
Die unauffällige Lage an der Nordseite des Chors, wie der Altarraum bezeichnet wird, ist vielleicht der Grund dafür, dass auch langjährige Borgholzhausener oft nicht wissen, dass in ihrer Kirche sozusagen das ganze Jahr über Weihnachten ist. Für den Mann, der für den Einbau dieses Fensters verantwortlich war, stellte sich die Sache freilich anders dar, denn er hatte einen grundlegend anderen Blickwinkel.
Er hieß August Wöhrmann und war von 1901 bis 1945 als Pastor in Borgholzhausen tätig. In diesen unglaublichen 44 Jahren diente er seiner Kirche ab 1934 auch als Superintendent des Kirchenkreises Halle. Und diese herausgehobene Stellung war es vermutlich, die ihn überhaupt erst in die Lage versetzte, so entscheidend in die Gestaltung der Borgholzhausener Kirche einzugreifen.

„Wir gehen davon aus, dass er das Fenster selbst bezahlt hat“, sagt Dr. Ulrich Althöfer vom Baureferat des Landeskirchenamtes. Er hat das Schmuckstück in diesem Jahr eingehend untersucht und stieß dabei auf eine sehr ungewöhnliche Geschichte. Besonders ein Aspekt hebt das Borgholzhausener Kirchenfenster heraus: „Es ist vermutlich das einzige künstlerisch gestaltete Fenster, das in Westfalen während des fortgeschritten Zweiten Weltkriegs angefertigt wurde“, sagt Dr. Althöfer.
In den Gesichtern der Hirten schimmert der neoklassizistische Figurenstil durch
Für diese Erkenntnis musste er nicht ins Archiv des Landeskirchenamtes, sondern sich nur das Fenster ganz genau anschauen. Denn ganz unten rechts findet sich eine unscheinbare, durchsichtig gestaltete kleine Glasfläche, auf der bei genauem Hinschauen zu entziffern ist: »WALTER WINTERFELD/Vorm. Winterfeld und PLOEGER/GLASMALEREI BIELFELD« sowie die Jahreszahl 1944. Damit sei das Fenster eindeutig zugeschrieben und identifiziert, sagt der Experte.
Auch bei seinen Untersuchungen sei ihm dieser Namenszusatz erst beim zweiten Hinschauen aufgefallen. Denn viel größer sind die Namen der Stifter direkt darüber ausgeführt. »SUPERINTENDENT A. WÖHRMANN UND FRAU HEDWIG GEB. WIESNER« haben sich in stattlicher Größe mit schwarzer Schrift auf gelbem Grund im unteren Teil des Fensters verewigen lassen.
Darüber, natürlich mit noch größeren Buchstaben, ein Vers aus dem Johannesevangelium: »Wir sahen seine Herrlichkeit / eine Herrlichkeit als des eingeborenen / Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit«. Schon dieser Sockel des Kunstwerks befindet sich deutlich über der Kopfhöhe eines erwachsenen Menschen. Direkt darüber findet sich die fast lebensgroße Darstellung von Maria und Joseph, die neben der Krippe mit dem Christuskind knien.
Ein bemerkenswertes Zeitdokument
Trotz seiner Dimensionen fällt das besondere Fenster kaum in den Blick der Kirchenbesucher. Für den Stifter war das sicher anders: Von der Kanzel aus konnte er sein Auge leicht dorthin schweifen lassen. »Ehre sei Gott in der Höhe« steht über dem Weihnachtsmotiv, zu dem noch zwei Hirten, ein Esel sowie einige Engelsköpfe gehören.Die verwendeten Schrifttypen und die Gestaltungsmerkmale der Figuren bilden ein „wirklich bemerkenswertes Zeitdokument“, urteilt Dr. Ulrich Althöfer. „Die verschiedenen Stilelemente wirken fast wie eine künstlerische Rückschau über die langen Jahre von Wöhrmanns Amtszeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, urteilt der Kunstexperte. So sieht er in der Gestaltung der Figurengruppe und in den altertümlichen Schriftarten den Geschmack in der Zeit nach 1900, in der absichtlich dunkel gehaltenen Farbigkeit eine typische Gestaltung im Geist der 1920er Jahre. In den Gesichtern der Hirten dagegen sieht er den „neoklassizistischen Figurenstil der 1930er Jahre durchschimmern.“
Doch neben dieser gelehrten Interpretation lädt das Kunstwerk vor allem dazu ein, es selbst in Augenschein zu nehmen und auf sich wirken zu lassen. Nicht nur, aber besonders in diesen Tagen.