«Für mich war der Antrieb, dann da zu sein, wenn die Polizei die einzige Instanz ist, die helfen kann, also wenn es wirklich um Leben und Tod geht.» Enver G. spricht über seine Beweggründe, warum er Polizist geworden ist. Bei einem Routineeinsatz um eine vermeintlich hilflose Person am 11. Mai 2023 in einem Hochhaus in Ratingen bei Düsseldorf wird er mit zahlreichen weiteren Einsatzkräften, die helfen wollten, Opfer eines Mordanschlags.
Als Enver G. mit seiner jungen Kollegin eine Wohnung betritt, werden die Einsatzkräfte mit einer brennbaren Flüssigkeit angegriffen. Eine Explosion folgt. Ein verheerender Feuerball trifft die Einsatzkräfte und setzt ihre Kleidung in Brand. Weil sich die Einsatzkräfte gegenseitig retteten, werden Enver G., seine Kollegin, fünf Feuerwehrleute, ein Notarzt und eine Rettungssanitäterin mit der Rettungsmedaille des Landes NRW ausgezeichnet. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) nimmt die Ehrung heute Abend in Gelsenkirchen vor.
Die Opfer spüren die körperlichen und psychischen Folgen des Mordanschlags bis heute. «Ich kann natürlich ja nur für mich sprechen und weiß, dass das Leben auf jeden Fall nie wieder dem vorangegangenen gleichen wird», sagt Enver G. auf die Frage, wie es ihm zweieinhalb Jahre nach dem Anschlag geht. Wegen der schweren Verbrennungen sei er beim Sport eingeschränkt. Joggen sei beispielsweise durch die Probleme an seinem Bein nicht möglich.
Neue Aufgabe gefunden
Wieder in die Uniform zurückkehren zu können, nennt er für sich und seine damalige Kollegin, mit der er weiterhin in engem Kontakt stehe, als eine große Antriebsfeder. Beide sind inzwischen in der Wiedereingliederung im Dienst, wie Enver G. schildert. Der 32-jährige Polizeioberkommissar hält in Polizeikreisen Vorträge, wie sich Beamte im Einsatz vor Gefahren schützen können.
Zuspruch auf Instagram
Der junge Mann erlebt auf seinem schwierigen Weg zurück ins Leben viel Zuspruch, nicht nur aus dem Kollegenkreis. Vermutlich auch durch den Algorithmus kämen Menschen auf sein Instagram-Profil, die sich gerade in schweren Lebensphasen befänden, die «dann in der Geschichte, auch ohne Polizist oder Polizistin zu sein, Zuspruch und Kraft finden». Der Großteil der Kontakte lasse ihn wissen, dass sie ihm alles Gute wünschen, egal wo ihn sein Weg hinführen werde.
Langer Weg auch für Feuerwehrleute
Der Leiter der Ratinger Feuerwache, Markus Feier, berichtet von starken Belastungen. Vier der unmittelbar betroffenen Einsatzkräfte seien aktuell nicht dienstfähig. Die Auszeichnung auf einer Bühne in der Öffentlichkeit sei für viele Betroffene ein großer Schritt. Für Interviews stünden sie dort allerdings nicht bereit. «Ich glaube, dafür sind die Wunden einfach im wahrsten Sinn des Wortes zu groß. Und gerade auch die Wunden, die man gar nicht sieht», sagt er.
Nach dem Anschlag seien die Konzepte überprüft worden. «Keiner hat irgendwas falsch gemacht von den Einsatzkräften. Und insofern wissen wir für die tägliche Arbeit, dass wir genauso weiter verfahren können und müssen, wie wir es da getan haben», sagt Feier. Auf einen heimtückischen Anschlag habe man sich nicht vorbereiten können. Der längste Weg zur Normalität sei der für die Kollegen. Auch für andere Einsatzkräfte sei das eine belastende Situation gewesen, plötzlich Feuerwehrleute oder enge Kameraden verletzt zu sehen.
Anders als vielleicht noch vor Jahrzehnten bekämen Einsatzkräfte heute frühestmöglich auch eine psychische Unterstützung und eine entsprechende Nachsorge. «Früher gab es immer dieses Bild des harten Feuerwehrmanns. Man musste hart sein und man hat alles mit nach Hause genommen, also man hat alles in sich hineingefressen», schildert der Leiter der Ratinger Feuerwehr und fügt hinzu: «Und das ist halt einfach gar nicht mehr so und das ist auch gut so.»
Welle der Solidarität
Bürgermeister Patrick Anders unterstreicht, die Einsatzkräfte, die Leben retten wollten, seien mit einer unglaublichen Brutalität angegriffen worden. Angesichts der Spuren des Feuers in dem Hochhaus und der im Strafprozess gezeigten Bilder sei es kaum vorstellbar gewesen, dass alle das überlebt haben. Bereits wenige Stunden nach dem Anschlag habe es eine «unfassbare Welle der Solidarität» gegeben. Der Anschlag habe in den Fokus gerückt, was Feuerwehr und Polizei leisteten. «Das ist ein Angriff auf uns alle gewesen», betont Anders.
Höchststrafe
Das Landgericht Düsseldorf verurteilte den Mann, der in der Hochhauswohnung auf die Einsatzkräfte lauerte, im Dezember 2023 wegen versuchten Mordes in fünf Fällen zu lebenslanger Haft. Die Richter stellten die besondere Schwere seiner Schuld fest. Als Motiv nannte das Gericht Hass auf den Staat. Der Angeklagte wollte Polizisten töten, weil sie den Staat repräsentierten, erklärte der Vorsitzende Richter. Die Höchststrafe ist seit rund einem Jahr rechtskräftig.

