Meinung

Bürgergeld-Empfänger: Eine Minderheit, die nicht gehört wird

5,5 Millionen Menschen beziehen Bürgergeld. Doch trotz ihrer großen Zahl herrscht ein grundfalscher Eindruck vor, meint unser Autor Markus Decker.

Bürgergeld-Empfänger kämpfen mit knappen Mitteln im Alltag. | © Sebastian Kahnert/dpa

Markus Decker
23.06.2025 | 23.06.2025, 15:50

In den gesellschaftspolitischen Debatten dieser Tage kommen zwei Gruppen immer wieder vor: Flüchtlinge und Bürgergeld-Empfänger, wobei es zwischen ihnen bekanntlich Schnittmengen gibt. Dabei haben beide Gruppen eines gemeinsam: Andere achten sehr genau darauf, ob Flüchtlinge und Bürgergeld-Empfänger aus ihrer Sicht Anspruch auf staatliche Leistungen haben und wenn ja, wie hoch diese ausfallen dürfen. Zudem werden die Betroffenen selbst gar nicht gefragt – aus Ignoranz oder Furcht, sie würden daraus Ansprüche ableiten.

Dass Flüchtlinge oder Bürgergeld-Empfänger zur Problemlösung beitragen könnten, gilt von vornherein als ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Studie, die auf der Befragung von Bürgergeld-Empfängern beruht, ein Wert an sich.

Die Resultate sind teilweise erschreckend. 69 Prozent halten den Regelsatz demnach für nicht hoch genug für eine gesunde Ernährung. 54 Prozent der Eltern verzichten nach eigenen Angaben zugunsten ihrer Kinder auf Essen. 42Prozent schämen sich, Bürgergeld zu beziehen. Zudem seien von den 5,5 Millionen Bürgergeld-Beziehenden ein Drittel Kinder und Jugendliche und 800.000 Aufstocker, denen ihr Lohn nicht reiche, heißt es. Die 16.000 Menschen, gegen die nach wiederholten Verfehlungen Sanktionen erhoben würden, fielen demnach kaum ins Gewicht. Und schließlich seien von den 1,7 Millionen beschäftigungsfähigen Bürgergeld-Beziehern die meisten ohne ausreichende Qualifizierung und viele gesundheitlich angeschlagen.

Bürgergeld-Bezieher meistens keine Leistungsverweigerer

Gewiss: Die Bezieher staatlicher Leistungen sind am Ende so wenig objektiv wie jene Steuerzahler, die sie erwirtschaften und infolgedessen ein wesentliches Mitspracherecht über die Verwendung der Mittel haben. Auch scheint die Feststellung, dass lediglich ein Bruchteil derer, die arbeiten könnten, es einfach nicht wollen, ein bisschen beschönigend. Dennoch konterkarieren die Zahlen den pauschalen Eindruck, als wären Bürgergeld-Bezieher eigentlich Leistungsverweigerer, für die die „arbeitende Mitte“ den Rücken krumm mache.

Das ist vor allem für die SPD eine Herausforderung. Sie hatte für die Hartz-Reformen mit anhaltender Schwäche bezahlt. Die Umwandlung von Hartz IV ins Bürgergeld war die Antwort. Zuletzt lautete das Urteil jedoch, dass die Reform den Bürgergeld-Beziehern zu weit entgegenkomme. Nun ist guter Rat teuer. Denn die ohnehin erstarkende Linke wartet nur darauf, dass das SPD-Pendel erneut zur anderen Seite ausschlägt.

Tatsache ist, dass die Debatte über Flüchtlinge und Bürgergeld-Empfänger oft gar nicht der Problemlösung dient, sondern der Abgrenzung gesellschaftlicher Gruppen voneinander. Dabei sollte klar sein, dass eine Gesellschaft am Ende lediglich als Ganze funktioniert – oder gar nicht. Auch dieser Gedanke geht zunehmend verloren.