Julian Nagelsmann ließ sich nichts anmerken. Konzentriert, fokussiert, äußerlich unbeeindruckt von den schlechten Personal-News um Kapitän Joshua Kimmich und Abwehr-Säule Nico Schlotterbeck jonglierte der Bundestrainer vor dem letzten Training vor dem Abflug nach Luxemburg mit einem Ball im Wolfsburger Herbst-Sonnenschein.
Kimmich grüßte kurz darauf in einer Social-Media-Nachricht von der Krankenliege. «Leider vorerst mein Arbeitsplatz. Gebe alles, um am Montag wieder auf dem Platz zu stehen», schrieb er bei Instagram. Auf dem Foto sprach seine Mimik mit trotzig zusammengepressten Lippen Bände.
Natürlich beschäftigte der Doppel-Ausfall der Stammkräfte für das vorletzte Gruppenspiel in der WM-Qualifikation am Freitag (20.45 Uhr/RTL) beim Underdog im Großherzogtum auch den Bundestrainer. Er kommt für Nagelsmann maximal ungelegen.
«Leinen los, ein bisschen mehr Risiko!» Das hatte er für den vorletzten Schritt zum direkten WM-Ticket gegen das punktlose Gruppenschlusslicht Luxemburg als Motto für die Fußball-Nationalmannschaft ausgegeben. Sprich: Tore, Tore, Tore.
Mit einem hohen Sieg kann nämlich die Ausgangslage für den Showdown gegen die Slowakei am Montag (20.45 Uhr/ZDF) weiter verbessert werden. Läuft in Luxemburg alles nach Plan, reicht in Leipzig ein Remis für Platz eins und die direkte WM-Teilnahme.
Kimmich mit im Flieger nach Luxemburg
Der vorletzte Schritt zur Endrunde in Amerika 2026 muss nun ohne Schlotterbeck gelingen und vor allem ohne Kimmich. Der Bayern-Profi hat sich schon am Mittwoch im Training eine Kapselverletzung im rechten Sprunggelenk zugezogen, konnte die Abschlusseinheit in Wolfsburg vor dem Abflug nicht mit bestreiten. Der 30-Jährige reist aber mit nach Luxemburg. Die Hoffnung ist, dass er am Montag in Leipzig wieder einsatzfähig ist.
Die Tragweite des Kimmich-Ausfalls zeigt ein Blick in die DFB-Chronik von Nagelsmann. 25 Spiele seit November 2023 war der Münchner immer dabei. Nur beim Debüt des Bundestrainers im Oktober 2023 fehlte er. Mit einem Infekt musste er damals vor dem Test-Doppelpack aus den USA nach Hause reisen.
Baku als Backup
Bei Nagelsmann gilt: Kimmich spielt (wenn möglich) immer, ob als Sechser oder wieder wie zuletzt als rechter Außenverteidiger. Dort dürfte ihn Ridle Baku von RB Leipzig als extra einbestelltes Backup nun vertreten. Spannender, weil symbolträchtiger, ist die Frage, wer die Kapitänsbinde von Kimmich übernimmt.
Die Stellvertreter Antonio Rüdiger und Kai Havertz gehören nach Verletzungen nicht zum aktuellen Aufgebot. Nach Kimmich (105 Länderspiele) hat Leroy Sané (70) die meisten DFB-Einsätze. Der 29-Jährige von Galatasaray Istanbul wurde von Nagelsmann nach einer Auszeit aber nur zur Bewährung ins Aufgebot zurückgeholt.
Nach einer sehr ungewöhnlichen öffentlichen Schelte am Montag («Viele Chancen hat er nicht mehr»), wäre das Kapitänsamt für den Offensivmann eine Überraschung - oder eine weitere Botschaft, die lautet, streng dich an, übernimm endlich Verantwortung.
Realistischere Kandidaten für die schwarz-rot-goldene Binde sind Kimmichs Münchner Club-Kollegen Leon Goretzka, Serge Gnabry und Jonathan Tah oder Torhüter Oliver Baumann, der mit 35 Jahren der älteste Spieler im Aufgebot ist.
Der Ausfall von Kimmich ist der zweite Rückschlag in den Personalplanungen des Bundestrainers für die Defensive. Zuvor stand bereits praktisch fest, dass auch Nico Schlotterbeck in Luxemburg nicht zur Verfügung steht. Der Dortmunder Verteidiger hatte sich am Samstag im Spiel beim Hamburger SV eine Wunde am Fuß zugezogen, die getackert werden musste.
Am Donnerstag stieg der 25-Jährige erst wieder ins Lauftraining ein, kam mit Teamarzt Jochen Hahne erst in Badelatschen auf den Platz und drehte mit einem Fitness-Coach dann ein paar Runden. Auch Schlotterbeck soll bestmöglich gegen die Slowakei wieder zum Einsatz kommen. Für ihn dürfte sein Club-Kollege Waldemar Anton in die Viererkette rücken, zu der noch Tah im Zentrum und der Leipziger David Raum als linker Schienenspieler gehören.
Bayern-Block wird zum Quartett
Durch Kimmichs Ausfall wird auch das so wichtige Bayern-Quintett aufgelöst. In Tah, Goretzka, Gnabry und Aleksandar Pavlovic verbleiben aber noch vier Münchner als DFB-Herzstück. Mit ihrer überragenden Club-Form sollen sie den DFB-Motor in Schwung bringen - eine weiß-blaue Fußball-Blaupause sozusagen.
«Ich habe ja schon mal gesagt, dass ich als Nationaltrainer natürlich eine super Abhängigkeit habe vom Verein. Also es bringt nichts, eine gute Fantasie zu haben und Spieler einzuladen, die alle auf dem absteigenden Ast sind», sagte Nagelsmann. Die Bayern sind zu seinem Glück genau das Gegenteil.
«Ich glaube, es ist grundsätzlich wichtig, mit Selbstvertrauen und mit Überzeugung an seine Aufgaben ranzugehen. Genau das Gleiche müssen wir hier auch machen», versprach Tah einen Form-Transfer zum DFB-Team.
In Luxemburg wie in Paris
Die Gefahr eines Spannungsabfalls zwischen den unterschiedlichen Fußball-Bühnen vom Kräftemessen mit Paris Saint-Germain in der Champions-League und nun beim Weltranglisten 97. Luxemburg spürt er nicht. «Es ist die Pflicht, vor allen Dingen für Deutschland, für seine Nation, dieses Niveau abzurufen», sagte Tah.
Nagelsmann sieht auch die Pflicht für mehr Offensiv-Effektivität. Trotz der Siege gegen Luxemburg (4:0) und Nordirland (1:0), mit denen die Ausgangslage für die direkte WM-Qualifikation nach dem Fehlstart in der Slowakei (0:2) massiv verbessert wurde, war er mit dem Lust-Faktor auf Tore nicht zufrieden.
«Ein bisschen zu träge», sei das Spiel gewesen, «ein bisschen zu viele Kontakte, ein bisschen zu viel so die Sucht nach Kontrolle, sage ich mal», konstatierte der Bundestrainer. In Luxemburg soll sein Team auch ohne Antreiber Kimmich entfesselt auftreten.

