Bielefelder kämpft fünf Jahre um neuen Rollstuhl

Bielefeld. Seit 2017 gilt in Deutschland das Bundesteilhabegesetz, das Menschen mit Behinderungen zur mehr Teilhabe und Selbstbestimmung verhelfen soll. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Umsetzung hakt, denn Betroffene müssen sich die versprochenen Verbesserungen oft einklagen. Ein zeitaufwendiger und kräftezehrender Prozess, wie der Fall des Bielefelders Matthias Klei zeigt, der fünf Jahre um einen neuen Rollstuhl kämpfen musste. Der 54-Jährige ist seit seiner Geburt Tetraspastiker, beide Arme und Beine sind durch eine Spastik stark unkoordiniert. Mithilfe seiner Assistenten, die ihn 24 Stunden am Tag begleiten, führt er trotzdem ein selbstbestimmtes Leben. Zudem nutzt Klei seit mehr als 40 Jahren zwei Rollstühle, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen: einen Elektrorollstuhl und einen sogenannten Adaptivrollstuhl. &bdquo;Der Elektrorollstuhl ist für mich leicht zu bedienen und eignet sich gut für weite Strecken außerhalb meiner Wohnung“, erklärt Klei. &bdquo;Allerdings ist der Rollstuhl aufgrund von Größe, Gewicht und großem Wendekreis nicht alltagstauglich, weil jede Stufe zu einem unüberwindbaren Hindernis wird.“ Der Rollstuhl passt laut Klei nur in wenige Aufzüge, lässt sich nicht im Kofferraum eines Autos verstauen und ist auch für die meisten Innenräume ungeeignet. &bdquo;Ich kann mich damit nicht mal in meiner eigenen, behindertengerechten Wohnung ausreichend bewegen.“ Nach 18 Jahren droht der Ausfall des Rollstuhls Um diese Nachteile auszugleichen, nutzt Klei den Großteil des Tages einen Adaptivrollstuhl, der kleiner und leichter ist als sein Elektrorollstuhl. &bdquo;Wenn ich im Adaptivrollstuhl sitze, können meine Assistenten zumindest ein paar Treppenstufen ausgleichen. Außerdem passt er in jeden Fahrstuhl, lässt sich im Kofferraum eines Autos verstauen und ich kann damit den öffentlichen Nahverkehr nutzen.“ Hindernisse im Elektrorollstuhl werden im Adaptivrollstuhl in vielen Fällen überwindbar. &bdquo;Ohne diesen Rollstuhl könnte ich die meisten meiner Ärzte, Therapeuten, Angehörigen und Freunde sowie viele Geschäfte und gastronomische Angebote nicht mehr besuchen.“ Als dem Adaptivrollstuhl nach 18 Jahren Nutzung der Ausfall droht und das Sanitätshaus eine Reparatur als unrentabel ablehnt, beantragt Klei 2019 einen Ersatz. Doch seine Krankenkasse, die AOK Nordwest, und auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) als Träger der Eingliederungshilfe lehnen mit der Begründung ab, dass ein Rollstuhl ausreichen muss. Der LWL erklärt zudem ungeachtet der Tatsache, dass Menschen ohne Behinderung unabhängig ihrer finanziellen Lage uneingeschränkt mobil sind: &bdquo;Nicht alles, was für behinderte Menschen wünschenswert wäre, kann im Rahmen der Eingliederungshilfe finanziert werden, denn auch Menschen mit geringen finanziellen Mitteln können sich nicht all ihre Wünsche erfüllen.“ Sozialgericht schlägt Vergleich vor Klei fragt sich, warum sein Bedarf an Rollstühlen nach Einschätzung von AOK und LWL im Alter nachlassen sollte. &bdquo;Ich werde im Alter ja nicht weniger behindert und bislang wurden immer beide Rollstühle finanziert.“ Für den Bielefelder zeigt der Kampf, dass die Kostenträger seine Teilhabeberechtigung als Mensch infrage stellen und dadurch seine Lebensführung gefährden. &bdquo;Ich verstehe nicht, warum ich und so viele andere Menschen mit Behinderung so behandelt werden.“ Mit der Unterstützung seines Anwalts Wolf Hartmann reicht Klei im März 2021 Klage beim Sozialgericht Detmold ein. Danach macht er seinen Fall öffentlich und startet eine Petition. &bdquo;Ich habe sehr viel Anteilnahme und Unterstützung erfahren, die mir viel Kraft geschenkt haben.“ Klei erhält sogar Angebote für ein Benefizkonzert und die Übernahme der Kosten für den Rollstuhl, die er jedoch ablehnt. &bdquo;Ich bin sehr dankbar für die großzügigen Angebote, aber ich wollte mich dem Rechtsstreit für mehr Gerechtigkeit für Menschen mit Behinderung stellen.“ Im Sommer 2024 kommt das Verfahren zum Abschluss. Das Gericht schlägt einen Vergleich vor, und AOK und LWL finanzieren Klei einen neuen Rollstuhl für etwa 11.000 Euro. &bdquo;Ich bin froh, dass ich endlich einen neuen Rollstuhl nutzen kann. Ich bedaure aber, dass das Verfahren mit einem Vergleich beendet wurde und es keine grundsätzliche Entscheidung gab. Nicht jeder hat die Kraft für so langwierige Verfahren.“ Obwohl der Kampf um seinen Rollstuhl am Ende fünf Jahre dauert, würde Klei diesen Weg erneut gehen. &bdquo;Ich möchte ein Zeichen für Inklusion setzen.“ Vorwurf: Kostenträger schieben Zuständigkeiten hin und her Für Rechtsanwalt Hartmann zeigt Kleis Fall exemplarisch, dass das Bundesteilhabegesetz in der Praxis nur ungenügend umgesetzt wird. &bdquo;Das Vorgehen der Krankenkassen ist klar rechtswidrig, weil sie für die Versorgung im Nahbereich mit Hilfsmitteln wie Rollstühlen zuständig sind. Das bestätigen die Gerichte immer wieder. Trotzdem ändern die Kostenträger nichts an ihrem rigiden Vorgehen und lehnen Anträge weiter ab. Sie ignorieren vorangegangene Urteile einfach.“ So müssten Betroffene immer wieder juristisch gegen Ablehnungen vorgehen, moniert Hartmann. &bdquo;Das kostet Ressourcen und verstopft die Gerichte zusätzlich. Verfahren vor den Sozialgerichten in NRW dauern extrem lange. Kommt es zu einem Rechtsstreit durch alle drei Instanzen, kann der schnell acht Jahre dauern.“ Hartmann kritisiert auch zu viele Zuständigkeiten. &bdquo;Wenn für einen Menschen nicht nur die Krankenkasse zuständig ist, sondern auch Integrationsämter, Eingliederungshilfen, Berufsgenossenschaften, Renten- und Pflegeversicherung, Arbeitsamt und weitere Kostenträger, ermöglicht das ein Hin- und Herschieben der Zuständigkeiten. Das muss dringend gestoppt werden.“

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