Meinung

Wo bleibt die große Rentenreform?

Die Rente ist sicher? Vielleicht für die Alten. Für die Jungen bleibt die Rechnung, kommentiert unser Autor Stephen Geyer.

Senioren auf der Straße: Die Rentenreform-Debatte betrifft allerdings alle Generationen. | © dpa

Steven Geyer
27.07.2025 | 27.07.2025, 16:50

Der Streit, wie lange die Deutschen bis zur Rente arbeiten sollten, trägt selbst schon viele Jahre auf dem Buckel. Dass Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche mit ihrem neuerlichen Ruf nach längerer Lebensarbeitszeit trotzdem wieder hitzige Debatten auslöst, liegt dennoch nicht am Sommerloch.

Vielmehr wirkt es, als würden die Gegner einer späteren Rente umso leidenschaftlicher und zahlreicher, desto stärker sie ahnen: Auf Dauer haben Leute wie Katherina Reiche recht, die warnen, es könne „auf Dauer nicht gut gehen, dass wir ein Drittel unseres Erwachsenenlebens in Rente verbringen“. Auch der Verweis auf die Mathematik sticht: Noch in den 60er Jahren zahlten sechs Beitragszahler eine Rente, heute sind es noch zwei.

So wirkt es bisweilen, als wollten diejenigen, die selbst vor der Rente stehen oder die um deren Wählerstimmen bangen, den unvermeidlichen Einschnitt noch einmal verschieben: Weil niemand glaubt, seine Kinder oder gar Enkel könnten so zeitig im Ruhestand landen wie bisherige Rentner, muss der Widerstand gegen das Unabwendbare jetzt besonders laut sein.

Nebeneffekt lästig und lässlich

Der Nebeneffekt ist lästig, aber offensichtlich lässlich: Die Kinder und Enkel müssen nicht nur länger arbeiten, stärker privat vorsorgen und die Rentenkassenlöcher mit mehr Steuern stopfen. Sie zahlen auch höhere Sozialbeiträge und kriegen am Ende weniger Rente.

Doch obwohl die Kosten der gesamtgesellschaftlichen Alterung derart einseitig der jüngeren Generation aufgebürdet werden – und obwohl es die Alten waren, die den Teil des Generationenvertrages brachen, laut dem sie für ausreichend neue (einheimische oder zugewanderte) Beitragszahler sorgen –, wehren sich die Jungen nicht einmal. Sie wären ja ohnehin in Unterzahl.

Hat also die Wirtschaftsministerin ebenso Recht wie all jene, die vor ihr einen späteren Rentenbeginn forderten - weil es Demografie, Fachkräftemangel und Wettbewerbsfähigkeit gar nicht anders zuließen? Und wenn man die Debatte nicht führen will, bis der letzte Dachdecker vom Giebel gefallen ist: Ist dann der einzig generationengerechte Weg eine Kopplung der Rente an die Lebenserwartung?

Alle Bundesregierungen haben bisher die Augen verschlossen

Ja und nein. Richtig ist, dass bislang alle Bundesregierungen die Augen vor der demografischen Wirklichkeit verschlossen und sogar falsche Anreize gesetzt haben, frühzeitig in Rente zu gehen. Das gilt auch für Schwarz-Rot unter Friedrich Merz. Und richtig ist auch, dass das Rentensystem dringend eine Großform braucht, die auch einige Schmerzen auslösen muss.

Was bei Reiche aber nicht vorkommt: Die Schmerzen sollten fair verteilt werden – etwa durch eine Rentenkasse, in die jede und jeder einzahlt. Nicht zu vergessen geht es den aktuellen Rentnern im Schnitt besser als allen Generationen davor und danach – sie dürften also durchaus zur Solidarität mit Jüngeren und mit Bedürftigen der eigenen Altersgruppe gebeten werden.

Nicht zuletzt: Wenn schon eine große Rentenreform ansteht, darf ausnahmsweise auch mal eine neue Debatte geführt werden. So kann durch Künstliche Intelligenz – wenn wir nicht dieselben Fehler begehen wie bei Industrialisierung und Digitalisierung – bald mit wenig Arbeit sehr viel Wohlstand erwirtschaftet werden. Vor auch schon 20 Jahren prophezeiten US-Ökonomen das „Ende der Arbeit“: Der Fortschritt mache Abermillionen Jobs überflüssig. Wie passt das eigentlich zur Forderung, bis 70 zu arbeiten?

In Wahrheit haben die westlichen Gesellschaften jetzt die Chance, Wohlstand und Arbeit neu zu denken – und zwar so, dass der Wohlstand nicht nur bei wenigen landet und der Rest sich um die Arbeit streiten muss, bis er reif fürs überteuerte Pflegeheim ist. Schwarz-Rot sollte zumindest versuchen, sie zu ergreifen.