
Matthias Miersch sagt, er habe sich selber gut zugeredet. „Das ist jetzt eine verdammt große Aufgabe“, habe er sich gesagt. „Aber sie haben Dich gefragt. Und, ja: Du kannst das.“ Also steht der 55-Jährige jetzt hier in der SPD-Parteizentrale: Bisher war er Vize-Chef der Bundestagsfraktion, aber nun ist Generalsekretär Kevin Kühnert überraschend zurückgetreten, nach drei Jahren im Amt und offenbar komplett erschöpft. Miersch übernimmt.
„Das ist ein sehr besonderer Moment für mich“, sagt Miersch. Öfters schon hat er sich Hoffnung auf einen Spitzenposten in der SPD gemacht. SPD-Fraktionschef wäre er gerne geworden oder Umweltminister. Jetzt also Generalsekretär. Miersch strahlt. Aber bevor er über sich und sein neues Amt redet, würdigt er erstmal Kühnert, als engen Verbündeten, als einen, der viel geleistet habe für die Partei.
Eine „verdammt große Verantwortung“ habe er jetzt, und so kann man das schon nennen. Generalsekretär ist ja nicht nur ein Titel mit Anrecht auf ein Büro in den oberen Stockwerken des Willy-Brandt-Hauses in Berlin. Miersch muss ab sofort den Bundestagswahlkampf organisieren, er ist mit dafür verantwortlich, dass die SPD von den einzementiert scheinenden 16 Prozent in den Umfragen, vom 3. Platz also hinter Union und AfD so weit nach vorne rückt, dass Olaf Scholz im Kanzleramt bleiben kann und die Sozialdemokraten an der Regierung.
Miersch kann nach eigener Aussage sehr sensibel sein
Und einiges aushalten muss so ein Generalsekretär auch. Miersch sagt, er habe mal geschaut, was in Netzkommentaren so über ihn geschrieben werde – und mal wieder festgestellt, dass man ein dickes Fell brauche, „wenn man sieht, wie über einen selbst gehetzt wird“. Und er sei ja schon jemand, „der sehr sensibel sein kann“. Aber er macht den Job ja nun dann doch.
Die SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken sind mitgekommen zur Vorstellung. Klingbeil strahlt auch und sagt, man habe jemanden gebraucht, der sofort einsatzfähig, gut in der Partei vernetzt, klar und erfahren sei. Außerdem könne Miersch als Fachmann für Energie- und Klimafragen den Schwerpunkt der SPD auf Industrie- und Wirtschaftspolitik gut verkörpern. Und obendrein sei er jemand, „der sich deutlich von der Union und von Friedrich Merz abgrenzt“.
Miersch auf Konfrontation mit der Merz-CDU
Stimmt, sagt Miersch. Das mit Merz ist der dritte seiner vier Schwerpunkte, die er sich zum Amtsantritt überlegt hat: Es sei so, dass „diese Merz-CDU alles verkörpert, wofür ich nicht stehe“. Respekt gegenüber Besserverdienenden habe der CDU-Parteichef gerade erst eingefordert. „Was ist das für eine Aussage?“, fragt Miersch. Er habe Respekt gegenüber allen. Aber die Politik müsse gerade für diejenigen einstehen, die nicht bessergestellt seien. Gute Renten und gute Bildungseinrichtungen gehörten dazu.
Punkt 1 von Mierschs Agenda: sich Rechtsextremismus und der AfD entgegenstellen. Punkt 2: Ökologie, Wirtschaft und sozialen Zusammenhalt nicht als Gegensätze sehen. Das Heizungsgesetz etwa sei wichtig, um die Klimaschutzziele zu erreichen, sagt er. Aber es sei nicht durchsetzbar, „wenn ich den Menschen nicht das Gefühl gebe, dass sie diese Herausforderungen stemmen können“. Deswegen habe er staatliche Förderung in das Gesetz hineinverhandelt. „Das ist kein Ökostalinismus, sondern eine Form staatlicher Daseinsvorsorge“, betont Miersch.

Und auch Punkt 4 seiner Agenda nennt er noch: Ein handlungsfähiger Staat sei nötig, etwa um bessere Infrastruktur zu schaffen. Ausdrücklich stützt Miersch die Position seiner Partei, die Schuldenbremse zu reformieren. Als Gegner nennt er dabei lediglich die Union, nicht etwa den Ampel-Partner FDP – es ist ja eh schwierig genug in der Koalition. Er habe es sowieso nie für eine gute Idee gehalten, die Schuldenbremse überhaupt ins Grundgesetz zu schreiben, sagt Miersch. Im Bundestag habe er hier 2009 zu Zeiten der Großen Koalition gegen die Linie seiner Fraktion gestimmt.
Miersch will unbequem sein
So werde es auch künftig sein: „Ich werde nicht bequem und ein einfacher Ja-Sager sein“, sagt Miersch. Sein Parteiflügel hat die Entscheidung von Scholz für die Stationierung von US-Raketen, den verschärften Kurs in der Migrationspolitik kritisiert. Prominente Parteilinke fordern zudem mehr diplomatische Bemühungen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs und des Nahost-Konflikts.
„Die Partei muss miteinander ringen und streiten“, sagt Miersch. Aber am Ende müsse es halt einvernehmlich sein. Und da habe er keine Sorge. Er sei überzeugt, dass Scholz bei den Kriegen diplomatisch alles auslote, „was geht“. Und über dessen Bedächtigkeit bei Waffenlieferungen sei er froh. „Scholz wird sich zu 100 Prozent auf mich verlassen können“, sagt Miersch noch. Er sei sich sicher, „dass wir das gut miteinander hinbekommen“, auch wenn man mal unterschiedliche Meinungen habe.
Apropos unterschiedliche Meinungen: Die habe er auch mit Altkanzler Gerhard Schröder beim Thema Ukraine. Aber er finde dennoch, dass Schröder dem Land als Kanzler viel gegeben habe, das Ganztagsschulprogramm zum Beispiel. Und er habe Deutschland aus dem Irak-Krieg herausgehalten. Er wünsche sich, sagt Miersch, „ein sachliches Miteinander“. Und ganz grundsätzlich sei es für die Gesellschaft wichtig, „dass wir nicht zu sehr in Schwarz-Weiß denken“.