Flucht ins Frauenhaus

So überlebte eine Frau aus OWL die Gewalt ihres Partners

Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau getötet. Dass Sabrina noch lebt, ist reiner Zufall. Hier erzählt sie ihre Geschichte – und die ihrer kleinen Tochter.

Flucht ins Frauenhaus: Vier Mal rettete sich Sabrina mit ihrer Tochter in verschiedene Einrichtungen – auch, weil sie sich einen längeren Aufenthalt in der Sicherheit nicht leisten konnte. | © dpa

Anneke Quasdorf
13.01.2025 | 13.01.2025, 05:00

Der erste Mord an einer Frau ist im neuen Jahr in Deutschland längst geschehen. Kaum zwei Tage hat es gedauert. Ihm werden viele weitere folgen. Denn fast jeden Tag kommt es in Deutschland zu einem Femizid. Alle drei Minuten erleben eine Frau oder ein Mädchen häusliche Gewalt.

Eine von ihnen ist Sabrina (Name geändert). Dass sie noch lebt, ist reiner Zufall. Mehrfach versuchte ihr Ex-Partner und Vater ihrer Tochter, sie umzubringen, verprügelte und misshandelte sie. Jahrelang kämpfte die junge Frau darum, ihm zu entkommen. Dass die Flucht so schwer war, liegt auch an dem kranken System in Deutschland.

Angespannt sitzt Sabrina auf einem Sofa. Es kostet sie Kraft, ihre Geschichte zu erzählen und die Erinnerungen hervorzuholen, das ist deutlich zu spüren. Und trotzdem ist sie mit ihrer Vertrauten, einer Mitarbeiterin aus einem Frauenhaus, zum Gespräch in eine Beratungsstelle in OWL gekommen.

Mutter und Tochter leben anonym

Genauere Angaben sind an dieser Stelle nicht möglich, denn Sabrinas Aufenthaltsort darf nicht bekannt werden. Immer noch hat ihr Ex-Partner die Suche nach ihr nicht aufgegeben, das Ende der Beziehung erkennt er nicht an. Für Sabrina und ihre Tochter gibt es deshalb eine Auskunftsschutz-Sperre, an Klingel und Briefkasten ihrer Wohnung stehen keine Namen.

Doch es ist eine eigene Wohnung, in der die beiden leben, selbstbestimmt, frei und laut und ohne Angst, dass jemand jede Minute ausrasten, schreien, zuschlagen oder ein Messer zücken könnte.

Bis vor zwei Jahren war das der Alltag von Mutter und Tochter, ein Leben auf Zehenspitzen und im Flüsterton. „Sei leise, Papa darf nicht wach werden“, raunte Sabrina ihrer Tochter immer und immer wieder zu, wenn ihr Partner im Alkoholrausch eingeschlafen war. „In diesen Momenten konnte uns für kurze Zeit nichts passieren und gleichzeitig wusste ich nie, in welchem Zustand er aufwacht: friedlich oder extrem aggressiv.“

Schläge, Tritte, Morddrohungen: Teilweise zerrte ihr Partner Sabrina über Meter an ihren Haaren hinter sich her. - © dpa
Schläge, Tritte, Morddrohungen: Teilweise zerrte ihr Partner Sabrina über Meter an ihren Haaren hinter sich her. (© dpa)

Sabrina flüchtet mit ihrer Tochter ins Frauenhaus

Es ist einer der aggressiven Zustände, in denen der Mann an ihrer Seite das erste Mal ausrastet. Die gemeinsame Tochter ist da erst kurz auf der Welt, er hat angefangen zu trinken. Vor anderen boxt er Sabrina zu Boden, schlägt auf sie ein und zerrt sie an den Haaren hinter sich her. „Wir haben alle geschrien, geweint, versucht, ihn zu stoppen, ihn angebrüllt. Nichts half.“

Mit diesem Moment hält die Gewalt Einzug in Sabrinas Leben. Ihr Partner trinkt immer mehr, wird unberechenbarer und gewalttätiger. Lange macht Sabrina das nicht mit – auch, weil ihre kleine Tochter die Attacken immer miterlebt, vor Angst weint und schreit. Die Familie ihres Partners weiß von der Brutalität, schützen kann Sabrina niemand. So geht sie das erste Mal ins Frauenhaus.

„Dort konnte ich das erste Mal seit Monaten wieder frei atmen.“ Viel mehr als das, atmen und weiterleben, geht in den ersten beiden Tagen nicht. Apathisch liegt Sabrina auf dem Bett, die Mitarbeiterinnen kümmern sich um ihre Tochter. „Die ewige Anspannung, die Todesangst, das immer wachsam sein, auf der Hut sein, das kostet einen alle Kraft, die man hat.“

Sabrina kann sich das Frauenhaus nicht leisten

Doch lange währt die Ruhe nicht. Schnell wird klar: Sabrina kann sich den Schutz des Frauenhauses gar nicht leisten. Denn die Trennung von ihrem Partner bedeutet auch, dass sie nicht über die Einkünfte aus ihrem gemeinsamen Unternehmen verfügen kann. Rund 1.000 Euro müsste sie im Monat aber für den Aufenthalt im Frauenhaus bezahlen. „Frauen wie ich, die grundsätzlich Einkünfte haben, sind in diesem System völlig hilflos und erledigt. Das ist so krank.“

Sabrina geht zurück. Hoffnung gibt ihr, dass ihr Partner unterdessen seine Alkoholsucht behandeln lassen hat. „Das war aber ein Irrtum von mir. Ich kannte mich nicht aus und wusste nicht, dass er sich lediglich einer Entgiftung unterzogen hatte und dass das auf sein Verhalten wenig Einfluss haben würde.“ Als sie nach Hause kommt, findet sie die gemeinsame Wohnung vollständig demoliert vor. „Da war nichts mehr heil.“

Und so geht der Schrecken immer weiter. Noch zwei weitere Male geht Sabrina mit ihrer Tochter ins Frauenhaus und kehrt beide Male wieder nach Hause zurück. „Wegen des Geldes. Aber auch, weil ich meine Tochter nicht aus ihrem Leben reißen wollte.“ Irgendwann meldet sie Insolvenz an, um sich finanziell von ihrem Partner trennen zu können.

Flucht in einen Güterbahnhof

Der ist mittlerweile durch seine ständigen Ausraster polizeibekannt, seine Brüder trauen sich nicht mehr, ihm in die Quere zu kommen. „Am schlimmsten waren aber nicht die Schläge“, sagt Sabrina. „Am schlimmsten war sein Psychoterror, seine Unberechenbarkeit. Das hat mich völlig kaputtgemacht.“ So kann es passieren, dass Sabrina in der Küche steht, ihr Partner friedlich reinkommt, sich an den Tisch setzt, plötzlich die Klinge eines Messers streichelt, sie anlächelt und ganz leise sagt: „Ich glaube, heute ist es irgendwann so weit. Heute muss ich dich umbringen.“

An einem besonders schlimmen Abend packt Sabrina ihre Tochter und flüchtet mit ihr auf die Gleise eines nahe gelegenen Güterbahnhofs. Sie verstecken sich zwischen den Zügen, beobachten zitternd, wie der Gewalttäter näher kommt und systematisch alle Schienen abklappert. Er entdeckt sie erst, als sie zu einer Straße rennen, dort laut um Hilfe rufen. Ein Mann fährt in seinem Auto einfach weiter, doch eine mutige Frau hält an, lässt die beiden einsteigen und flüchtet mit ihnen.

Erst mit Sabrinas viertem Aufenthalt im Frauenhaus ist Schluss mit der Spirale aus Angst, Gewalt, Flucht und Rückkehr. Es ist ein Satz, den ihr Ex-Partner sagt, der sie endgültig die Kraft finden lässt, auszubrechen: „Du wirst von mir nie ein Ja für irgendwas bekommen.“ „Das war ein absolut klarer Moment, in dem ich dachte: Jetzt ist endgültig Schluss“, sagt sie.

70 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt sind Frauen. Ihren Schutz in einem Frauenhaus müssen sie häufig selbst bezahlen. - © dpa
70 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt sind Frauen. Ihren Schutz in einem Frauenhaus müssen sie häufig selbst bezahlen. (© dpa)

Gewalttäter darf Tochter nicht mehr sehen

Sie geht erneut ins Frauenhaus, absolviert eine Traumatherapie in einer Tagesklinik und beginnt Stück für Stück, sich ein neues Leben aufzubauen. Ein Glaubenssatz leitet sie dabei. „,Mutig in den Frieden finden‘ habe ich mir immer gesagt. Dabei zieht man eigentlich in den Kampf.“ Klar ist für Sabrina auch: Ohne die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses hätte sie die Kraft nicht gefunden. „Sie haben mich unermüdlich begleitet, ermutigt und mit mir gearbeitet. Alleine schafft man das nicht, wenn man in einer Situation ist wie ich.“

Zumal Sabrina immer wieder gezwungen ist, sich mit ihrem Ex-Partner im Kampf um die Tochter vor dem Familiengericht auseinanderzusetzen. Am Anfang erhält er noch begleiteten Umgang für sein Kind, trotz allem, was er auch ihm angetan hat. „Es ist so unglaublich, dass das von Kindern und auch ihren Müttern verlangt wird“, sagt Sabrina und schüttelt den Kopf.

Lange geht dieser Umgang jedoch auch nicht gut. Mittlerweile hat Sabrinas Ex-Partner das Umgangsrecht mit seiner Tochter verloren. Sabrina hat einen neuen Job, sich einen Freundeskreis aufgebaut und eine neue Beziehung. „Wir sind hier gut angekommen – und ein Stück weit haben wir auch Frieden“, sagt sie und lächelt mit Tränen in den Augen ihr mutiges Lächeln.