Justiz

Ansprüche auf jüdisches Konto aus Nazi-Zeit wohl verjährt

Marc Benseghir, der Urenkel einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Hagen, berät sich mit seinem Anwalt Christoph Partsch. | © Marc Herwig/dpa

26.03.2025 | 26.03.2025, 16:05

Ein Nachfahre von jüdischen Opfern der NS-Diktatur hat voraussichtlich keinen Anspruch, mehr über ein Konto seiner Familie in der Nazi-Zeit zu erfahren. Die Richter am Oberlandesgericht Hamm machten deutlich, dass alle Ansprüche der Erben inzwischen vermutlich längst verjährt seien.

Deshalb sei es juristisch auch unerheblich, was mit dem Geld der jüdischen Kaufmannsfamilie während der Judenverfolgung durch die Nazis passierte, argumentierte der Senat in seiner vorläufigen Einschätzung. Ein Urteil soll am 7. Mai verkündet werden.

Der Urenkel eines jüdischen Metzgermeisters aus Hagen fordert von der Sparkasse Akteneinsicht - und letztlich die Auszahlung des vermuteten Vermögens seiner Vorfahren. Die Sparkasse an Volme und Ruhr in Hagen hält die Forderung für unbegründet.

Mitgift in Zeiten der Nazi-Herrschaft

Marc Benseghir, der Urenkel einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Hagen, fordert vor Gericht Auskunft über ein Konto seiner Familie aus der Nazizeit. - © Marc Herwig/dpa
Marc Benseghir, der Urenkel einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Hagen, fordert vor Gericht Auskunft über ein Konto seiner Familie aus der Nazizeit. (© Marc Herwig/dpa)

Das Geld, um das es geht, soll eine Mitgift des Hagener Metzgermeisters Simson Cohen für seine Tochter Erna gewesen sein. Cohen ist in Hagen durchaus bekannt - eine Brücke in der Nähe der Innenstadt ist nach ihm benannt. In der Pogromnacht 1938 stürmten die Nazis sein Geschäft und verletzten ihn so schwer, dass er drei Jahre später an den Folgen starb. Seine Tochter und ihr Mann, Arthur Levy, waren zu diesem Zeitpunkt schon in die Schweiz emigriert.

Das Oberlandesgericht Hamm muss klären, ob ein Nachfahre von jüdischen NS-Opfern Auskunft über ein Konto aus der Nazi-Zeit bei der Sparkasse verlangen kann. (Archivbild) - © Guido Kirchner/dpa
Das Oberlandesgericht Hamm muss klären, ob ein Nachfahre von jüdischen NS-Opfern Auskunft über ein Konto aus der Nazi-Zeit bei der Sparkasse verlangen kann. (Archivbild) (© Guido Kirchner/dpa)

Viele Jahrzehnte später stieß Cohens Urenkel Marc Benseghir durch Akten im Schweizerischen Bundesarchiv überhaupt darauf, dass es bei der Sparkasse in Hagen ein Konto gab - und dass sein Großvater damals vergeblich versuchte, aus der Schweiz an das Geld in Nazi-Deutschland heranzukommen.

Wohin flossen die 25.000 Reichsmark?

Doch über dieses Konto mit der Nummer 4409 gebe es kaum noch Unterlagen, argumentiert die Sparkasse in dem Rechtsstreit. Einige Listen, in denen es erwähnt sei, legten nahe, dass die einst stattliche Summe von rund 25.000 Reichsmark nach und nach ausgezahlt wurde, bis das Konto 1937 aufgelöst worden sei. Weitere Unterlagen zu dem Konto habe man trotz intensiver Recherche nicht finden können, versicherte der Vertreter der Sparkasse vor Gericht.

Mögliche Ansprüche der Erben seien inzwischen wohl verjährt, sagt der Vorsitzende Richter Elmar Lemken (Mitte). - © Marc Herwig/dpa
Mögliche Ansprüche der Erben seien inzwischen wohl verjährt, sagt der Vorsitzende Richter Elmar Lemken (Mitte). (© Marc Herwig/dpa)

Benseghir und sein Anwalt Christoph Partsch misstrauen den Angaben der Bank und fordern vor Gericht eine vollständige Akteneinsicht. Sie wollen verstehen, wie es sein kann, dass das Guthaben von Jahr zu Jahr kleiner geworden sein soll - obwohl sich die Sparkasse doch geweigert habe, Geld an den jüdischen Kontoinhaber Arthur Levy auszuzahlen.

Richter: Anspruch wäre wohl längst verjährt

Marc Benseghir stieß durch Akten im Schweizerischen Bundesarchiv auf das Konto. - © Marc Herwig/dpa
Marc Benseghir stieß durch Akten im Schweizerischen Bundesarchiv auf das Konto. (© Marc Herwig/dpa)

Doch mit all diesen Fragen beschäftigten sich die Richter am Oberlandesgericht erst gar nicht. Stattdessen prüfte der Zivilsenat ausführlich verschiedene Bestimmung zur Verjährung von Ansprüchen - und kam zu der vorläufigen Einschätzung: Selbst wenn Arthur Levy während der Nazi-Herrschaft zu Unrecht um sein Geld gebracht worden sein sollte, wären die Ansprüche der Familie seit Jahrzehnten verjährt.

Klägeranwalt Partsch reagierte entsetzt. «Es geht um die Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen», sagte er. «Aufklärung und Wiedergutmachung sind doch Staatsraison dieser Republik.» In einem solchen Fall dürfe man nicht einfach auf Verjährungsregelungen verweisen.

Sparkassen-Anwalt Martin Lange entgegnete: «Es geht natürlich um nationalsozialistische Gewaltherrschaft – das verkennen wir nicht.» Aber im Prozess gehe es eben nicht «um eine globale politische Betrachtung von Unrecht», sondern um einen konkreten zivilrechtlichen Anspruch.

«Niemand will die Unrechtstaten verharmlosen»

Auch der Vorsitzende Richter Elmar Lemken betonte: «Niemand hier will die nationalsozialistischen Unrechtstaten verharmlosen.» Aber eine historische Aufarbeitung könne ein Zivilprozess nicht leisten. In dem Prozess gehe es ausschließlich darum, die individuellen Ansprüche von Kläger Benseghir zu beurteilen. Und dafür gelte auch die gesetzliche Verjährungsfrist.

Wenn am 7. Mai das endgültige Urteil verkündet wird, will Benseghir danach entscheiden, ob er in die nächste Instanz geht. Sein Anwalt Partsch glaubt, dass das Verfahren juristisch wegweisend sein könnte. Denn Historiker gingen davon aus, dass es bei zahlreichen Banken in Deutschland noch Akten über Konten von Juden gebe, die in der Nazi-Zeit enteignet wurden.