
Düsseldorf. Für einen kurzen Moment platzt ihm der Kragen. „Ich habe das Thema erstmals 2004 im Europäischen Parlament gehört. In 20 Jahren ist nichts passiert“, schimpft Herbert Reul, als er über das Thema Vorratsdatenspeicherung spricht. Das sei ein „Desaster für die Politik“, flucht der NRW-Innenminister. Doch noch will Reul nicht aufgeben.
Der CDU-Politiker setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Verbindungs- und Standortdaten zum Beispiel von Tablet- und Smartphonenutzern für einen bestimmten Zeitraum gespeichert werden. Das soll Sicherheitsbehörden ermöglichen, auf diese wichtigen Daten zugreifen zu können, wenn zum Beispiel ein Verdacht auf schweres kriminelles Handeln vorliegt.
Doch bis heute sei politisch nichts passiert, kritisiert Reul. „Null Komma null.“ Zuletzt waren entsprechende Vorstöße zum Beispiel an der FDP innerhalb der Ampel-Koalition gescheitert. „Leider“ habe aber nach dem Bruch der Ampel auch die rot-grüne Minderheitsregierung die Zeit nicht genutzt, um Änderungen umzusetzen, moniert Reul „Das stinkt mir maßlos.“
Thema ist seit fast zwei Jahrzehnten umstritten
Die Vorratsdatenspeicherung ist seit Jahrzehnten umstritten und immer wieder Thema. Befürworter einer Speicherung erhoffen sich dadurch, dass Ermittler anhand der Daten erkennen können, wann ein Verdächtiger mit wem wie lange kommuniziert hat, zum Beispiel telefonisch oder per Chat. Das könnte zum Beispiel Rückschlüsse auf Komplizen zulassen. Ein Gesetz wurde 2017 von der Bundesnetzagentur abgelehnt. Auch auf EU-Ebene gibt es rechtliche Vorbehalte. Kritiker wie die FDP sehen den Datenschutz massiv beeinträchtigt. Die Vorratsdatenspeicherung der IP-Adressen sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Bürgerrechte, so das Argument.
Die schwarz-grüne Landesregierung in NRW hatte nach dem Anschlag von Solingen im vergangenen Jahr einen politischen Vorstoß in Form eines Sicherheitspakets unternommen. Darin fordern CDU und Grüne eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Das ist vor allem für die Grünen nicht selbstverständlich. Zwar hatten die Bundesländer Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg das Paket unterstützt – dennoch scheiterte es im Bundesrat, also der Länderkammer.

Reul bezeichnet diesen Vorstoß aus NRW als „extrem wertvoll“. Es müsse der Polizei möglich sein, „direkt und ohne Umwege zu den Tätern nach Hause zu kommen.“ Er schaue jetzt „optimistisch“ nach Berlin. Dort verhandeln Union und SPD aktuell den Koalitionsvertrag. Reul hofft, dass die Vorratsdatenspeicherung dann endlich auf Bundesebene auf den Weg gebracht wird. „Wenn die das nicht hinkriegen, fällt mir nichts mehr ein.“
FDP ist gegen die anlasslose Speicherung
In der Ampel hatte im Herbst 2022 der frühere Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) Änderungen blockiert. Buschmann bevorzugte ein Verfahren, bei dem die Verbindungs- und Standortdaten gespeichert werden, sobald ein Mensch als Täter unter Verdacht gerät. Das nennt sich Quick-Freeze-Verfahren – und ist also konkret zeitlich begrenzt.
NRW geht das nicht weit genug. Es gehe darum, die „Anonymität des Internets“ knacken könnten, sagt NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne). Deshalb setzt sich NRW auch für eine bessere und längere IP-Vorratsdatenspeicherung ein. Die aktuelle Rechtslage verhindere, auf wichtige Ermittlungsansätze zugreifen zu können. Reul nannte schon im vergangenen Jahr ein Beispiel, warum die Speicherung wichtig sei. Als zum Jahreswechsel 2023/24 Anschlagspläne auf den Kölner Dom bekanntgeworden waren, sei es den Ermittlern nur deshalb gelungen, ein Netzwerk von Terroristen ausfindig zu machen, weil die IP-Adresse des Tatverdächtigen „zufällig“ gespeichert worden sei. Derzeit speichern Internetanbieter IP-Adressen unterschiedlich lang, einige für bis zu einer Woche – und andere gar nicht.
Nicht nur bei der Datenspeicherung sieht Reul die deutschen Ermittler schlecht aufgestellt. Auch bei aufgeklärten Anschlagsversuchen seien es „immer“ Hinweise „von außen“ gewesen, die zum Erfolg geführt hätten. „Was machen wir eigentlich, wenn die USA uns die Daten nicht mehr geben wollen?“, fragt Reul. „Dann sind wir endgültig schachmatt.“