Migration nach Europa

Deutschland bei Asylanträgen nur noch auf Platz drei

In Deutschland wohnen viele Asylbewerber länger als sie eigentlich müssten in staatlichen Unterkünften, weil sie Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu finden. (Archivbild) | © Patrick Pleul/dpa

08.09.2025 | 08.09.2025, 14:29

Trendumkehr bei der Zuwanderung nach Europa: Deutschland ist erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr das Land mit den meisten neuen Asylanträgen. Und noch etwas hat sich nach der Halbjahresbilanz der EU-Asylagentur geändert: Nach dem Machtwechsel in Syrien kommen die meisten neuen Asylbewerber nicht mehr von dort nach Europa, sondern aus dem südamerikanischen Land Venezuela.

Im ersten Halbjahr gingen der Statistik zufolge bei den deutschen Behörden alles in allem 70.000 neue Anträge ein. Damit liegt die Bundesrepublik innerhalb der EU auf Platz drei hinter Frankreich (78.000) und Spanien (77.000). Deutschland steht also erstmals seit 2012 nicht mehr an der Spitze.

Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) beantragten von Anfang Januar bis Ende August 78.246 Menschen erstmals in Deutschland Schutz. Das waren etwa halb so viele Asylerstanträge wie im Vorjahreszeitraum. Dass die Halbjahreszahlen der Asylagentur EUAA mit Sitz auf Malta stets leicht von den Bamf-Daten für diesen Zeitraum abweichen, hängt damit zusammen, dass die Agentur Monatszahlen addiert. Dadurch sind Nachmeldungen und Doppelzählungen nicht berücksichtigt. Die Aussagen zum Trend insgesamt sind davon jedoch nicht berührt.

Minus 43 Prozent in Deutschland

Die Venezolaner stimmen mit den Füßen ab. Millionen von Menschen haben das südamerikanische Land seit dem Amtsantritt von Präsident Maduro verlassen. (Archivbild) - © Richard Zubelzu/ZUMA Press Wire/dpa
Die Venezolaner stimmen mit den Füßen ab. Millionen von Menschen haben das südamerikanische Land seit dem Amtsantritt von Präsident Maduro verlassen. (Archivbild) (© Richard Zubelzu/ZUMA Press Wire/dpa)

Die Zahl der neuen Asylbewerber innerhalb der Europäischen Union sowie in den Nicht-Mitgliedsländern Norwegen und Schweiz ging auch insgesamt zurück. Bis Ende Juni wurden in der Staatengruppe aus 29 Ländern (EU+) insgesamt 399.000 neue Anträge registriert - im Vergleich zum ersten Halbjahr 2024 ein Rückgang von 114.000 beziehungsweise 23 Prozent. Der Rückgang wird von der Agentur insbesondere darauf zurückgeführt, dass nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad nicht mehr so viele Menschen aus Syrien flüchten.

Im ersten Halbjahr kamen deutlich weniger Asylbewerber nach Europa. (Archivbild) - © Patrick Pleul/dpa
Im ersten Halbjahr kamen deutlich weniger Asylbewerber nach Europa. (Archivbild) (© Patrick Pleul/dpa)

Mit Ausnahme von Frankreich gingen die Zahlen in allen großen Zielländern zurück: am deutlichsten in Deutschland (minus 43 Prozent), aber auch in Italien (minus 25 Prozent) und Spanien (minus 13 Prozent).

Viele Klagen gegen Asylentscheidungen

Bei den deutschen Verwaltungsgerichten ist dieser Rückgang noch nicht spürbar. Die Zahl der Asylklagen ist nach einer Auswertung der «Deutschen Richterzeitung» (DRZ) im ersten Halbjahr deutlich gestiegen. Demnach gingen in diesem Jahr bis zum 30. Juni 76.646 neue Hauptsacheverfahren bei den Verwaltungsgerichten ein. Das sind mehr Fälle als im Gesamtjahr 2023 (71.885).

Die deutliche Reduzierung der Zahl der Asylanträge in den vergangenen Monaten sei wohl noch nicht in den Verwaltungsgerichten angekommen, sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Es sei aber zu erwarten, «dass wenn wir unseren Weg konsequent weitergehen und die Asylantragszahlen weiter fallen, dass es auch irgendwann in der Justiz ankommen wird» und dann zu einer dauerhaften Entlastung der Verwaltungsgerichte führen werde.

Wer stellt seinen Antrag in Frankreich und warum?

Unter den Asylbewerbern in Frankreich sind relativ viele Menschen aus der Ukraine, obwohl ihnen über die sogenannte EU-Massenzustromrichtlinie automatisch Schutz gewährt wird. Wer eine längerfristige Bleibeperspektive anstrebt, wählt jedoch oft diesen Weg. Auf Platz vier hinter Frankreich, Spanien und Deutschland findet sich nun Italien (64.000 neue Anträge). Großbritannien ist nach seinem Austritt aus der EU in dieser Statistik nicht mehr dabei.

Von den Asylbewerbern aus Venezuela stellten fast alle ihren Antrag in Spanien, wo ihre Muttersprache gesprochen wird. Als Zielland ist es für die Venezolaner zudem attraktiv aufgrund einer wachsenden Wirtschaft und einer Regierung, die Einwanderer willkommen heißt.

Autoritäre Herrschaft und Armut in Venezuela als Fluchtgrund

Die Massenauswanderung aus dem lateinamerikanischen Land wird als direkte Folge der autoritären Herrschaft von Präsident Nicolás Maduro gesehen, der seit 2013 regiert. Nach Angaben des Observatorio de la Diáspora Venezolana leben inzwischen mehr als 9,1 Millionen Venezolaner außerhalb ihres Heimatlandes.

Die Bevölkerung Venezuelas ist seit 2017 trotz hoher Geburtenrate von rund 30 Millionen auf aktuell gut 28 Millionen geschrumpft. Viele fliehen vor Armut, fehlender Infrastruktur und Gesundheitsversorgung sowie fehlenden Perspektiven. Ziel der Migration sind Nachbarländer wie Kolumbien, Peru und Chile, zunehmend aber auch Europa und Nordamerika.

Meiste Neuankömmlinge aus Venezuela

Erstmals seit einem Jahrzehnt kamen die meisten neuen Asylbewerber (25.000) nicht aus Syrien, sondern aus Venezuela (49.000). Aus Afghanistan beantragten 42.000 Menschen neu Asyl.

Der Umgang mit Migranten gehört seit Jahrzehnten zu den Streitthemen der europäischen Politik. Die EU arbeitet inzwischen mit nordafrikanischen Staaten zusammen, um Migranten von der Flucht nach Europa abzuhalten. Bei Versuchen, mit oft kaum seetüchtigen Booten das Mittelmeer zu überqueren, kommt es immer wieder zu tödlichen Katastrophen.

EU-Kommissar Magnus Brunner bezeichnet den Rückgang in Brüssel als «Ergebnis einer konsequenteren Politik». Jetzt müsse die Zusammenarbeit mit sogenannten Drittstaaten verbessert werden, «damit Rückführungen tatsächlich funktionieren und unsere Asylsysteme entlastet werden».

Nur jeder vierte Antrag wird anerkannt

Die sogenannte Anerkennungsquote ging nach Angaben der Agentur auf den niedrigsten je gemessenen Stand zurück: Nur jeder vierte Erstantrag (25 Prozent) wurde bewilligt. Gleichwohl gibt es einen riesigen Berg an Anträgen, der noch abgearbeitet werden muss: Ende Juni war über mehr als 900.000 Anträge in erster Instanz bisher nicht entschieden. Weil Widerspruch möglich ist, stehen insgesamt etwa 1,3 Millionen Entscheidungen aus.