Lebkuchen Schulze in Borgholzhausen: So sieht Weihnachten im Hochsommer aus

Borgholzhausen. Das Beste kommt zum Schluss, suggeriert der Volksmund. Und das Beste kam wirklich zum Schluss. Die umfangreiche Führung durch die Produktionsstätten bei Lebkuchen Schulze neigt sich gerade dem Ende entgegen, da sagt Geschäftsführer Arne Knaust: Zum Abschluss machen wir noch einen Schwenk durch die &bdquo;Abteilung der Herzen“. Abteilung der Herzen, denke ich, hört sich interessant an. In dem großen Raum, der ein wenig an meinen alten Chemieraum zu Schulzeiten erinnert, sind zahlreiche Lebkuchenherzen auf langen Tischen ausgelegt. Mehrere Mitarbeiterinnen haben weiße Spritzbeutel in den Händen, die mit verschieden farbigen Massen gefüllt sind. Auf Druck quillt die Masse aus der Düse. Die Frauen erstellen in Windeseile per Hand den Schriftzug für das jeweilige Lebkuchenherz. Sie schreiben in wenigen Sekunden: &bdquo;Ich hab Dich sooo lieb“, &bdquo;Mit Dir auf Wolke 7“ oder &bdquo;O’ zapft is“. &bdquo;500 Stück schafft eine Mitarbeiterin in etwa pro Tag“, informiert Arne Knaust. Das ist an diesem Tag im Juli auch nötig, schließlich steht das Oktoberfest im Herbst in München an. Für seinen Hauptabnehmer in puncto Lebkuchenherzen will man bei Schulze nichts dem Zufall überlassen. Rund 300.000 Herzen produziert das Traditionsunternehmen im ganzen Jahr. 3.500 Varianten von Lebkuchenherzen Die Abteilung der Herzen trägt ihren Namen unter anderem auch, weil &bdquo;wir unseren Kunden anbieten, jedes Herz auf Wunsch individuell zu gestalten“, so der Geschäftsführer. Das sei zwar keine wirtschaftliche Entscheidung, aber eben eine des Herzens. &bdquo;Wir stehen dazu“, betont Arne Knaust: &bdquo;Zu dem Service und zu der Beschriftung von Hand.“ Da entstehen übers Jahr rund 3.500 Herzvarianten. Ein Versuch, gemeinsam mit der Universität Hannover und einem Roboter, diesen Prozess zu automatisieren, ist gescheitert. &bdquo;Zum einen waren die Ergebnisse bei Schrift und Garnierung nicht zufriedenstellend, zum anderen kam die Texterfassung mit dem Bayerischen nicht wie gewünscht klar“, erzählt Knaust und schmunzelt. Sein Lächeln wird noch breiter, als mir seine Kollegin einen frisch gefüllten Spritzbeutel in die Hand drückt und mich ostwestfälisch auffordert: &bdquo;Na dann mal los, jetzt sind Sie dran.“ Dazu später mehr. Erst einmal zurück auf Anfang. Es ist Mitte Juli und mitten im Sommer. Warme bis heiße Außentemperaturen. Und an der Ravensberger Straße 3 in Borgholzhausen dreht sich alles um Weihnachtsgebäck. In der Produktionshalle von Lebkuchen Schulze läuft die Hochsaison. Sechs-Tage-Woche für die Belegschaft. Das 200 Jahre alte Traditionsunternehmen bereitet sich generalstabsmäßig auf die anstehende Verkaufszeit im Spätherbst und Winter vor. Ein Besuch im süßen Universum zeigt, wie man bei rund 30 Grad Celsius in Weihnachtsstimmung kommen kann. Zum Thema: Lebkuchen Schulze in Borgholzhausen: Verkaufsschlager &bdquo;süße Eimer“ Schulze produziert seit 1874 Lebkuchen in Borgholzhausen Am Eingang begrüßt Geschäftsführer Arne Knaust den Besucher. Er wartet zunächst einmal mit Papierkram auf. &bdquo;Der muss leider sein“, entschuldigt er sich: &bdquo;Aber so wollen es die Hygienevorschriften.“ Vor dem Eintritt gibt es Schutzkleidung und Benimmregeln. Kein Schmuck, lange Hosen, keine schulterfreie Oberbekleidung. Sogar ein speziell desinfizierter Kugelschreiber wird von Schulze gestellt. Ferner gibt es einen weißen Kittel, eine Haube für das Haupthaar in einem modisch zu hinterfragenden Rot-Magenta sowie eine Schutzmaske für Nase und Bart. Corona lässt grüßen. Zuletzt wird noch geklärt: Alkoholisiert? Nein! Erkältet? Auch nein! Offene Wunden? Wieder nein! Dann kann es losgehen. Schon hinter der ersten Tür steigt die Raumtemperatur, und der wohlig-warme Duft von Süßem legt sich wie eine kuschelige Decke um den Besucher. Der Geruchssinn schaltet in den Advent-Modus. In der Produktionshalle angekommen, hakt Arne Knaust sofort ein: &bdquo;Wie man sieht, ist hier alles alt.“ Im 19. Jahrhundert diente das Gebäude einer Segeltuchfabrik, seitdem hat sich hier nur unwesentlich was verändert. Schulze produziert seit 1874 Lebkuchen - auch heute noch auf den Fundamenten von damals. &bdquo;Die Säulen dort sind noch die Originalsäulen“, sagt Knaust. Familienunternehmen wird in sechster Generation geführt &bdquo;Wir haben in der Vergangenheit intern schon einmal darüber diskutiert, eine neue Fabrik zu bauen, aber das haben wir dann bewusst verworfen. Wir stehen zu unseren Traditionen und zu unserer Geschichte“, betont der 34 Jahre alte Chef des Familienunternehmens (in sechster Generation!). Schließlich bedeute &bdquo;alt“ auf keinen Fall &bdquo;schlecht“ oder &bdquo;nachteilig“. Ganz im Gegenteil. Kürzlich habe man mehrere 55 Jahre alte Maschinen gewartet und prüfen lassen. &bdquo;Dabei ist herausgekommen, dass die sich in einem Topzustand befinden“, sagt Arne Knaust stolz und schickt hinterher: &bdquo;Heute geben die Hersteller für neue Geräte lediglich eine Lebensdauer von gerade einmal zehn Jahren an.“ Mit der Entscheidung für den Traditionsstandort nimmt der Betrieb Schulze in Kauf, dass &bdquo;bei uns im Gegensatz zu anderen meist deutlich größeren Produzenten keine kontrollierte Atmosphäre herrscht“, informiert Arne Knaust. Soll heißen: In der Lebkuchen-Fabrik ist es warm, wenn es draußen warm ist. Und kalt, wenn es draußen kalt ist. Wahrscheinlich der kleinste industrielle Lebkuchen-Hersteller Deutschlands Damit hat Schulze ein Alleinstellungsmerkmal. &bdquo;Wir sind wahrscheinlich der kleinste industrielle Lebkuchen-Hersteller in Deutschland“, wirbt Arne Knaust: &bdquo;Bei uns stehen die Handwerkskunst und das individuell gefertigte Produkt im Vordergrund.“ Schulze fertigt sämtliche seiner rund 700 Rezepturen aus einem Grundteig, der sogenannten &bdquo;braunen Moppe“. Knaust: &bdquo;Wie vor 200 Jahren: 50 Prozent Zuckersirup und 50 Prozent Mehl.“ Nachdem die beiden Zutaten zusammengerührt wurden, steht der Teig in großen silbernen Schütten offen in der Halle. &bdquo;Hier verdirbt nichts, der Teig kann bis zu einem Jahr lagern“, so Knaust. Ab diesem Zeitpunkt spielen die Außentemperaturen eine besondere Rolle für den Herstellungsprozess. &bdquo;Ist es warm, ist der Teig weicher. Ist es kalt, ist er härter.“ Buchstäblich dem Fingerspitzengefühl des Bäckers obliegt beim Knetvorgang das Feintuning. Er entscheidet, ob bei dem Veredelungsprozess mit Gewürzen, Nüssen und anderen Zutaten eben auch noch mit Flüssigkeit oder Mehl nachgesteuert wird. Auslieferung der Ware in Kalenderwoche 33 Dieser Ablauf ist von entscheidender Bedeutung, weil der Teig anschließend auf die Walze kommt. Dort beginnt eine 35- bis 55-minütige Reise über eine 125 Meter lange Produktionsstraße, an dessen Ende das fertige Verkaufsprodukt vom Band läuft. Hat der Teig am Anfang die falsche Konsistenz, verklebt er auf der Walze, und das Ausstechen des Teiges zur Herzform misslingt. Anschließend werden die Schokoherzen mit Marmelade &bdquo;geimpft“ und mit Schokolade überzogen. Da sich das süße Kapital der Außentemperatur anpasst, ist die Arbeit der Temperiermaschine von hoher Bedeutung. &bdquo;Ist alles richtig eingestellt, können wir fast auf den Zentimeter genau sagen, an welcher Stelle auf dem Förderband die Schokolade noch klebrig und wo bereits trocken ist“, erläutert Arne Knaust. Schließlich wird die leckere Fracht verpackt und konfektioniert. In der Kalenderwoche 33, ab dem 12. August, beginnt die großflächige Auslieferung, denn ab September landet die Ware in den Regalen der Lebensmittelläden. Auch die Lebkuchenherzen sind dann auf dem Weg in Richtung bayerische Landeshauptstadt, wo ab dem 21. September die Riesen-Gaudi steigt. &bdquo;Vielen Dank für den Besuch“ Ich hingegen stehe immer noch mit dem Spritzbeutel in der Hand vor dem nackten Lebkuchenherz und muss spontan kreativ werden. Ich schreibe: &bdquo;Vielen Dank“ und garniere den wackeligen Schriftzug mit einem schiefen Herz und ein paar bunten Blümchen.

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