Games-Kritik

„Dragon Age: The Veilguard“ im Test: God of Dragon Age

Am neuen Werk der früheren Rollenspielgötter von Bioware lässt sich wunderbar durchexerzieren, warum es gut sein kann, Erwartungen von Spielern auch mal zu ignorieren.

Ein echtes "Dragon Age" braucht natürlich nicht nur kleines Gegnergekröse wie die Dunkle Brut, sondern auch so richtig schön schreckliche, naja, Drachen. | © Bioware/EA

10.12.2024 | 10.12.2024, 16:56

Etablierte Games-Marken sind heutzutage Fluch und Segen zugleich. Langjährige Fans wollen im Grunde mehr vom Gleichen, aber ein bisschen anders. Und wer neu einsteigt, der hat’s bisweilen schwer, mitzukommen. Das gilt insbesondere für Rollenspiele mit ihren komplexen Vorgeschichten, Intrigen und Geheimnissen. Und an Bioware-Spiele wird nach Meisterwerken wie „Mass Effect“ oder eben dem ersten „Dragon Age: Origins“ noch mal ein höherer Maßstab angelegt.

Um es vorwegzunehmen: Nein, „The Veilguard“ wird es nicht jedem recht machen. Und zwar weder allen Hardcore-Fans noch allen Neulingen – jeweils aus unterschiedlichen Gründen. Und trotzdem ist es ein Spiel, das uns über mittlerweile 45 Stunden super unterhält, obwohl es beileibe nicht alles „richtig“ macht. Man könnte diese Rezension also auch so überschreiben: „Wie man ein gutes Spiel macht, an dem trotzdem jeder was auszusetzen hat.“

„The Veilguard“ ist ein gutes Spiel, Punkt.

Die Spielwelt – hier der Wald Arlathan, in dem Elfenrebellen ihr Exildasein fristen – ist bildschön gestaltet und für Entdecker eine echte Freude. - © Bioware/EA
Die Spielwelt – hier der Wald Arlathan, in dem Elfenrebellen ihr Exildasein fristen – ist bildschön gestaltet und für Entdecker eine echte Freude. (© Bioware/EA)

Ganz kurzer Rückblick: In „Dragon Age“ erkunden wir die Fantasy-Welt Thedas, die sich nach dem Ende des letzten Serienteils „Inquisition“ gerade in einer Art Schwebezustand befindet. Der Elfengott Solas – in „Inquisition“ anfangs inkognito noch einer unserer spielbaren Weggefährten – plant offenbar, den Schleier zwischen physischer Welt und den Magieebenen einzureißen, um den Elfen ihre verlorenen magischen Fähigkeiten wiederzugeben. Dass das Ritual schief geht und zwei über Jahrhunderte weggeschlossene und entsprechend gelaunte Elfengötter plötzlich in Thedas Chaos und Zerstörung anrichten: geschenkt.

Aber warum hat Solas dieses Risiko überhaupt in Kauf genommen? Was hat er, der den Schleier einst selbst heraufbeschwor, um böse Mächte von Thedas fernzuhalten, zu beweisen? Die Kerngeschichte von „The Veilguard“ entfaltet sich langsam, und es vergehen Stunden, bevor wir eine Ahnung haben, worum es hier wirklich geht.

In den besten Momenten bekommen wir beinahe Mitleid mit dem Urheber all der Zerstörung, die wir hinter ihm aufräumen dürfen. Die Charakterstudie des fehlbaren Gottes, dem wir trotzdem alles zutrauen müssen, hält super bei der Stange. Im Gegensatz zu Bethesda, die bei den Hauptstorys ihrer Spiele (Skyrim!) alldieweil prächtig geschmücktes Mittelmaß abliefern, war dieser Teil in Bioware-Spielen praktisch immer eine Bank. Gut, dann kamen „Anthem“ und „Mass Effect: Andromeda“. Naja, keine Regel ohne Ausnahme.

Back to the (Bioware) roots

Das bisschen Taktik: Die ansonsten action-lastigen Kämpfe lassen sich fürs Auswählen von Kombos unterbrechen. - © Bioware/EA
Das bisschen Taktik: Die ansonsten action-lastigen Kämpfe lassen sich fürs Auswählen von Kombos unterbrechen. (© Bioware/EA)

Jedenfalls könnte man sagen: Bioware besinnt sich auf die Formel, die das Studio groß gemacht hat. Wir müssen einmal mehr eine Gruppe von Spezialisten versammeln, mit der wir dann ein großes Übel bekämpfen können. Damit die nicht nur nützliche Monster-Schlagetots bleiben, sondern auch Tiefe entwickeln, können wir mit ihnen auf Nebenmissionen gehen, die uns Einblick in ihre Geschichten geben. Diese Companion-Quests sind das zweite Story-Standbein von „The Veilguard“ – auch das ein Muster der besten Bioware-Titel – und praktisch durchweg spannend erzählt.

Beispiele gefällig? Die muskelbepackte Qunari-Drachenjägerin Taash treffen wir als Frau fürs Grobe. Doch dann nimmt sie uns mit auf ihre von Verbitterung, Verwirrung und Erwartungen enttäuschende Reise auf der Suche nach ihrer wahren Gender-Identität. Ihre traditionsbewusste Mutter erinnert sie ständig, wie man sich als Qunari-Frau zu verhalten hat. „Ich fühle mich aber nicht als Frau“, offenbart uns Taash. Ihre Erfahrungen mit der Welt, die sie als non-binäre Person nicht versteht, geben Einblicke, die in Spielen immer noch eher selten vorkommen. Und das kann nur helfen, auch wenn vier halbstündige Nebenquests keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema ersetzen.

Immer wieder können wir in Dialogen bioware-typisch auswählen, wie wir antworten. Ein Symbol gibt uns dabei immer einen Hinweis, wie der Ton der Antwort ausfällt: zum Beispiel bejahend, trotzig oder ironisch. Je nachdem, was unsere Mitstreiter oder Widersacher gerade hören wollen (oder nicht), entwickeln sich die Gespräche unterschiedlich. Treffen wir unbequeme Entscheidungen, tragen unsere Kollegen uns die gerne mal lange nach. Das Spiel weist uns dann darauf hin, dass eine frühere Aussage nun dazu führt, dass sich jemand entweder verschaukelt oder bestätigt sieht.

Ein Action-Rollenspiel, kein Taktik-Rollenspiel

Unsere zusammengewürfelte Gruppe von Helden kommt immer wieder zusammen, um die Ereignisse zu besprechen. - © Bioware/EA
Unsere zusammengewürfelte Gruppe von Helden kommt immer wieder zusammen, um die Ereignisse zu besprechen. (© Bioware/EA)

Die Kämpfe hat Bioware dagegen im Vergleich zum Serien-Urvater „Origins“ deutlich in Richtung Action entwickelt. Zwar können wir die Kämpfe pausieren, um mit den Fähigkeiten unserer Begleiter schicke und verheerende Kombo-Attacken auszulösen. Dass wir minutenlang taktieren müssen, kommt aber praktisch nicht vor. Für alle Attacken gibt es auch Tastenkombinationen, die uns sogar die Kampfunterbrechung ersparen.

So spielt sich „The Veilguard“ eigentlich fast wie das hervorragende „God of War Ragnarök“. Wir schlagen mit Standardangriffen zu, weichen Gegnerattacken aus, zaubern als Gegenangriff einen Klingenregen und springen zurück in den Infight. An dieser Stelle zeigt sich einer der Knackpunkte bei der Frage, wer mit diesem (handwerklich super entworfenen) Spiel seinen Spaß haben wird. Actionfans ja, „Origins“-Verfechter vielleicht weniger.

Ebenfalls „God of War“-ähnlich: das Beutesystem. Wir verbessern unsere Recken einerseits in verästelten Fähigkeitenbäumen, andererseits natürlich mit neuer Ausrüstung. Die gibt’s aber immer nur an ausgewählten Orten in Schatzkisten, manchmal auch nur ein Upgrade für einen Helm oder eine Axt, die wir schon besitzen. Die meisten Truhen erreichen wir ohne Probleme, hin und wieder müssen wir aber auch kleine Umgebungsrätsel lösen. Das bringt zusätzliche Abwechslung in die Erkundung der recht linearen Umgebungen.

Unser Fazit zu „Dragon Age: The Veilguard“

„Dragon Age: The Veilguard“ ist mehr als alles andere eine Geschmacksfrage. Nicht wenige wird allein schon der comichafte Grafikstil abschrecken, von den stockigen Gesichtsanimationen in Dialogen ganz zu schweigen. Die Kämpfe spielen sich wunderbar intuitiv und launig, haben aber mit der taktischen Tiefe eines „Dragon Age: Origins“ nicht mehr viel zu tun.

Das Beutesystem kann man nervig finden, wenn man eigentlich nur die Rüstung verbessern will, die man schon hat, als ständig Upgrades aus Kisten zu ziehen für Gegenstände, die man gar nicht nutzt – und obendrein nicht verkaufen kann. Aber wenn so ein Upgrade einen von uns lange ignorierten Gegenstand mit genau der richtigen Verbesserung ausstattet, ist das immer ein Fest.

„The Veilguard“ ist also abseits der Handlung und seiner Welt kaum ein „Dragon Age“, zumindest im Vergleich zu den Vorgängern. Insofern wird es viele enttäuschen, die zu wissen glauben, wie ein „Dragon Age“ zu sein hat. Aber es ist ein wahnsinnig flüssig spielbares Erlebnis, durchzogen von nachdenklichen Story-Beats und fordernden Begegnungen mit fantastischen Gegnern. Nimmt man es an als das, was es geworden ist, kann man kaum anders, als damit richtig viel Spaß zu haben.

„Dragon Age: The Veilguard“ ist erschienen für Playstation, Xbox Series und PC, kostet rund 60 Euro und ist freigegeben ab 16 Jahren.