Schwarz-Rot unter sich

Kabinett arbeitet an neuem Teamgeist

Heller Anzug, keine Krawatte: Der Kanzler überrascht bei der Kabinettsklausur mit neuem Outfit. | © Michael Kappeler/dpa-pool/dpa

30.09.2025 | 30.09.2025, 13:24

Handyverbot im Tagungssaal, der Kanzler erst mal ohne Krawatte und zwei zentrale Themen: Wie kann man die Wirtschaft wieder in Schwung bringen und den Staat von Bürokratie befreien? «Wir setzen alles daran, dass die deutsche Wirtschaft wieder Tritt fasst», sagte Kanzler Friedrich Merz (CDU) zum Auftakt der ersten Klausurtagung des schwarz-roten Kabinetts in der Villa Borsig am Berliner Stadtrand. Am Mittwoch soll eine Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung beschlossen werden, die zu einer Senkung der Bürokratiekosten um 25 Prozent oder 16 Milliarden Euro führen soll.

Es geht bei dieser zweitägigen Klausur für die knapp fünf Monate alte Regierung neben den konkreten Inhalten aber noch um etwas anderes: Nach einem holprigen Start mit einer Kanzlerwahl erst im zweiten Anlauf, einer verpatzten Richterwahl und viel Streit in der Sache arbeitet die Koalition seit der Sommerpause an einem neuen Teamgeist.

Beim Gruppenfoto trägt der Kanzler wieder den gewohnten Look. - © Michael Kappeler/dpa
Beim Gruppenfoto trägt der Kanzler wieder den gewohnten Look. (© Michael Kappeler/dpa)

Eine Klausurtagung der Fraktionsvorstände von Union und SPD in Würzburg machte im August den Anfang. Es folgten eine gemeinsame Reise der Fraktionschefs nach Kiew, ein Grillabend der Koalitionsabgeordneten in Berlin und zuletzt ein Besuch der Parteivorsitzenden auf dem Oktoberfest in München.

Nun also die Kabinettsklausur in der Villa am Tegeler See, bei der es möglichst entspannt zugehen soll. Der Kanzler signalisierte das bei seiner Ankunft mit einem für ihn sehr ungewöhnlichen Outfit: Hellgrauer Anzug, keine Krawatte. Das dürfte selbst Vizekanzler Lars Klingbeil irritiert haben, der erst mit Eintritt in die Bundesregierung zum Krawattenträger geworden ist – und bei der Klausur dabei blieb. Beim Familienfoto am Mittag hatte dann auch der Kanzler wieder eine Krawatte an. Auf Fragen nach der Stimmung sagte er nur: «Gut.»

Industriellen-Villa statt Barock-Schloss

Der neueTagungsort ist in Berlin. - © Michael Kappeler/dpa-pool/dpa
Der neueTagungsort ist in Berlin. (© Michael Kappeler/dpa-pool/dpa)

Auch die Wahl des Tagungsorts ist ein Statement. Die Ampel-Regierung hatte sich für ihre Kabinettsklausuren ins Schloss Meseberg 70 Kilometer nördlich von Berlin zurückgezogen. In dem Gästehaus der Bundesregierung haben sich Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) mehrfach geschworen, nicht mehr so viel zu streiten – und dann hat es doch wieder nicht geklappt.

Vielleicht hat dieser ungute «Geist von Meseberg» dafür gesorgt, dass das schwarz-rote Kabinett lieber in Berlin bleibt. Eine ehemalige Industriellen-Villa passt außerdem besser zu der «schnörkellosen Arbeitskoalition», die Merz einmal ausgerufen hat, als ein Barock-Schloss auf dem Land.

Wirtschaft an Tag eins im Mittelpunkt

Am ersten Tag stand das Thema Wettbewerbsfähigkeit auf dem Programm, zu dem mehrere Gäste aus Wirtschaft und Forschung als Referenten geladen waren: Markus Brunnermeier, ein Volkswirtschafts-Professor von der renommierten US-Universität Princeton, Grazia Vittadini von Lufthansa und Gerd Chrzanowski von der Schwarz-Gruppe, der unter anderem Lidl und Kaufland gehören.

Merz sagte, dass alle Ministerien gefragt seien, wenn es darum gehe, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. «Wettbewerbsfähigkeit betrifft die Steuerpolitik, betrifft die Sozialpolitik, betrifft die Infrastruktur, betrifft die Digitalisierung», sagte er. «Deswegen eignet sich dieses Thema auch zum Austausch mit dem ganzen Kabinett.»

Der Standort Deutschland werde wieder attraktiver für Investitionen, sagte der CDU-Chef. Das zeigten Zusagen der Unternehmensinitiative «Made for Germany». Die Firmen wollen bis 2028 rund 735 Milliarden Euro in Deutschland investieren – es ist allerdings unklar, wie viel davon wirklich neue Investitionen sind und wie viel bereits länger geplant.

Beschlüsse an Tag zwei

Beschlüsse soll es erst am zweiten Tag der Klausur geben. Dann wird das Kabinett eine Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung auf den Weg bringen. Dabei gehe es um rund 80 Einzelmaßnahmen. Unter anderem soll es künftig ein einheitliches Portal für die Online-Zulassung von Autos geben. Bisher regeln das Bundesländer und Kommunalverwaltungen selbst.

Angedacht ist auch die Einrichtung eines digitalen Bürokratiemeldeportals, auf dem Bürger Verbesserungsvorschläge machen können. Außerdem sind Schulungen und KI-Tools für Mitarbeiter der Ministerien, die Gesetzestexte erarbeiten, im Gespräch, so dass praxistauglicheres und bürokratieärmeres Recht entsteht.

Außenpolitik außen vor

Nicht auf der offiziellen Agenda steht die Außenpolitik. Merz hatte in der vergangenen Woche eigentlich angekündigt, bis Mittwoch – dann beginnt der EU-Gipfel in Kopenhagen – eine Positionierung der Bundesregierung zu den von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagenen Sanktionen gegen Israel herbeizuführen.

Mit der Zustimmung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zum Friedensplan von US-Präsident Donald Trump für Gaza hat sich das nun erst mal erledigt. Dieser Plan sei nach Jahren des Blutvergießens «die beste Chance, die bislang jedenfalls beste Chance, auf ein Ende des Krieges», sagte Merz zu Beginn der Klausur.

Die großen Reformen kommen erst später

Nach dem Treffen in der Villa Borsig geht es für Merz am Mittwoch zunächst zum Gipfel in Kopenhagen. Und innenpolitisch stehen für die Regierung dann die wirklich großen Herausforderungen an, die bei der Klausur noch keine größere Rolle spielen sollen: Die angekündigten Reformen im Sozial- und Gesundheitsbereich sind die eigentliche Bewährungsprobe für die Koalition. Damit befassen sich derzeit aber noch Kommissionen, bevor die Regierung Hand anlegt.

Den «Herbst der Reformen» hat der Kanzler schon einmal vorsorglich in die Vier-Jahreszeiten-Reform umgewandelt. «Es wird sich ein Winter, ein Frühling, ein Sommer, ein nächster Herbst anschließen mit Reformen», sagte er kürzlich im Bundestag.