Die EU-Kommission hat ein Gesetzespaket vorgelegt, das weniger Bürokratie und Regeln für Unternehmen aus der Chemiebranche vorsieht. Die vorgeschlagenen Änderungen der EU-Kosmetikverordnung hätten zur Folge, dass die strikten Auflagen für krebserregende, erbgut- und fortpflanzungsschädliche Stoffe (CMR-Stoffe) in Shampoos, Cremes und vielen anderen Kosmetika gelockert werden. Die Begründung: Kosmetikprodukte würden schließlich nur äußerlich angewendet, also auf die Haut geschmiert.
Scharfe Kritik an den Plänen kommt aus dem EU-Parlament. Abgeordnete der Grünen und Sozialdemokraten laufen Sturm: „Es ist weltfremd, krebserregende Stoffe in Sonnencremes zu erlauben, weil sie angeblich nicht verschluckt werden“, sagt die EU-Abgeordnete Jutta Paulus (Grüne). „Spätestens wenn Kinder am Strand sind, zeigt sich: Wo Eis tropft und Finger kleben, bleibt die Sonnencreme nicht auf der Haut, sondern landet mit im Mund.“ Der „Vereinfachungsvorschlag“ der Kommission scheitere in der Realität am Strand, in der Eisdiele und in vielen anderen Situationen. Aus ihrer Sicht sei der Plan der EU-Kommission zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ein „Kniefall vor der Kosmetikindustrie“ und widerspreche klar dem Vorsorgeprinzip. Ähnlich äußerten sich medizinische Fachgesellschaften in einer gemeinsamen Stellungnahme.
Auch für den umweltpolitischen Sprecher der Sozialdemokraten, Tiemo Wölken (SPD), ist es „unverständlich“, dass weniger Beschränkungen für den Einsatz potenziell krebserregender Stoffe in Kosmetika geplant sind. „Der Wettbewerbsvorteil der europäischen Industrie im internationalen Vergleich liegt doch im Erfüllen eben dieser hohen Standards und im Vertrauen der europäischen Verbraucher in dieses Regelwerk“, sagt er. Dieses Grundvertrauen weiter zu untergraben, schade sowohl Industrie als auch Verbrauchern.
Umweltschützer sind empört
Kritik kommt auch von Umweltschützern. Der Vorschlag der Kommission gefährde die Transparenz, die Verbrauchersicherheit und den Umweltschutz, sagt Julios Kontchou von Greenpeace. „Insgesamt stellt diese Entscheidung die Gewinne der Industrie vor die Gesundheit der Verbraucher und die Umwelt“, kritisiert er. „Informationen über gefährliche Chemikalien in Verbraucherprodukten sollten nicht zum Vorteil der Industrie geopfert werden.“
Die Kosmetikhersteller wiederum sprechen von mehr Rechtsklarheit – und versichern: „Das hohe Verbraucherschutzniveau in der EU bleibt durch die angepasste Gesetzgebung weiterhin bestehen“, wie der Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel (IKW) in einer Stellungnahme schreibt. Die Pläne sorgen aus ihrer Sicht für einen Rechtsrahmen, der eine Erleichterung für die Hersteller darstelle, ohne die Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu gefährden.
Die EU-Kommission erklärt: „Die chemische Industrie in Europa steht vor komplexen Herausforderungen, die von hohen Energiekosten über unlauteren Wettbewerb bis zu schwacher Nachfrage reichen.“ Mit konkreten Maßnahmen zur Bewältigung dieser Probleme und zur Förderung der chemischen Produktion in der EU unterstütze man die Unternehmen.
Auch neue Regeln für Etiketten geplant
Es ist nicht die einzige geplante Änderung, die für Unverständnis sorgt. Damit Unternehmen mit weniger Bürokratie konfrontiert sind, sollen auch viele Regeln für die Etiketten auf Kosmetikprodukten wegfallen, etwa wie klein das Kleingedruckte wirklich sein darf. Fraglich, ob dies die Art des Bürokratieabbaus ist, auf den Unternehmen gewartet haben, sagen Kritiker. Für die EU-Abgeordnete Paulus ist dies der falsche Weg: Es sei unverantwortlich, wenn Warnhinweise auf gefährlichen Substanzen im Kleingedruckten verschwinden. „Gerade bei Produkten wie Reinigungsmitteln oder Wandfarben müssen Risiken klar erkennbar sein. Schutz braucht Sichtbarkeit – auch ohne Lupe!“
Dabei hatten sich die Gesetzgeber erst 2023 auf neue Regeln für Warnhinweise bei chemischen Substanzen wie in Putzmitteln und anderen Produkten geeinigt. Dass die EU-Kommission nun die Regeln „im Hauruck-Verfahren“ schon wieder ändern und die Warnhinweise weniger prominent und in einigen Fällen nicht mehr verpflichtend machen wolle, treibe die „Simplification Agenda“ ad absurdum, kritisiert SPD-Politiker Wölken. Aus seiner Sicht gewinnt dadurch keiner: Die Industrie habe sich eben erst auf das Gesetz eingestellt und Verbraucher wüssten in Zukunft noch weniger, woran sie seien.
Die chemische Industrie ist ein strategisch wichtiger Sektor in der EU und insbesondere in Deutschland ein wichtiger Wirtschaftszweig. Deutschland belegt Rang drei der größten Chemikalienproduzenten weltweit. Das von der EU-Kommission vorgelegte Gesetzespaket zum Bürokratieabbau ist das sechste seiner Art binnen weniger Monate und soll Kosten von bis zu 360 Millionen Euro pro Jahr einsparen. Bevor es in Kraft treten kann, muss es jedoch noch vom EU-Parlament und den Mitgliedstaaten beraten und beschlossen werden. Änderungen sind dabei nicht ausgeschlossen.