
Bielefeld. Migration, Verkehr und Bildung – das sind die großen Baustellen in Nordrhein-Westfalen. Das ist keine neue Erkenntnis, aber eine, die mit Wucht die politische Landschaft verändert. Denn der NRW-Check zeigt, dass nur wenige Wochen vor der Kommunalwahl die spürbare Enttäuschung und Unzufriedenheit kein Randphänomen ist. Sie geht quer durch alle Stadtgrößen und Parteipräferenzen.
Landesweit nur 39 Prozent der Menschen sind mit ihrer Stadtverwaltung zufrieden – ein dramatischer Wert, der in Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern noch weiter abstürzt. Auch wenn die Lebenszufriedenheit zwischen Minden und Warburg, Versmold und Blomberg vergleichsweise hoch ist, dürfen die Ergebnisse der Umfrage trotzdem als Weckruf verstanden werden.
AfD könnte die Wählerzustimmung im Landesdurchschnitt verdreifachen
Denn obwohl die Landesregierung unter CDU-Mann Hendrik Wüst solide Zustimmungswerte erhält, ordnet sich die Parteienlandschaft dahinter neu. Während die CDU bei den Kommunalwahlen laut Umfrage im landesweiten Durchschnitt mit 32 Prozent rechnen dürfte, profitieren die Grünen nicht. Die Partei käme nach dem Stand von Anfang Juli im landesweiten Durchschnitt auf 14 Prozent. Die SPD läge bei 22 Prozent. Die AfD könnte ihre Zustimmung verdreifachen und käme auf 14 Prozent. Die Linke läge bei 6 Prozent.
Diese Verschiebung nach rechts ist kein Betriebsunfall. Sie ist Ausdruck einer politischen Entfremdung. Menschen wollen klare Entscheidungen und Haltungen – immer mehr Menschen sehen diese offenbar nur noch am Rand. Daraus lassen sich nun drei Behauptungen aufstellen:
Erste Behauptung:
Migration, insbesondere wenn sie als unkontrolliert oder zu schnell wahrgenommen wird, ist das Brennglas für ein Gefühl von Kontrollverlust. 33 Prozent der Menschen in NRW sehen in Migration und Flüchtlingspolitik das drängendste Problem – bei AfD-Wählern sogar 73 Prozent. Auch unter CDU-Anhängern ist das Thema weit vorn. Migration ist zum Projektionsfeld geworden – für Ängste, für Misstrauen. Das ist immer eine subjektive Einschätzung, die nicht immer mit der Realität zu tun haben muss. Aber sie hat in der gesellschaftlichen Dynamik das Potenzial, die Demokratie aus ihren Angeln zu heben.
Zweite Behauptung:
Verkehrspolitik ist ein Aufregerthema, dessen Auswirkungen unabhängig von Parteipräferenzen fast jeden mindestens einmal pro Woche trifft. Dass das Thema auf Platz zwei rangiert bei den größten Problemen in NRW, ist ein Ausdruck von Ohnmacht. Der Wähler fühlt sich angesichts der Dauerstaus, Baustellen, verspäteten Züge oder fehlenden Busverbindungen machtlos. Der Frust wächst.
Dritte Behauptung:
Die Kommunen sind Orte, in denen die Probleme schleichend durch die Häuser, Verwaltungen, Schulen oder Kitas vordringen. Wohnungsnot, fehlende Betreuungsplätze, überfüllte Klassen, schlechte Lernergebnisse werden zur Nagelprobe für die Demokratie.
Und nun? Es braucht ein Comeback der kommunalen Politik. Führung statt Verwaltung ist notwendig. Stadträte oder Kreisräte sollten keine ewig lamentierende Runde sein, sondern ein Ort der Gestaltung. Migration, Mobilität, Wohnraum – das sind Themen, die Politik und Verwaltung im Tandem angehen müssen. Nichts mehr auf später vertagen, sondern reagieren. Am besten proaktiv.
Dafür müssen Kommunen mit Geld ausgestattet werden. Hier müssen Land und Bund die Städte besser unterstützen. Der NRW-Check ist ein Weckruf. Noch acht Wochen bis zur Kommunalwahl. Die gute Nachricht: Noch ist Zeit. Die schlechte: Nicht mehr viel.