Wenn ihr mich wählt, werde ich anschließend zum Vegetarier!“ Den Tisch, den Kaffee, den Kuchen und eine Gitarre stelle ich gerne zur Verfügung.

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