Bielefeld. Dramatische Wahlniederlagen schreien nach ehrlichen Analysen. Das gilt für alle Parteien, die ihre Ziele bei dieser Bundestagswahl nicht erreicht haben. Denn das schlimmste Signal, das sie senden könnten, wäre ein „Weiter so“.
Doch die Zeit drängt. Die Fraktionen sortieren sich bereits neu. Das desaströse Ergebnis der SPD hat viele Rufe nach personeller Erneuerung und Aufbruch laut werden lassen. Doch trotz aller Kritik hat die Partei Lars Klingbeil zum neuen Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion gewählt – mit 85,6 Prozent der Stimmen. Das Ergebnis ist aufrichtig: keine überragende Note, aber auch nicht durchgerasselt. Ein Aufbruch ist es noch lange nicht.
Klingbeil hat die Situation geschickt genutzt. Er hat seine Position vorerst gefestigt und bleibt weiterhin Parteichef. Sein Dank an die Fraktion fiel angesichts des Ergebnisses dennoch nüchtern aus. Und jetzt?
Die Genossen fordern nachvollziehbar einen Generationenwechsel
Seine erste Rede als Fraktionschef verriet, dass er sich nach der Wahlschlappe bisher keinen Moment des Innehaltens gegönnt hat. Eine kritische Selbstüberprüfung oder Selbstreflexion ist bisher kaum erkennbar. Nur die vage Ankündigung, dass er Fehler auch bei sich selbst suchen werde. Damit sollten sich die Parteimitglieder nicht zufriedengeben.
Die Genossen fordern nachvollziehbar einen Generationenwechsel – um endlich den Umbruch einzuläuten, vielleicht sogar einen Neuanfang. Für so etwas braucht es Überzeugungskraft, einen Ruck durch die Partei. Doch diesen Ruck hat Klingbeil (bisher) nicht ausgelöst. Mit seiner Machtfülle als Parteichef und Fraktionsvorsitzender wäre das aber seine Aufgabe.
Denn ein Umbruch braucht nicht nur junge Gesichter, sondern auch eine neue politische Idee. Ein klar erkennbares Programm, das den Wählerinnen und Wählern eine Zukunftsvision bietet. Die SPD muss jetzt den Mut aufbringen, eine eigene unverwechselbare Identität zu schaffen.
Klingbeil wollte die Macht – nun muss er schnell liefern
Doch dafür hat Klingbeil im Moment wenig Zeit. Ihn drückt der Schuh ganz woanders. Er steckt mitten im Klein-Klein der Koalitionsverhandlungen. Er wollte diese Macht. Nun muss er schnell liefern. Und zwar in den Verhandlungen mit Friedrich Merz über eine neue Regierung. Der Druck ist immens.
Denn hier geht es nicht um einen innerparteilichen Aufbruch, sondern ums Schwarzbrot für die SPD-Wähler. Diese wollen vor allem soziale Gerechtigkeit und die Sicherung ihrer Arbeitsplätze. Niedrigere Steuern für geringe und mittlere Gehälter, stabile Renten – das steht auf Klingbeils Aufgabenzettel. Dagegen stehen Merz Versprechen: Senkung der Unternehmenssteuern, Abschaffung des Solidaritätszuschlags, Entlastung hoher Einkommen.
Außerdem ist da noch das Thema, das den Wahlkampf beherrscht und gespalten hat. CDU und CSU wollen Asylbewerber an den deutschen Grenzen zurückweisen. Die SPD hält das für nicht vereinbar mit europäischem Recht.
Beide Parteien sollten gemeinsame Antworten auf diese Themen finden, sonst wird es keine gemeinsame Koalition geben können. Das wäre eine sehr schlechte Nachricht. Lars Klingbeil hätte mindestens einen Teil seines Machtversprechens nicht eingelöst.