Beim Einmarsch in den Bankettsaal des feudalen Teamhotels wurden die Bayern-Spieler von den stehend applaudierenden Edelfans gefeiert, als wären sie schon die neuen Champions von Europa. «Wow! Wahnsinn! Was haben wir für einen Fight erlebt», lauteten die ersten Worte, die Bayern-Chef Jan-Christian Dreesen in der Pariser Nacht an die «liebe Mannschaft» und ihren Baumeister, den «lieben Vincent» Kompany richtete.
Dieses hochintensive und mitreißende 2:1 (2:0) beim Champions-League-Sieger Paris Saint-Germain mit dem emotional Achterbahn fahrenden Hauptdarsteller Luis Díaz überstrahlte alle 15 vorangegangenen Saisonsiege des makellosen Rekordmeisters. «Es hat sich nicht nach einem Spiel in der Ligaphase angefühlt. Es hat sich angefühlt wie ein Semifinale. Oder ein Finale», sagte Dreesen.
Kompany: Arbeit und Emotionen
Die größte Erkenntnis an diesem großen Abend im Parc des Princes war diese: Die in den ersten 45 Minuten bei Elf gegen Elf fußballerisch dominierenden Münchner mit dem Doppel-Torschützen Díaz zeigten nach der Roten Karte für den ungestümen Kolumbianer in Unterzahl eine ganz neue und für alle Titelkonkurrenten bedrohliche Facette: Sie können auch sogenannte Abwehrmonster sein.
Wer sah, wie der ehemalige Weltklasse-Verteidiger Kompany nach dem Schlusspfiff auf den Rasen stürmte, den defensiven Vorarbeiter Dayot Upamecano umarmte und dann im Kreis mit seinen Spielern hüpfte, begriff die wahre Bedeutung dieses Auftritts beim Königsklassen-Titelverteidiger.
Von «Arbeit und Emotionen» sprach der 39 Jahre alte Trainer, der eine Sieg-Maschine erschaffen hat. «Wir haben es gemeinsam geschafft», schwärmte Kompany. «Total überrascht» von der Abwehrleistung mit dem grandiosen Innenverteidiger-Duo Upamecano und Jonathan Tah sowie dem nur beim 1:2 von João Neves machtlosen Torwart Manuel Neuer war der Trainer aber nicht. «Ich möchte, dass wir auch das genießen, das Verteidigen», sagte er vielmehr.
Wer soll diese Bayern auf dem Weg zu allen Trophäen aufhalten? Europas Presse zeigte sich schwer beeindruckt. Spaniens Sportblatt «As» schrieb: «Das Spiel war eine Ode an den Totalfußball. Ein Duell, das, falls es noch Skeptiker gab, bestätigte, dass Bayern eine Dampfwalze ohne Bremse ist.»
Jubilar Kimmich: Wir sind ein europäisches Topteam
Überhöhen wollten sich ausgerechnet die Protagonisten nicht. Sportvorstand Max Eberl sprach lediglich von einem weiteren wichtigen Entwicklungsschritt. «Wir wissen: Fußball spielen können wir. Laufen können wir. Aber wenn wir mal verteidigen müssen, das können wir auch.» Nach der Machtdemonstration mit der besten ersten Hälfte seit vielen Jahren stellte Joshua Kimmich nach seinem 100. Königsklassen-Einsatz fest: «Momentan sind wir natürlich ein europäisches Topteam.»
Es gibt nur einen Haken. Es ist gerade mal Herbst. Die Vergabe der Preise ist damit noch weit weg. «Es waren schon einige Mannschaften im November in sehr guter Form. Aber am Ende ist entscheidend, wie man im März, April, Mai in Form ist», bemerkte Kimmich. «Der Champions-League-Sieger ist nicht jetzt entschieden», sagte auch Kompany. Und PSG-Trainer Luis Enrique bleibt darum «ganz ruhig», wie er sagte: «Wir müssen akzeptieren, dass der Gegner besser war. Aber die Saison ist noch lange nicht zu Ende.» Es war eine Kampfansage.
Aber wie die Bayern auftraten, das imponierte. «Die erste Halbzeit war brillant von uns. Und die zweite war gemeinsam leiden und gemeinsam verteidigen. Wir haben gezeigt, dass wir auch das können und dazu bereit sind», sagte Tah.
Bayern-Chef neckt fast 40-jährigen Neuer
«Man hat gesehen, wer die bessere Mannschaft war», befand Kapitän Neuer, den Vorstandsboss in seiner Bankett-Rede anerkennend neckte: «Wahnsinn, was du alles in dem Alter noch vollbringen kannst.» Wird der Torwart 2026 mit dann 40 Jahren nach 2013 und 2020 vielleicht noch einmal Triple-Champion?
Diese Antwort muss warten nach einem Vorrundenspiel, das besonders für Neuzugang Luis Díaz mit extremen Emotionen verbunden war. Erst glänzte der Flügelstürmer mit seinem ersten Doppelpack im Bayern-Trikot. Dann stand der 28-Jährige nach seiner im Einsatz übertriebenen und dazu unklugen Grätsche gegen Gegenspieler Achraf Hakimi als Rotsünder im Rampenlicht.
Diaz' folgenschwere Grätsche gegen Hakimi
Der Ex-Dortmunder Hakimi verletzte sich bei der Aktion schwer, vergoss an seinem 27. Geburtstag Tränen auf dem Platz. An Krücken und mit einem orthopädischen Schuh humpelte er später durch die Stadion-Katakomben.
Es war eine Szene, die an den schweren Sportunfall von Jamal Musiala bei der Club-WM erinnerte, als die Bayern vor vier Monaten bei der Club-WM in den USA eben gegen Paris im Viertelfinale letztmals verloren. «Er hat es nicht extra gemacht», verteidigte Kompany seinen Spieler. Der Bayern-Coach äußerte den wohl vergeblichen Wunsch, «dass Hakimi schnell wieder spielen kann, für PSG, für Marokko».
Luis Díaz wird erst einmal gesperrt werden und wohl nicht nur die nächste große Champions-League-Prüfung in drei Wochen beim ebenfalls mit vier Siegen gestarteten Premier-League-Primus FC Arsenal verpassen. In Paris aber war der Matchwinner mit dem Platzverweis-Makel erstmal erleichtert. «Er hat als Erster in der Kabine gestanden und jeden Spieler abgeklatscht», verriet Eberl: «Er weiß, dass er der Mannschaft dankbar ist. Aber andererseits ist die Mannschaft auch ihm dankbar, dass er die zwei Tore geschossen hat.»

