
Wer sich als Spieleentwickler an das Erbe von Agatha Christie wagt, muss nicht nur einen der berühmtesten Kriminalfälle der Literaturgeschichte neu erzählen, sondern auch eine Fangemeinde überzeugen, die hohe Ansprüche hat. „Agatha Christie: Tod auf dem Nil“, das seit dem 25. September 2025 für PC, PS5, Xbox Series und Nintendo Switch verfügbar ist, versucht genau das – und bewegt sich zwischen altbekannter Detektivarbeit und dem Versuch eines moderneren Twists.
Die Basis bildet die weltbekannte Geschichte: Eine scheinbar ruhige Nilkreuzfahrt wird zum Schauplatz eines Mordes. Der legendäre Hercule Poirot ermittelt, doch das Microids-Studio Lyon setzt nicht nur auf den Klassiker, sondern erweitert das Ensemble um die smarte Privatdetektivin Jane Royce, die ihre eigenen Spuren verfolgt. Die Kulisse wandert frei durch die Siebziger, was den traditionellen Charme des Romans mit sehr coolem Disco-Feeling und Retro-Interieur kreuzt.
Die Handlung spiegelt nicht einfach nur den literarischen Stoff wider, sondern greift mit neuen Schauplätzen, zusätzlicher Perspektive und frischen Wendungen nach ambitionierter Videospiel-Erzählkunst. Doch so viel Mut birgt auch Gefahren: Wer ein klassisches Adventure im Stile von „Mord im Orient-Express“ oder Sherlock Holmes erwartet, muss sich auf deutliche Gameplay-Innovationen und einige erzählerische Freiheiten einstellen. Aber das schadet nicht.
Worum geht’s in „Agatha Christie: Tod auf dem Nil“?

„Tod auf dem Nil“ nimmt die Spieler mit auf eine Reise durch Ägypten, London, Mallorca und New York – die berühmte Mordgeschichte der britischen Schriftstellerin Agatha Christie wird um neue Kapitel und Perspektiven erweitert. Zwei Ermittler, Poirot und Royce, führen durch ein komplexes Netz aus Zeugenaussagen, Beweissicherung und Rekonstruktionen von Tatorten und Zeitabläufen. Die zentrale Aufgabe bleibt: Wer ist der Mörder, und wie lässt sich das Puzzle der Motive lösen?
Das Gameplay baut auf klassische Adventure-Elemente: Schauplätze untersuchen, Hinweise sammeln, Zeugen befragen und Verdächtige konfrontieren. Die Entwickler setzen auf Dinge wie eine Mindmap-Funktion, in der Hinweise miteinander verbunden werden müssen, auf Mechaniken wie das rekonstruierte Zeitlinien-Puzzle, wo wir Zeitabläufe sortieren müssen, und auf Stealth-Anteile beim diskreten Belauschen von Verdächtigen. Der Perspektivwechsel zwischen Poirot und Royce eröffnet neue Ansichten auf den Fall und bietet Abwechslung abseits des typischen Point-and-Click-Detektivspiels.
Was hat uns gefallen?

Besonders beeindruckend ist die Mindmap-Mechanik des Spiels, die den Ermittlungsprozess auf eine neue Ebene hebt und uns ein authentisches Detektivgefühl vermittelt. Die Möglichkeit, Hinweise logisch zu verknüpfen und dem Fall systematisch auf den Grund zu gehen, sorgt für motivierende Aha-Momente – endlich die grauen Zellen nutzen wie Hercule Poirot!

Das Siebzigerjahre-Setting bringt zudem frischen Wind in die altbekannte Vorlage und punktet mit atmosphärischem Interieur, stimmigen Outfits und passender Musik, die das klassische Krimilager originell aufbrechen. Die Songs „Neon Groove“ und „Midnight Storm“ haben wir uns schon auf unsere private „Dance like nobody is watching“-Playlists gepackt.
Positiv hervorzuheben sind auch die Tatortrekonstruktionen und die meist guten Dialoge, die den Alltag des Detektivs glaubhaft simulieren und trotzdem die literarische Vorlage nicht außer Acht lassen.
Die Wahl zwischen zwei Detektivfiguren bietet Abwechslung, unterschiedliche Methoden bei der Spurensuche und erhöht den Wiederspielwert: Auf der einen Seite Poirots klassische Denkmethode, auf der anderen Seite Royces moderner Zugriff auf den Fall. Das ist sehr gut gelöst!
Für Fans der Vorlage sind außerdem schöne Easter Eggs und Sammlerobjekte eingestreut – von goldenen Schnurrbärten bis hin zu Vinyl-Scheiben. Wer sammeln will, wird hier belohnt.
Was hat uns nicht gefallen?

Auch die kleinen grauen Zellen werfen Schatten, und so ist auch „Tod auf dem Nil“ leider nicht das perfekte 1970er-Jahre-Glanzstück. Die Rätsel und Puzzlesysteme verlangen leider stellenweise einen unnötig komplizierten Denkprozess vom Spieler, was den Spielfluss stören und für Frustration sorgen kann. Rätsel sind so zu lösen, wie das Spiel es vorgibt. Wer vom Entdeckerdrang gepackt wird und Schauplätze früher aufsucht, als die Dramaturgie das vorsieht, kommt nur mühsam weiter. Die Denkstrukturen sollen nicht unsere sein, sondern die der Geschichte. Das hindert an manchen Stellen.
Nicht ganz so störend, aber dennoch zu bemängeln ist, dass Animation und Sounddesign manchmal deutlich hinter modernen Standards zurückbleiben: Lippenbewegungen sind oft nicht synchron zu den Dialogen, die Stimmen wirken phasenweise hölzern, und eigentlich emotionale Szenen verlieren dadurch ihre treffende Wirkung.

Auch Hercule Poirot bleibt, trotz seines Namens, als spielbare Figur überraschend blass im Vergleich zu seiner literarischen Vorlage – und auch viele andere Charaktere werden lediglich grob gezeichnet und kaum vertieft. Hier wurde erzählerisches Potenzial liegengelassen.
Die Grafik, das muss man sagen, macht in den charakteristischen Innenräumen durchaus Eindruck. Außerhalb dieser Kulissen ist sie jedoch enttäuschend durchschnittlich und bleibt hinter unseren Erwartungen zurück.
Für Neueinsteiger ist das Spiel zudem schwer zugänglich: Das komplizierte Rätseldesign, das langatmige Gameplay und der zähe Fortschritt verlangen viel Geduld und Durchhaltevermögen. Wer sich da reinfindet, wird allerdings mit einer stimmungsvollen Geschichte unter einem neuen Deckmantel belohnt.
Unser Fazit zu „Agatha Christie: Tod auf dem Nil“

„Agatha Christie: Tod auf dem Nil“ ist ein detektivisches Adventure, das sich zwischen ambitionierter Neuinterpretation und klassischer Krimirätselkunst bewegt. Die Veränderungen am Original – neue Hauptfiguren, Retro-Setting, Gameplay-Experimente – sind ein zweischneidiges Schwert. Auf der positiven Seite: Das Spiel bietet Fans des Genres fordernde Ermittlungen, ein frisches Setting und ein paar Kniffe, die das Rätsellösen bereichern. Kritisch muss gesagt werden: Die Technik ist stellenweise ungenügend, Dialoge und Animationen wirken manchmal lieblos, und der Erzählfluss stolpert gelegentlich über zu verkopfte Mechanismen.
Wer der Vorlage und dem Genre treu ist, wird sich über das gewandelte Setting und die investigativen Ergänzungen freuen. Wer einen leichten Einstieg ins Detektivspiel sucht oder gar ein Tempo wie im klassischen Adventure erwartet, wird vermutlich enttäuscht. „Agatha Christie: Tod auf dem Nil“ ist kein Meisterwerk und auch kein Genre-Highlight, aber ein stimmiges, wenn auch technisch begrenztes Krimirätsel für Kenner und Fans.
„Agatha Christie: Tod auf dem Nil“ ist seit dem 25. September 2025 für PC, PS5, Xbox Series und Nintendo Switch verfügbar und kostet rund 40 Euro. Das Spiel ist ab 12 Jahren freigegeben.
Hinweis: Für diesen Test wurde uns ein kostenloser Review-Code zur Verfügung gestellt. Unsere Wertung wurde dadurch nicht beeinflusst.