Insgesamt liegen der Polizei sechs Anzeigen vor, wie Pressesprecher Karl-Heinz Stehrenberg gegenüber dem HK bestätigte. Sie wurden allesamt an den Staatsschutz in Bielefeld weitergeleitet. Polizeisprecherin Hella Christoph teilte mit, dass man die Ermittlungen aufgenommen hätte. Noch werden allerdings dringend Zeugen gesucht, die Hinweise geben können: Wer Beobachtungen gemacht hat, die zur Ergreifung der Täter dienen, möge sich bei der Polizei unter der Telefonnummer (05 21) 54 50 melden.
Offen ist die Frage, inwiefern diese Schmierereien womöglich im Zusammenhang mit der Meldung stehen, dass Freitagabend in Halle ein 25-jähriger Mann festgenommen wurde, der hier als Flüchtling gemeldet ist und ein 13-jähriges Mädchen sexuell missbraucht haben soll. Nachdem der Afghane Samstagmittag dem Haftrichter vorgeführt wurde, befindet er sich aktuell in Untersuchungshaft. Grundsätzlich wird schwerer sexueller Missbrauch von Kindern mit einer Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren geahndet, erklärte Staatsanwalt Christoph Mackel. Doch während die Ermittlungen weiter andauern und aus gegebenem Anlass erst einmal sorgfältig geprüft wird, von wem die Initiative ausging, wie oft sich die beiden getroffen haben und inwiefern diese Treffen nicht vielleicht doch einvernehmlich stattfanden, brodelt die Gerüchteküche: Unter anderem heißt es, im Lindenbad sei ein Mädchen vergewaltigt worden – das ist definitiv nicht wahr.
Wie jeden Montag traf sich auch gestern das Flüchtlingsteam zur Besprechung im Rathaus, bei der die beiden Ereignisse natürlich im Mittelpunkt standen. Mit Blick auf die beschmierten Unterkünfte erklärte Bürgermeisterin Anne Rodenbrock-Wesselmann, dass sie diese Taten zutiefst verurteile: „Hoffentlich findet man den oder die Täter und zieht sie zur Rechenschaft. Man kann Menschen nicht unter Generalevrdacht stellen!" Mit Blick auf den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs waren bei dem Treffen auch die Schulleitungen, Elternvertreter und Sozialarbeiter anwesend: Gemeinsam verständigten sich die Beteiligten auf Maßnahmen, wie man die Aufklärung verbessern kann.
Es bedarf dringend der Aufklärung
„Entscheidend ist, dass Flüchtlinge auch über Werte und Gleichberechtigung einerseits und die Schüler über andere Weltanschauungen informiert werden, um Risiken zu verringern", erklärte die Bürgermeisterin. „Nicht zuletzt aufgrund der bevorstehenden Karnevalssaison und TV-Sendungen, die wieder ein ganz anderes Bild vermitteln, bedarf es dringend der Aufklärung." Außerdem sind interne Elternabende geplant. Froh ist Anne Rodenbrock-Wessel-mann auch darüber, dass zum 1. Februar ein Mann in der Flüchtlingsarbeit seinen Dienst aufnimmt: „Der hat noch mal einen anderen Zugang."
Eine Armlänge Abstand täte gut
VON NICOLE DONATHSelten wurde ein Thema so sehr von Emotionen beherrscht wie die Flüchtlingsdebatte. Ob es die Bilder der Toten sind, angespült vom Meer. Jubelfraktionen, die Flüchtlinge mit Plakaten und Teddys auf Bahnhöfen begrüßen. Oder eben die Rechtspopulisten, die die vor Krieg und Gewalt geflohenen Menschen verteufeln – von Anfang an waren es Extreme. Wenn jetzt, nur wenige Tage nach den Übergriffen von Köln oder Bielefeld, auch noch bekannt wird, dass ein Flüchtling ein Mädchen sexuell missbraucht haben soll, passen diese Nachrichten auf den ersten Blick wunder- bar-böse zusammen – wobei es bei sexuellem Missbrauch ja kaum darauf ankommt, welcher Herkunft der Täter ist. Aber die, die es immer schon gewusst haben, fühlen sich jetzt bestätigt. Manch anderen kommen zumindest Zweifel, ob Integration unter diesen Bedingungen wirklich zu schaffen ist. Insgesamt täte allen eine Armlänge Abstand gut – und zwar emotional. Denn ganz unabhängig davon, dass man in diesem speziellen Haller Fall erst einmal die genauen Hintergründe kennen muss, um urteilen zu können, ist so viel klar: Mit der Unterbringung von Flüchtlingen ist eben nur der kleinere Teil geschafft. Jetzt geht es an die eigentliche Integration und die wird eben nicht so einfach. Umso wichtiger ist es deshalb, trotz der fürchterlichen Ereignisse in der Silvesternacht nicht auch die Flüchtlinge, die unsere Hilfe dankbar annehmen und auch brauchen, pauschal für Taten verantwortlich machen, mit denen sie nichts zu tun haben. Und so ist Aufklärungsarbeit – auch im Sinne der ehrlich besorgten Bürger – zu leisten; und das auf beiden Seiten. Der Weg zur erfolgreichen Integration braucht weder Teddys noch Hassparolen, sondern ist mit Sachlichkeit und viel Aufklärungsarbeit gepflastert.

