
Vor kurzem war ich mit meinem Sohn am frühen Abend in Versmold spazieren. Ich hatte ihm versprochen, dass wir noch etwas durch die Stadt stromern - und ein Eis essen. Da ich mal wieder etwas länger als geplant vor dem Bildschirm gehockt und gearbeitet hatte, überschnitten sich jetzt irgendwie Abendbrot und Eisverspechen. Ganz lässig beschloss ich, das wie folgt zu bewerten: egal.
Und so schlenderten wir beiden um kurz nach 18 Uhr durch Versmolds Innenstadt, vorbei an gerade geschlossenen Cafés, dunklen Versicherungsbüros und dem ein oder anderen Ladenfenster, in dem ein Schild angebracht war: „Zu vermieten“. In der Eisdiele am Versmolder Marktplatz herrschte hingegen noch Betrieb, wir gönnten uns je zwei Kugeln in der Waffel - es sollte ja schließlich noch Abendbrot geben. Und dann ließen wir uns an diesem herrlichen Spätsommerabend in die drehbaren Liegestühle auf dem Kirchplatz sinken und blinzelten ein wenig in die Sonne.
Klingt perfekt? War es auch, Versmold ist schließlich ein schönes Städtchen und meine geschätzte Heimat. Direkt vor unseren Augen aber hatten wir das Dilemma dieser Tage: ein riesiges Geschäftshaus mit großzügigen Fensterfronten - auch dunkel und leer. Hier war einst die Buchhandlung Krüger zu Hause, zuletzt das Modehaus M1. Ein sogenannter „Frequenzbringer“, wie es im Einzelhandelsdeutsch dann immer heißt.
Brutale Herausforderung für größere Kaufhäuser
„Warum steht das eigentlich leer?“, fragte mich mein Sohn. Und ich konnte nur mit den Achseln zucken. Weiß aber innerlich: Weil es für ein Modehaus dieser Größe in einer so kleinen Stadt wie dieser nahezu brutal ist, wirtschaftlich zu überleben. Blickt man nach Halle zum Modehaus Brinkmann, dann sieht man, wie viel Leidenschaft, Kreativität und ständige Beweglichkeit erforderlich sind, um selbst eine solche Traditionsadresse zu erhalten. Aber muss man nur ein bisschen mehr tun - und dann wird das schon? Ganz selbstverständlich? Offenbar nicht.
Wer aufmerksam durch die Innenstädte und angrenzende, einst gut frequentierte Einkaufsstraßen unserer Altkreis-Städte geht, der wird immer wieder leer geräumte Läden finden und die zunehmend verzweifelt wirkenden Vermietungsangebote. Mit ein wenig Glück können einstige Verkaufsflächen heute zu Dekozwecken genutzt werden: Da stellt ein Autohaus dann Oldtimer rein, oder es werden Bilder gezeigt.
In Versmold betreibt wenige Meter neben dem leeren Geschäftshaus Rosi Dieckmann-Rose seit nunmehr zehn Jahren einen liebvoll gestalteten Tee- und Geschenkeladen. Immer wieder lässt sich die Vorsitzende der Versmolder Kaufmannschaft neue Aktionen einfallen, gibt sich ihrer Herkunft entsprechend rheinländisch-optimistisch und lässt sich nicht unterkriegen. Aber offensichtlich ist: Sie bedient eine Nische, ist leidensfähig und hat auch nicht immer stärkste Phasen in ihrem Geschäft.
Alte Innenstädte verschwinden Laden für Laden
Mein Kollege Tobias Barrelmeyer war vor einigen Tagen im Haller Geschäft „Hygge“ zu Gast. Ein wunderbarer, kleiner Laden, in dem Michaela Duckert skandinavische Produkte vertreibt. Anfangs profitierte sie von einer Bezuschussung der Ladenmiete durch das Land NRW, jetzt macht sie auch ohne Förderung weiter. Aber auch sie tut das auf kleinem Raum, mit überschaubaren Öffnungszeiten und einem weiteren Job.
Was das heißt: Wir können zwar stolz auf die kreative Kraft unserer Kaufleute sein, die in Halle zum Beispiel Innenstadtmanager Frank Hofen auch immer weiter anfachen und unterstützen will. Damit die Menschen, die durch die Stadt bummeln, etwas fürs Auge finden und auch gern den nächsten Spaziergang durch die Stadt unternehmen. Aber kleine Erfolgsgeschichten wie diese werden uns unsere alten Innenstädte nicht zurückbringen.
Denn in erster Linie werden leer stehende Ladenlokale heute von Friseuren, Kanzleien, Versicherungsagenturen und anderen Dienstleistern besetzt. Wo will man den hier noch bummeln, klagen dann die Eingeborenen. Wir haben doch hier nichts mehr ... Aber jene, die beim Spaziergang über das doch bescheidene Angebot mosern, kaufen dann abends auf dem Sofa auch bei Amazon. Und nicht im noch verbliebenen Modehaus, der heimischen Buchhandlung oder dem liebevollen Geschenke-Shop.
Ketten und Dienstleister dominieren die Straßen
Und welche Art von Einzelhandel setzt sich dann im Zentrum durch? Ketten, die sowohl die Marktmacht als auch die finanzielle Power haben, um sich zunehmend zu Vollsortimentern zu entwickeln: Rossmann wird in jeder Kleinstadt bejubelt, Tedi auch. Weil man da für kleines Geld eben fast alles haben kann: hier ’ne Fußmatte, da ’nen Schreibblock und noch ein paar Teelichter dazu. Express-Shopping finden viele geil. In Halle wurde diskutiert, ob man denn jetzt noch Fielmann brauche - es gebe doch schon genug Optiker. Fielmann ist das egal, die werden ihr Publikum finden, weil sie die Power haben, sich mit Präsentation und Preisen durchzusetzen.
Ketten und Dienstleister werden also über kurz oder lang unsere Innenstädte prägen, so ehrlich müssen wir sein. Hoffentlich wird es dann noch die kleinen Farbtupfer wie „Hygge“ in Halle oder „Rosis Schenken und Genießen“ in Versmold geben, vielleicht auch große Ausnahmen wie das Modehaus Brinkmann. Sie verdienen alle Unterstützung.
Von Baustellen kann sich der Einzelhandel erholen
Aber das klassische Shopping von Laden zu Laden wird endgültig verschwinden - und das ist keine destruktive Analyse. Übrigens unabhängig von großen Baustellen in der Innenstadt, wie es sie in Versmold gab und in Halle geben wird. Davon kann sich der Einzelhandel erholen - vom neuen Kaufverhalten der Menschen nur schwer.
Es wird also mehr denn je darauf ankommen, in unseren Zentren Aufenthaltsqualität zu schaffen und Plätze zu gestalten, auf denen man sich auch ohne Shoppingversprechen gerne aufhält. Aber eines möchte ich hier auch im Sinne meines Sohnes betonen: Ein Eis muss immer drin sein.