Rededuell von Scholz und Merz: „Das kann eigentlich nicht das Level sein“

Frau Reuschenbach, der Kanzler hat Friedrich Merz als &bdquo;Fritze“ tituliert, der &bdquo;gern Tünkram erzählt“. Wie finden Sie das? Julia Reuschenbach: Im Wahlkampf wird mit harten Bandagen gekämpft. Da darf auch mal dazu gehören, dass man den politischen Gegner persönlich angeht. Doch viele Leute haben den Eindruck: Das kann eigentlich nicht das Level sein, auf dem wir angesichts der nationalen und weltpolitischen Lage in die Wahlkampfauseinandersetzung gehen. Hinzu kommt, dass es nicht die kleinen Oppositionsparteien sind, die da jetzt gegeneinander keilen, sondern der amtierende Bundeskanzler und der Kanzlerkandidat der Union. Friedrich Merz hatte vorher vermeintliche Details aus einem Europäischen Rat ausgeplaudert, die den Kanzler schlecht aussehen lassen. Er trägt also eine Mitverantwortung, meinen Sie? Ich sehe eine Verantwortung bei allen Beteiligten. Eine Sache, die mich in den letzten Wochen besonders erschreckt hat, war zum Beispiel auch der Umgang der FDP mit Volker Wissing. Jemanden, der 26 Jahre lang Parteimitglied war und der Partei in vielen Ämtern gedient hat, mal eben als &bdquo;charakterlosen Verräter“ zu bezeichnen – diese Tonalität hat mich sehr befremdet. Die Forschung kommt im Übrigen zu klaren Ergebnissen. Sie sagt: Die Demokratie erodiert von oben. Inwiefern? Das Diskursverhalten der Eliten hat Einfluss auf die Debattenkultur eines Landes. Sie treibt damit die Spaltungsdiskurse voran. Denn immerhin haben sich die allgemeinen politischen Umstände ja zuletzt sehr verändert. Wir haben eine AfD, die in den Umfragen bei um die 20 Prozent liegt. Und wir haben eine Fragmentierung des Parteiensystems und wirtschaftliche Schwierigkeiten. Hinzu kommt der Vertrauensverlust in die Politik und deren Problemlösungskompetenz – parteiübergreifend. Dem leistet man noch mehr Vorschub, wenn es in Debatten mehr um persönliche Befindlichkeiten und Emotionalisierung geht als um die Sache. Wo ist die Ursache? Färbt der Populismus der AfD und des BSW auf die etablierten Parteien ab? Das ist ein Teil der Erklärung. Denn natürlich hat die AfD die Diskurskultur in den Parlamenten verändert. Das schlägt auf die anderen durch. Das ist es aber nicht allein. Wir sehen darüber hinaus eine digitale Welt mit den Logiken der sozialen Netzwerke, die das Emotionale, Skandalisierende und Populistische befeuern. Zugleich verstummen diejenigen, die dem gern etwas entgegensetzen würden. Auch das verändert politische Diskurse. Ein letzter Punkt ist, dass die Politik selbst zunehmend ratlos wirkt angesichts der Größe und Dichte der realen Herausforderungen. Vieles funktioniert nicht gut, Probleme werden nicht kleiner, und das macht es schwer, im Diskurs bei der Sache zu bleiben, weil die Sachen jeweils schwierig sind und es zu wenig Erfolge gibt. Und all das geht zulasten der Demokratie? Ja, mit Sicherheit. Wir haben zwar in Ost wie West immer noch überragende Zustimmungswerte zur Demokratie als Staatsform. Aber es gibt einen Vertrauensverlust in das Funktionieren der Demokratie. Der Schaden, den die Ampel angerichtet hat, war vielleicht gar nicht so sehr, dass sie so viel gestritten hat. Schlimmer war aus meiner Sicht, dass Kompromisse nicht gemeinsam getragen und wertgeschätzt wurden. Davon profitieren dann sogenannte Polarisierungsunternehmer. Robert Habeck versucht, durch einen anderen Stil ein Gegengewicht zu finden. Hat das Aussicht auf Erfolg? Was Habeck versucht, ist authentisch. Er bietet etwas an, mit dem er sich selbst wohlfühlt. Doch der kurze Winterwahlkampf erschwert diesen Versuch. Und das Video zu seiner Vorstellung als Kanzlerkandidat war mit neun Minuten zu lang und zu komplex. Im Übrigen wird man für Fehlerkultur – so wichtig sie ist und auch anderen gut zu Gesicht stünde – allein nicht gewählt. Die Kunst ist, eine Mischung zu finden zwischen selbstkritischer Rückschau und dem Ausblick auf das, was kommen soll. Nun hat ja der Wahlkampf gerade erst begonnen. Und man fragt sich: Wenn es schon so losgeht wie zuletzt zwischen Scholz und Merz, wie geht es dann erst weiter? Ich rechne mit nichts Gutem. Denn es geht schon seit Längerem immer weniger darum, in der Sache zu streiten, als darum, Feindbilder zu konstruieren – etwa, wenn zum Beispiel Markus Söder sagt: &bdquo;Die Grünen gehen einfach nicht.“ Beim Ampelbruch haben wir gesehen, dass diese Art von Affektivität durchschlägt. So gelten Liberale jetzt als &bdquo;Verräter“. Das macht mir Sorgen. Denn wir haben mit Alice Weidel und Sahra Wagenknecht als Kanzlerkandidatinnen ja bereits zwei Akteurinnen auf dem Platz, die das Polarisierende und Destruktive sehr stark bewirtschaften. Ich rechne daher mit einem eher unrühmlichen Wahlkampf. Es dürfte sehr viel negatives Campaigning, sehr viele persönliche Angriffe und sehr viel Affektivität geben. All das geschieht angesichts der Gefahr, dass AfD und BSW im Bundestag eine Sperrminorität von einem Drittel der Mandate erreichen, womit sie zum Beispiel Grundgesetzänderungen verhindern könnten. Das wäre eine schwere Bürde für die nächste Regierung. Was wäre angesichts dieser Gesamtmisere Ihr Rat? Ich würde mir wünschen, dass die anderen Parteien in eine harte sachliche Auseinandersetzung gehen – und in den Tonalitäten ansonsten einen Gang zurückschalten.

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