Deutete Bruder Blutrache im Fall Nimani an? Was hinter dem Phänomen steckt

Bielefeld. Deutete der Bruder des erschossenen Boxers Besar Nimani öffentlich eine Vergeltungstat an? Das legt ein Video nahe, das in sozialen Medien kursiert und wahrscheinlich im vergangenen Jahr entstanden ist. Unter Teilen albanischer Menschen werden laut Experten nach wie vor Prinzipien wie Blutrache gepflegt. Was steckt dahinter? Anfang 2024 wurde Besar Nimani in der Bielefelder Innenstadt von zwei Personen erschossen. Einen Täter fassten Ermittler einige Monate später in Belgien, der mutmaßliche Komplize ist weiter flüchtig. Der Gefasste muss sich aktuell vor dem Landgericht Bielefeld verantworten, wo er wegen Mordes angeklagt wurde. Der Fall Besar Nimani sorgte international für Aufsehen. Der Bruder der Erschossenen, Berat Nimani, stand in der Folge vor unzähligen Kameras, auch im Ausland. In einem Interview, von dem ein Ausschnitt aktuell in sozialen Medien kursiert, sagte der Bruder sinngemäß auf Albanisch ins Mikrofon, man sei zufrieden, wenn der Staat seine Arbeit erledige - wenn nicht, werde man auf eigene Traditionen zurückgreifen und diese erfüllen. In Teilen von Albanien gilt &bdquo;Gewohnheitsrecht“ Was er meint, ist unklar – doch es lässt Spekulationen zu: In abgelegenen, bergigen Teilen Albaniens und laut Berichten gelten unter manchen Menschen noch traditionelle, archaische &bdquo;Gewohnheitsrechte“ – in Albanien &bdquo;Kanun“ genannt. Diese sieht auch Blutrache vor, also eine Form der Selbstjustiz – zum Beispiel im Falle eines Tötungsdeliktes. Durch eine Vergeltung soll in der Regel die Familienehre wieder hergestellt werden. Sowohl der erschossene Ex-Boxer Besar Nimani als auch sein Bruder Berat kommen laut eigenen Angaben gebürtig aus dem Kosovo, sollen Kosovo-Albaner sein. Auch im Kosovo wird Blutrache heute noch praktiziert, in Teilen des Landes gelte laut Berichten ebenfalls Kanun. Generell seien Ehrenmorde oder Blutrache laut Experten aber seltener geworden. Albaner berichtet: &bdquo;Kanun“ in Deutschland nicht relevant Ein Bielefelder aus Albanien, der anonym bleiben möchte, berichtet: &bdquo;Der Kanun war früher in ländlichen Regionen Nordalbaniens ein Gewohnheitsrecht, das Konflikte regelte, als es keine starken staatlichen Strukturen gab.“ Dazu gehöre auch Blutrache, diese spiele jedoch in Albanien selbst kaum noch eine Rolle. &bdquo;Gerade in den Städten und bei der jungen Generation ist der Kanun nur noch Geschichte.“ In Deutschland sei Kanun nicht relevant, eine organisierte Befolgung solcher Regeln gebe es nicht. Gewalttaten – wie die Schießerei in Bielefeld – seien vielmehr individuelle Taten. In sozialen Medien ist jedoch durchaus zu beobachten, dass sich Menschen in Deutschland positiv zu der alten Tradition äußern. So werden beispielsweise Videos, die die Schießerei von Bielefeld zeigen und dabei auch verherrlichen, mit dem Wort &bdquo;Kanun“ versehen. In den Kommentaren unter den Videos sind zudem viele Kommentare zu finden, die sich positiv zu dem möglichen Racheakt äußern. Blutfehden können Jahre anhalten Oliver Huth, NRW-Vorsitzender der Kripo-Gewerkschaft &bdquo;Bund Deutscher Kriminalbeamter“, kennt sogenannte &bdquo;Blutfehden“ genau: Der Experte für Organisierte Kriminalität nennt mafiöse Strukturen, in denen solche Taten bis hin zu Morden aus Vergeltung eine Rolle spielen. &bdquo;Zum Beispiel in Italien bei der Mafia“, sagt er. &bdquo;Generell ist es so, dass solche Fehden im familiären Kontext durchaus Jahre oder Jahrzehnte andauern können, das trifft auch auf einzelne albanische Familienstrukturen zu.“ Dass im Fall Besar Nimani eine Familienfehde entstehen könnte, muss auch die Polizei befürchtet haben: Nicht ohne Grund war der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder von Besar Nimani bisher von einem massiven Polizeiaufgebot gesichert worden. Der Experte und erfahrene Ermittler beobachtet dabei eine Tatsache mit besonderer Sorge: &bdquo;Diese Blutfehden können nicht nur von Generation an Generation weitergegeben werden, sondern sich auch auf Personen übertragen, die mit dem Ausgangskonflikt direkt überhaupt nichts zu tun haben. Und der Konflikt endet nicht so einfach, kann immer weitergehen.“ Schüsse auf Angehörige von mutmaßlichem Mörder So auch in den Schüssen von Mittwoch in Bielefeld? Die Tat ereignete sich unmittelbar nach einem Verhandlungstag gegen einen der mutmaßlichen Mörder von Besar Nimani. Die Opfer: vier Angehörige des Angeklagten, darunter der Vater (63) sowie ein Bruder (25), die teils schwer verletzt wurden. Angeschossen wurden also Personen, die mit dem Tötungsdelikt an Besar Nimani eigentlich nichts zu tun hatten. Brisant: Bei der Familie des Angeklagten soll es sich um türkische Kurden handeln – ein Kreis, in dem es laut Experten in der Vergangenheit auch bereits Blutrachen und Ehrenmorde gegeben hat. Im Verdacht steht aktuell Berat Nimani, Bruder des erschossenen Ex-Boxers. Er sitzt in Untersuchungshaft, nachdem er sich in der Nacht auf Freitag den Behörden gestellt hat. Die Polizei hatte öffentlich nach Nimani gefahndet. Ihm wird vierfacher versuchter Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen. Die Polizei ermittelt aktuell, ob der Verdächtige womöglich Unterstützung hatte, etwa bei der Flucht in einem schwarzen Auto, aus dem ebenfalls geschossen wurde. Ehrenmorde und Blutrache auch in anderen Kulturen Für Huth ist derweil klar: &bdquo;Wer Blutrache verübt, den interessieren geltende Gesetze und Rechte nicht. Das zeigt sich bei den Schüssen im Fall Bielefeld schon alleine am Tatort – unmittelbar vor dem Landgericht.“ Generell sei das Phänomen Mord aus Blutrache in NRW eher selten. &bdquo;Straftaten wie Gewalt im Kontext angeblich verlorener Ehre kommen aber durchaus häufiger vor, zum Beispiel im Clan-Milieu“, sagt Huth weiter. Berat Nimani macht laut Polizei gegenüber den Ermittlern keine Angaben. Bevor er sich gestellt hat, teilte sein Anwalt mit, dass der Verdächtige die Beteiligung an den Schüssen abstreitet. Das Phänomen Blutrache und Ehrenmord spielt nicht nur in Teilen der albanischen oder türkischen Community eine Rolle. Tatsächlich kam es in der Vergangenheit – und teilweise auch noch immer – auch in anderen Ländern zu solchen Taten aufgrund geltender Traditionen: etwa in Italien, weiteren Teilen des Balkans oder bestimmten Regionen im Nordkaukasus.

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