Nur keine Panik. Bloß keine Playoff-Angst. Julian Nagelsmann spürt vor dem Showdown um das direkte WM-Ticket gegen die Slowakei den riesigen Bundestrainer-Druck. Doch die Sorge vor einer peinlichen und risikoreichen Extraschicht in einer doppelten K.o.-Runde soll jetzt bloß keine Oberhand gewinnen. Als kleiner Mutmacher drehte Kapitän Joshua Kimmich nach seiner Verletzung beim Abschlusstraining schon wieder ein paar Runden.
«Die Mannschaft wirkt sehr entschlossen, konzentriert. Ich glaube, vor dem Spiel morgen ist man sicherlich ein bisschen nervös. Das gehört auch dazu, aber das macht auch den Reiz aus», sagte Nagelsmann vor dem letzten Gruppenspiel der Fußball-Nationalmannschaft auf dem Weg zur WM in Amerika am Montag (20.45 Uhr/ZDF) in Leipzig.
Völler als wichtiger Ratgeber
An Ratgebern mangelt es dem Bundestrainer nicht. In Krisensituationen schon gar nicht. Einen hochwillkommenen hat er direkt an seiner Seite. Rudi Völler musste 2001 als DFB-Teamchef in die Playoffs gegen die Ukraine und bestand die Prüfung - jetzt wirkt er bei der Nationalmannschaft in seiner Kernkompetenz als Feuerwehrmann und Blitzableiter der aufgeregten Fußball-Branche beruhigend auf alle Beteiligten ein. «Es ist immer gut, seinen Rat zu hören und auch seine Persönlichkeit zu spüren», sagte Nagelsmann.
Für den Bundestrainer steht nach einer unbefriedigenden Zickzack-Qualifikation an seiner heißgeliebten ehemaligen Club-Arbeitsstelle enorm viel auf dem Spiel. Vor der wichtigsten Partie seiner Trainerkarriere seit dem schmerzhaften EM-Aus gegen Spanien im Sommer 2024 kommen viele Emotionen zusammen.
Die Ausgangslage ist rechnerisch simpel. Mit einem Unentschieden ist Deutschland bei der WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada sicher dabei. Mit einem Sieg würde zusätzlich die Chance auf den wichtigen Platz im besten WM-Topf bei der Auslosung am 5. Dezember in Washington gesichert. Nur bei einer Niederlage wäre alles anders. WM-Playoffs. Zwei Do-or-Die-Spiele im März.
Niederlage in Bratislava als Warnung
Unruhe muss verhindert werden, die Angst darf nicht lähmen. Jeder Spieler muss funktionieren, darf keine Angriffsfläche bieten - schon gar nicht durch öffentliche Fehltritte. Und besonders wichtig: Der Frust über das 0:2 in Bratislava sitzt auch noch tief.
Die Lust auf Revanche ist groß. Die kecken Slowaken sollen auf keinen Fall zum WM-Stolperstein in der einst als unfassbar leicht titulierten Gruppe A werden. «Natürlich sollte es schon bei allen dazu führen, dass wir gewarnt sind», sagte Nagelsmann in seiner Rückbetrachtung auf den Fehlstart im September.
Motivation, Mentalität, die viel beschworene Gier auf Siege: All das will der 38-Jährige endlich wieder spüren und sehen. «In der Herangehensweise muss es ein ganz anderes Spiel sein. Dann wirst du auch fußballerisch anders auftreten, als wir es in der Slowakei gemacht haben», versprach Nagelsmann.
Luxemburg als Anti-Mutmacher
Das Problem: Auch das 2:0 in Luxemburg war als Warm-up der Prototyp eines Pflichtsieges und letztlich eher ein Anti-Mutmacher. «Es ist wichtig, dass wir es schaffen, uns souverän zu qualifizieren», sagte Jonathan Tah.
Für seinen am Knöchel angeschlagenen Club-Kollegen Kimmich wird ein Slowakei-Einsatz zu einem Wettlauf mit der Zeit. Immerhin Nico Schlotterbeck kehrt nach seiner Fußverletzung ziemlich sicher in die Startelf zurück. Und auch bei Kimmich wird der Bundestrainer jeden Tag optimistischer. «Wer Joshua kennt, weiß, dass er ganz, ganz ungern nein zu diesem Spiel sagt. Von dem her gehe ich davon aus, dass er spielen kann.»
Mit grimmiger Miene war Völler am Freitag auf der Tribüne im Stade de Luxembourg zu sehen. Der 65-Jährige schaltete in den Krisenmodus. Ohne Spieler ging er zu einem lange verabredeten Charity-Termin bei der Leipziger Bahnhofsmission.
Nagelsmann wählte trotz des schwierigen Szenarios die sanfte Tour. «Am Ende habe ich schon das Gefühl, dass die Mannschaft das gerade nicht verträgt, wenn man jetzt super draufhaut, ehrlich gesagt, sondern wir wollen auch alle gemeinsam erfolgreich sein», sagte der 38-Jährige.
Zu viele Softies im Team? Nein, versicherte er nun. Es ging bei seiner Aussage nur um die Halbzeitansprache in Luxemburg. «Natürlich kann man bei der Mannschaft auch mal draufhauen. Es gab auch schon lautere Besprechungen.»
Die Nationalmannschaft ist sieben Monate vor dem WM-Anpfiff aber ein fragiles Gebilde, ohne verlässliche Automatismen oder Erfolgsgarantien. Die Frage ist: Trotz oder wegen der Arbeit des Bundestrainers? Geht es gegen die Slowakei schief, wie geht es dann weiter?
Sané statt Adeyemi
Rückkehrer Leroy Sané, unter der Woche vom Bundestrainer öffentlich unter Druck gesetzt, reichten ein paar gute Szenen, um nun die Ansprüche zu befriedigen. «Auf Bewährung war er nicht da, sondern er ist da, um das Spiel zu entscheiden, mitzuentscheiden, das hat er gemacht», sagte Nagelsmann. Der Münchner wird gegen die Slowaken noch einmal ran dürfen. Für Karim Adeyemi ist kein Platz in der Startelf.
Zu einer WM-Versicherung für Nagelsmann ist Torjäger Nick Woltemade geworden. Die letzten drei Treffer beim 1:0 in Nordirland und dem 2:0 in Luxemburg gingen auf das Konto des Angreifers. «Ich freue mich. Er hat ähnliche Chancen gehabt in der Nations League, die er auch zu seinem Leidwesen noch nicht genutzt hat. Jetzt ist er halt super drin, auch in Newcastle, daher ist er wichtig für uns», lobte der Bundestrainer.
Keine Remis-DNA
Auf Remis will Nagelsmann nicht spielen lassen. «Generell haben wir schon irgendwie eine gewisse DNA in der Mannschaft und es kommen die meisten von Clubs, wo sie Favorit sind», erwartet er eine Siegermentalität. Aber: «Wir haben keine Phase, wo wir den Gegner aus dem Stadion schießen, sondern wir müssen uns Dinge erarbeiten.»

