
Mitteilungen wie die des Fenster- und Türenherstellers Schüco werden in diesen Monaten zur Routine: Für sein Werk in Borgholzhausen kündigt das Unternehmen den Abbau von bis zu 80 Arbeitsplätzen an. Natürlich - auch das klingt mittlerweile vertraut - so „sozialverträglich“ wie möglich. Damit dürfte allerdings auch das Angebot von Aufhebungsverträgen gemeint sein.
Mitarbeitende, die solche Vereinbarungen unterschreiben, werden zwar nicht betriebsbedingt gekündigt. Und ein solcher Abschied mag in der jeweiligen Situation für sie auch die beste Lösung sein. Allerdings haben sie letztlich keine andere Wahl - und den Verlust ihrer Arbeitsstelle zuvor auch nicht aktiv angestrebt.
Der heimische Arbeitsmarkt zeigte sich jetzt seit vielen Jahren robust, trotzte konjunkturellen Dellen, der Corona-Pandemie und der Inflationskrise. Im Gegenteil: Wie oft hat das „Haller Kreisblatt“ über Arbeitgeber berichtet - vom kleinen Gastrobetrieb über mittelständische Unternehmen bis hin zu Konzernen -, die händeringend Fachkräfte suchen und zahlreiche offene Stellen zu vergeben hatten. Mitunter können Aufträge nicht abgearbeitet werden oder Aufgaben bleiben liegen - weil das Personal fehlt.
Arbeitende werden weniger und sind umso begehrter - eigentlich
Umgekehrt konnte sich der Eindruck verfestigen: Die Sorge um den Arbeitsplatz - noch um die Jahrtausendwende allgegenwärtig - gehört nun der Vergangenheit an. Zumal der demografische Wandel den arbeitenden Menschen ja in die Hände spielt - sie werden immer weniger, ihre Arbeitskraft also immer begehrter.
Wie passt das zusammen mit den Hiobsbotschaften, die sich in diesen Tagen auch in der heimischen Wirtschaft häufen? Vor Kurzem kündigte der Automobilzulieferer Schaeffler an, im Zuge der Krisenbewältigung auch über weiteren Arbeitsplatzabbau nachzudenken. Die Beschäftigungssicherung für das Steinhagener Werk gilt lediglich bis 2025 - womöglich stehen weitere der 260 verbliebenen Arbeitsplätze dann wieder zur Disposition.
Der Wälzlagerhersteller Jtekt mit immerhin 600 Beschäftigten hatte zu Beginn des Jahres verkündet, die Kurzarbeit im Werk im Haller Ortsteil Künsebeck fortsetzen zu müssen - die Auswirkungen der kriselnden Autoindustrie zeigen sich auch hier.
Menschen im Altkreis geraten zunehmend in Sorge
Der Druckdienstleister Flexicon aus Halle hat seine Rosskur (mit Insolvenzverfahren) schon hinter sich, Gerry Weber ist enorm geschrumpft, der Versmolder Fleischwarenhersteller TFB schließt Standorte und steht seit Monaten schwer unter Druck.
All diese Krisen kommen jetzt bei den Menschen im Altkreis Halle an: Sie können weniger arbeiten, verlieren Jobs, geraten zunehmend in Sorge. Und so schnell hellt sich die Stimmung nicht wieder auf: Im Jahr 2024 wird es in Deutschland nach der Prognose des ifo-Instituts im Jahresmittel rund 2,74 Millionen Arbeitslose geben. Ihre Zahl würde somit im Vergleich zum Vorjahr deutlich steigen. Für 2025 prognostiziert das ifo-Institut eine Arbeitslosenzahl auf einem leicht niedrigeren Niveau. Immerhin.
Die Wirtschaftsentwicklung stagniert, und die Arbeitskräftenachfrage der Betriebe nimmt ab, erklärt etwa Holger Schäfer, Arbeitsmarktökonom am Institut der deutschen Wirtschaft. Unternehmen seien vielmehr zurückhaltender bei Einstellungen geworden. „Dies macht den Einstieg in Arbeit für Arbeitsuchende schwerer“, so Schäfer.
Heimische Unternehmen bauen Stellen ab - und suchen zugleich Personal
Doch obwohl Betriebe weniger Neueinstellungen vornehmen wollten, könnten sie ihre bestehenden Vakanzen nach wie vor nur mit Mühe besetzen, so der Experte weiter. Und hier sind wir beim vermeintlichen Widerspruch zum Fachkräftemangel angelangt: „Während Unternehmen in erster Linie Fachkräfte benötigen, ist der Zielberuf der meisten Arbeitslosen eher im Bereich der Einfacharbeit angesiedelt. Qualifizierung kann helfen, ist aber auch nicht für jeden die geeignete Lösung.“
Genau diese Erfahrung habe ich jüngst gemacht, als ich zum Gespräch bei einem heimischen Mittelständler aus dem produzierenden Gewerbe zu Gast war: Der musste einerseits schmerzhaft Überkapazitäten in der Verwaltung abbauen, weil die Nachfrage abgesackt war. Und hat jetzt andererseits massive Probleme, die wieder anziehende Zahl der Aufträge abzuwickeln - weil die Fachkräfte im gewerblichen Bereich fehlen.
Das Unternehmen findet aber nicht einmal Auszubildende - und wird notgedrungen auf die interne Qualifizierung setzen müssen. Diese Misere kann auch die Bundesagentur für Arbeit mit einem Bericht aus März 2024 belegen: Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen sucht eine Beschäftigung auf Helferniveau - jedoch richten sich fast 80 Prozent der gemeldeten Stellen an Fachleute.
Für manche Berufszweige wird es eng
Engpässe seien vor allem in Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufen, in Bau- und Handwerksberufen oder auch in IT-Berufen auszumachen. Dagegen gebe es zum Beispiel in Büroberufen, in der Lagerlogistik oder auch in künstlerisch-kreativen Berufen vergleichsweise viele Arbeitslose auf wenige gemeldete Stellen. Das ist der Fachkräftemangel auf den Punkt gebracht.
Und somit liegt der Grund auf der Hand, warum auch im Altkreis Halle vermehrt Menschen um ihren Job bangen. Und eben nicht so leicht auf die nächste Stelle wechseln können. Es wird mehr denn je darauf ankommen, zusätzliche Qualifikationen zu erwerben - und erwerben zu wollen. Sonst dürfte die neue Unsicherheit nicht so schnell verschwinden.