Der Wochenkommentar

Die Sorge um das Haller Krankenhaus ist berechtigt: Kämpfen macht Sinn

Mit einem Protesttag will eine Aktionsgemeinschaft am 28. September für die Klinik kämpfen. Es gibt genug warnende Beispiele aus der Region, die diese Demo begründen. Das sind die Perspektiven.

Das Klinikum Halle ist in das Visier der Krankenkassen geraten. Die fordern, zwei Abteilungen des Hauses zu schließen. | © Nicole Donath

Marc Uthmann
23.09.2023 | 27.09.2023, 15:43

Nun ist sie also in ihrer vollen Breite in der Bevölkerung angekommen, die Sorge um das Haller Krankenhaus. Gerade erst protestierten Beschäftigte von Kliniken bundesweit für bessere finanzielle Ausstattung in wirtschaftlichen Krisenzeiten, da rückt ein für die medizinische Versorgung vor Ort extrem wichtiger Termin immer näher: Die Demonstration für eine gesicherte Zukunft des Standortes in der Lindenstadt.

Die Botschaft ist eine kämpferische: "Finger weg vom Haller Krankenhaus" heißt es am Donnerstag, 28. September, bei der Kundgebung am Portal der Klinik. Die Angst vor einer Schließung von Geburtshilfe und Frauenheilkunde ist groß, denn die Streichung der beiden Abteilungen haben die Krankenkassen explizit gefordert. Letztlich müssen die Bezirksregierung in Detmold und das NRW-Gesundheitsministerium in Düsseldorf darüber entscheiden. Und im Vorfeld dieser so wesentlichen Weichenstellung ist es umso wichtiger, ein Signal der Stärke und Geschlossenheit zu den Verantwortlichen zu senden.

Und die Reihen, sie haben sich in den vergangenen Wochen geschlossen: Mit dem gemeinsamen Auftritt der fünf Altkreis-Bürgermeister, mit den Resolutionen aus den heimischen Räten - vor allem aber mit den rund 8.800 Unterschriften aus der Bevölkerung für den Erhalt der Stationen des Haller Krankenhauses.

Deutliche Parallelen zu Schicksalen anderer Krankenhäuser

Alle scheinen realisiert zu haben, dass es hier um mehr geht: um die Zukunft des Krankenhauses an sich. Denn immer deutlicher werden die Parallelen zu den Schicksalen anderer ländlicher Krankenhäuser in den vergangenen Jahrzehnten: Werther, Versmold, zuletzt Dissen - es begann mit der Schließung von Stationen und endete mit dem Aus des gesamten Hauses - weil sich das nun auch nicht mehr wirtschaftlich betreiben lasse.

Erst aushöhlen und dann dichtmachen, diese unheilvolle Folge von Maßnahmen muss in Halle durchbrochen werden. Halle sei "ein Gesundheitsanker für die Region" hatte der heimische SPD-Landtagsabgeordnete Thorsten Klute zuletzt betont - und damit darauf verwiesen, dass dieses Krankenhaus gerade durch die Schließung der umliegenden ländlichen Einrichtungen eine noch größere Bedeutung für die Bevölkerung gewonnen habe.

Dennoch waren die Reaktionen auf die Pläne der Krankenkassen zunächst zögerlich bis parteipolitisch taktierend. Halles Bürgermeister Thomas Tappe war im Juni hörbar bemüht, kein Öl ins Feuer zu gießen, um bei Entscheidern eventuell verärgerte Reaktionen zu kassieren. Er zeigte sich "optimistisch, dass die weiteren Gespräche ein positives Ergebnis haben werden". Mittlerweile hat der Verwaltungschef seine Zurückhaltung aufgegeben und bemüht sich, an die Spitze der Bewegung zu kommen: "Die Abteilung Geburtshilfe und Frauenheilkunde braucht jetzt unsere sichtbare Unterstützung", fordert er im Vorfeld der Demonstration - und dokumentiert damit auch, dass die Lage ernst ist.

Nerven liegen blank, Kliniken unter Druck

Die Menschen in der Region reagieren ohnehin sensibel, wenn es an das gefühlt letzte verbliebene Krankenhaus im näheren Umkreis geht. Das belegen wütende Mails an das "Haller Kreisblatt", als wir über gerichtliche Auseinandersetzungen des Krankenhauses Halle mit Patienten wegen Behandlungsfehlern berichtet haben. Tenor: Wollt ihr die Schließung des Hauses herbeischreiben? Nein, natürlich nicht.

Die Nerven liegen seit geraumer Zeit so blank, wie die Kliniken unter Druck stehen. Nicht erst seit Corona tun sich gerade kleine Häuser schwer: Sie müssen sich über Fallpauschalen finanzieren, dabei haben sie dafür eigentlich nicht genügend Fälle. Und können so ihrer eigentlichen Aufgabe, die medizinische Grundversorgung in der Region zu sichern, immer schwerer nachkommen. Hinzu kommen - Corona sei Dank - Personalmangel und schließlich gestiegene Kosten. Die stationäre medizinische Versorgung steckt in der Krise.

Die Krankenkassen kratzen immer wieder an diesen Fragen, wollen mehr Effizienz im System, fordern die Streichung von gewissen Angeboten. Was gerade in Halle mit Blick auf Geburtshilfe und Frauenheilkunde absurd klingt - arbeiten beide Abteilungen laut Klinikum Bielefeld doch profitabel.

Halle als wichtiger Baustein der Grundversorgung

Der viel kritisierte SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich der Grundsatzfrage indes durchaus analytisch gestellt. Natürlich gebe es in Deutschland zu viele Krankenhäuser - aber doch eher in Großstädten, diagnostiziert er. Und natürlich müsse nicht jede Klinik alles machen. Es gehe um Spezialisierung mit dem Ziel, eine höhere Qualität der Versorgung zu erreichen.

Es gehe aber auch - und hier kommt Halle ganz besonders ins Spiel - um die Existenzsicherung von Häusern, die eine medizinische Grundversorgung ermöglichen. Das tut Halle in dieser Region zweifellos. Darf man solche Institutionen knallhart nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilen und ihnen ein Wettrennen um Fallpauschalen aufzwingen? Nein, findet Lauterbach. Sein Kompromiss sieht vor, dass Krankenhäuser künftig zu 60 Prozent pauschal finanziert werden. Und so aus dem Hamsterrad aussteigen könnten. Ein höherer Anteil ambulanter Behandlungen soll zudem dazu führen, dass die Zahl der Nachtschichten sinkt und das Personal entlastet wird.

Klingt paradiesisch - ist allerdings hoch umstritten zwischen den zahlreichen Akteuren, die im Gesundheitssektor mitmischen. Und an dieser Reform womöglich noch Jahre zerren werden. Umso wichtiger, dass vom für die Region so wertvollen Haus in Halle auch alles Wertvolle übrig bleibt. Denn Lauterbach will - angeblich schon Anfang 2024 - ein Bewertungssystem für Kliniken aufbauen. Klingt irgendwie wieder nach neuem Druck.

Es gibt genug Gründe, am 28. September zu kämpfen

Es gibt also wahrlich genug, für das es sich am 28. September zu kämpfen lohnt. Gut, dass sich diese Erkenntnis jetzt auf breiter Basis durchgesetzt zu haben scheint.