Die nordrhein-westfälische SPD-Landtagsfraktion plädiert für eine Aussetzung oder zumindest Lockerung des Zertifikatehandels zur Reduktion von CO2-Emissionen. «Die Chemie- und Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen steht enorm unter Druck», sagte SPD-Fraktionschef Jochen Ott in Düsseldorf. Der europäische CO2-Zertifikatehandel in seiner derzeitigen Form drohe, «die Branchen in die Knie zu zwingen».
Die Wettbewerbsbedingungen seien «zutiefst ungerecht», besonders für die CO2-intensiven Betriebe, so der SPD-Oppositionsführer. Im Vergleich zu China, den USA und dem arabischen Raum habe die NRW-Industrie einen großen Kostennachteil. Der Grund liege in den Energiekosten, in Zöllen und vor allem in der Bepreisung des klimaschädlichen Kohlendioxids, die es nur in Europa gebe. Es drohe eine Deindustrialisierung, obwohl NRW hocheffiziente, moderne Anlagen mit den weltweit höchsten Umwelt- und Arbeitsstandards habe.
Verlust von Arbeitsplätzen
Der auferlegte Kurs führe zum Verlust der Industrie und von Arbeitsplätzen mit hohen sozialen Umweltstandards, sagte Ott. Bei der Industrie- und Klimapolitik müsse aber auch die Beschäftigung immer mitgedacht werden. Deshalb müsse der Zertifikatehandel entweder ausgesetzt werden, oder zusätzliche Zertifikate sollten an die CO2-intensive Industrie ausgeteilt werden. Bedingung müsste sein, dass die Unternehmen in den ökologischen Umbau investierten und gleichzeitig mit Standortsicherung die Beschäftigung garantierten.
Ott plädierte für einen «New Deal» zwischen Staat, Unternehmen und Gewerkschaften. Die Nachhaltigkeit sei in den vergangenen Jahren zu einseitig auf das Ökologische bezogen worden. «Aber das Nachhaltigkeitsdreieck besteht eben aus Ökologie, sozialer Verantwortung und Wirtschaftlichkeit», sagte Ott.
Grüne: SPD sendet das falsche Signal
NRW-Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur (Grüne) nannte den Vorstoß der SPD ein falsches Signal: «Der europäische Emissionshandel ist ein zentrales Instrument für den Klimaschutz in Europa – und damit auch für die Modernisierung und Zukunftsfähigkeit unserer Industrie», erklärte Neubaur. «Er sorgt dafür, dass der CO2-Ausstoß einen Preis bekommt und Investitionen in klimafreundliche Technologien angereizt werden.» Eine pauschale Aussetzung dieses Mechanismus würde notwendige Transformationsprozesse verzögern und die Glaubwürdigkeit europäischer Klimapolitik untergraben.
Klar sei aber auch, dass die energieintensive Industrie unter erheblichem Druck stehe. Deswegen setze sich die NRW-Landesregierung in Berlin und Brüssel intensiv für einen wirksamen Schutz ein. Außerdem müsse der Reduktionspfad im Emissionshandel perspektivisch so angepasst werden, dass die Unternehmen genügend Spielraum für ihre Transformation hätten. «Unser Ziel ist, dass Industrie, Klimaschutz und Beschäftigung gemeinsam stark bleiben.»
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, Michael Röls-Leitmann, sagte: «Es ist schlichtweg falsch, die Strukturprobleme unserer Wirtschaft, die in einem unfairen internationalen Wettbewerb steht, auf die Klimapolitik zu schieben.» Richtig sei vielmehr, dass der sogenannte CO2-Grenzausgleichsmechanismus nachgeschärft werden müsse. Dabei handelt es sich um ein System der EU, das Importe aus Drittstaaten mit einem CO2-Preis belegt, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und die Verlagerung klimaintensiver Produktion ins Ausland zu verhindern. «Nun aber das zentrale Instrument der EU-Klimapolitik infrage zu stellen, ist klimapolitisch verantwortungslos.»
Zertifikatehandel hat europäische Emissionen reduziert
Seit der Einführung des europäischen Emissionshandels vor 20 Jahren ist der Ausstoß an Treibhausgasen der beteiligten Anlagen laut Umweltbundesamt (UBA) um rund die Hälfte gesunken. Europaweit sanken die Emissionen nach Daten der Deutschen Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt um 51 Prozent, in Deutschland um etwa 47 Prozent.
Neben dem europäischen gibt es in Deutschland auch einen nationalen Emissionshandel, beide Instrumente zusammen decken laut UBA rund 85 Prozent der deutschen Emissionen ab.