Unsichere Zukunft des Haller Krankenhauses: Jetzt reden Ärzte und Hebammen

Halle. Vera Schmidt bittet zum Gespräch in das Büro auf dem Flur des Kreißsaals. Die 27-jährige Hebamme hat sich über die Anfrage des "Haller Kreisblatts" gefreut, denn sie hat viel zu sagen: präzise auf den Punkt, voller Leidenschaft für ihren Beruf und zugleich sehr enttäuscht über die Debatte, die in den vergangenen Monaten entstanden ist. Neben ihr sitzt wenig später Jose Gonzalez, Belegarzt für Frauenheilkunde am Klinikum. In einem Moment reibt er sich noch müde die Augen - im nächsten benennt er klipp und klar, worauf es für das eingespielte Team am Haller Klinikum jetzt ankommt. Krankenkassen wollen Sparkurs Die Wogen in der Diskussion um das Haller Krankenhaus schlagen seit vielen Wochen hoch. Wie berichtet fordern die Krankenkassen in den Verhandlungen über die Finanzierung mit den Krankenhaus-Trägern, die Abteilungen Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Haller Krankenhaus zu schließen. Man wurde sich nicht einig, nun wird das NRW-Gesundheitsministerium wohl bis Jahresende eine Entscheidung treffen. Was fühlen die Betroffenen? So weit die Fakten einer Debatte, die bislang um Wirtschaftlichkeit, Auslastung und mindestens erforderliche Erreichbarkeit von Krankenhäusern im ländlichen Raum geführt wurde. Doch was macht das eigentlich mit den Menschen, über deren Köpfen dieses Damoklesschwert kreist? Das wollte das HK beim Ortstermin herausfinden. Unterschiedliche Reaktionen "Das Ganze kam für uns ziemlich überraschend. Wir haben von den Forderungen der Krankenkassen im Juni aus der Zeitung erfahren", berichtet Vera Schmidt als Sprecherin des Hebammen-Teams. "Der Umgang damit war hier durchaus unterschiedlich. Denn wer länger in Halle dabei ist, der kennt diese Sorgen eines kleinen Hauses. Da wurde immer mal über die Schließung von Abteilungen geredet." Gynäkologe ist alarmiert Das kann Jose Gonzalez nur bestätigen: "Ich bin seit 1998 als Belegarzt hier. Da gab es wiederholt Gerüchte. Aber gefühlt hat das jetzt schon eine andere Dimension." Vera Schmidt berichtet von einem gewissen Gefühl der Ohnmacht: "Die Kommunikation hat uns bislang etwas gefehlt. Wobei wir natürlich sehr glücklich über die Unterstützung sind, die wir vor kurzem bei der Demonstration für das Haller Krankenhaus erfahren haben." Bevölkerung ist verunsichert Rückhalt, das Gefühl von Sicherheit - darauf kommt es für Jose Gonzalez in der jetzigen Situation vor allem an: "Ich habe festgestellt, dass es eine große Verunsicherung in der Bevölkerung gibt", berichtet der 61-Jährige, der gemeinsam mit Thilo Bosse als Belegarzt die Frauenheilkunde im Haller Klinikum betreut. "Denn auch Frauen außerhalb des gebärfähigen Alters, die hier von uns operiert werden, würden die Aufgabe dieses Angebotes als große Katastrophe empfinden." Angst vor selbst verstärkendem Prozess Was sowohl Schmidt als auch Gonzalez befürchten: dass sich nun ein negativer Prozess selbst verstärkt. Denn wenn sich weniger Frauen für eine Geburt oder Behandlung im Haller Krankenhaus entscheiden würden, weil über die Schließung der Abteilungen diskutiert wird, sänken automatisch auch die Fallzahlen. Was wiederum die Position der Krankenkassen in künftigen Gesprächen stärken würde. Patienten können sich sicher fühlen Essenziell wichtig ist es für Vera Schmidt deshalb zu betonen: "Die Sache ist noch nicht entschieden. Und generell gilt: Aktuell Schwangere oder Frauen, die es in naher Zukunft werden und sich in Halle betreuen lassen wollen, wären von einer irgendwie gearteten Entscheidung nicht betroffen." Die Hebamme ist ein Stück weit frustriert: "Wir haben hier ein Team von zehn Hebammen und sind damit personell so gut aufgestellt wie seit Jahren nicht." Und das, wo man überall von Personalmangel höre. "Hinzu kommen zwei Belegärzte und zufriedene Patientinnen. Unser kleines Ökosystem funktioniert. Da ist eine solche Debatte nur schwer zu begreifen." Kein Wettlauf um Zahlen Das Klinikum habe sich im vergangenen Jahr zudem auf 452 Geburten gesteigert. "Wobei ich mich daran eigentlich gar nicht festhalten möchte. Denn dann spielen wir das Spiel der Kassen ja mit. Es sollte doch um die Qualität der Betreuung gehen. Die ist ein Wert an sich und unser wichtigstes Argument", so Schmidt. Modell in Halle nicht zu vergleichen Für Jose Gonzales ist die aktuelle Diskussion ohnehin im Wesentlichen eine Scheindebatte, denn: "Abteilungen als solche gibt es hier für Frauenheilkunde und Geburtshilfe doch gar nicht. Wir sind selbstständige Fachärzte, die hier Betten belegen: Chefärzte, Oberärzte, etc. haben wir doch gar nicht. Unser Konstrukt ist wirtschaftlich etwas ganz anderes als eine klassische Hauptabteilung im Krankenhaus. Und darüber hinaus schreiben wir schwarze Zahlen." Gesundheit kein Geschäftsmodell Das Vertrauensverhältnis zu den Medizinern, die kurzen Wege - all das seien Werte, die in den Verhandlungen gar nicht abgebildet werden könnten, sagt Vera Schmidt: "Gesundheit von Menschen als Business - wenn man es so betrachtet, lohnt sich doch fast nichts." Und vor diesem Hintergrund muteten Vorgaben absurd an. "Wie Geburten vergütet werden, ist ein Witz. Und das eine Geburt maximal vier Stunden dauern darf, um wirtschaftlich zu sein, ebenso. Das ist angesichts von Vor- und Nachsorge doch völlig unrealistisch." Und wer habe sich eigentlich ausgedacht, dass 40 Minuten Anfahrt zu einem Kreißsaal noch vertretbar seien? Mal ganz abgesehen davon, dass die Politik auch den großen Häusern mit zahlreichen Vorgaben keinen Gefallen tue. Halle muss sich nicht verstecken "Zentren für komplexe Herz-OPs oder Krebsbehandlungen zu gründen, das kann ich nachvollziehen", sagt Jose Gonzalez. "Aber die Geburtshilfe ist doch die Grundlage der medizinischen Versorgung. Mehr Basis geht nicht." Halle könne sich mit jeder großen Klinik messen, was Betreuungsqualität, das Vorhalten einer Intensivstation und selbst gegebene Standards angehe. "Und was auch sonst? Wir haften doch dafür", sagt Gonzalez. Debatte macht auch wütend "Wir brauchen die Sicherheit, dass sich Frauen weiter für uns entscheiden", appelliert Vera Schmidt. "Denn wir wollen doch auch nicht in große Häuser wechseln." Dass es immer wieder Debatten um die Schließung von Kreißsälen gebe, mache sie ein Stück weit wütend. Jose Gonzalez gibt sich pragmatisch bis zupackend: "Was wir jetzt tun können? Weiterarbeiten, unseren Job machen und unser Bestes geben." Und dann müssen der Gynäkologe und die Hebamme auch schon weiter ins Tagesgeschäft - denn das ruht in Halle eben nie.

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