Schlaue Ampeln und Laser-Vorhänge: So funktioniert die smarteste OWL-Stadt

Lemgo. Eine Stadt fühlt nicht, hört nicht, sieht nicht. Und erst recht handelt sie nicht. Die Alte Hansestadt Lemgo schon. Im übertragenen Sinne zumindest – dank Sensoren, dem Internet der Dinge und künstlicher Intelligenz. Denn die 40.000-Einwohner-Stadt im Kreis Lippe ist ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, smarte Lösungen zu finden für die großen und kleinen Probleme des städtischen Alltags: vom Hochwasser über Rotphasen an Ampeln bis hin zur Pünktlichkeit des Stadtbusses. So belegt die Stadt in einem aktuellen Ranking der digitalsten Kommunen über 30.000 Einwohner in Deutschland Platz 22 von 413. OWL-weit ist Lemgo sogar Spitzenreiter, gefolgt von Gütersloh (Platz 26), Paderborn (39) und Bielefeld (140). Möglich machen das Experten vom Fraunhofer-Institut, das hier seit 15 Jahren einen Standort betreibt (siehe Infokasten). Lemgo ist ihr Reallabor. Hier werden neue Technologien erprobt. Teils sind sie schon fest etabliert. Wer also wissen möchte, wie die digitale Zukunft der OWL-Städte aussehen könnte, wird in Lemgo fündig. Stadtbus Wann kommt der Bus und wo genau ist er gerade? In Lemgo bietet ein Blick aufs Smartphone Antworten auf diese Fragen. Hier ist genau zu sehen, wo sich die Stadtbusse derzeit befinden. Möglich machen das GPS-Tracker an Bord der Fahrzeuge und über Mobilfunk versendete Positionsdaten. &bdquo;Das war eines der ersten Projekte, das wir in Lemgo vor sieben Jahren realisiert haben“, sagt Jens-Peter Seick, Manager des Smart-City-Projektes am Fraunhofer-Institut. Es gebe einen konkreten Mehrwert für die Nutzer. &bdquo;Der Wert der Digitalisierung ist sofort sichtbar“, schwärmt der Projektleiter. Ampelquerung Der Lichtwechsel an Ampeln sorgt regelmäßig für Frust. Warum ist die Ampel rot, obwohl die Straße frei ist? Warum warten, obwohl niemand kommt? In Lemgo werden Fußgängerampeln erprobt, die intelligent auf verschiedene Situationen reagieren. Ein Szenario: Eine Gruppe von Schülern oder Studierenden hastet nach Unterrichtsende zur Bushaltestelle. Eine Ampel erkennt, dass es sich um eine sich schnell nähernde Gruppe handelt – und stellt für sie schnellstmöglich auf Grün. So werde verhindert, dass die Personen unter Zeitdruck auf die Straße laufen, obwohl die Ampel noch rot ist, erklärt Seick. Ein anderer Fall: Eine Person mit Rollator will die Fußgängerampel nutzen. Die normalen Intervalle wären zu kurz. Die Ampel wäre bereits wieder rot, obwohl die Person vielleicht noch nicht auf der anderen Seite angekommen ist. Die intelligente Ampel erkennt aber, dass die Person vermutlich länger braucht – und passt die Zeiten an. Institutsdirektor Jürgen Jasperneite unterstreicht das Potenzial der Technologie: &bdquo;Mit diesen mitdenkenden Ampeln können wir einen wichtigen Beitrag zu Steigerung der Sicherheit von Fußgängern und des Verkehrsflusses leisten.“ Laut Projektleiter Seick haben intelligente Ampelschaltungen auch messbare Effekte. So seien die CO2-Emissionen an einer Straßenkreuzung in Lemgo durch die intelligente Schaltung der Ampeln um 15 bis 20 Prozent gesunken. Künftig sollen die Ampeln mehrerer Kreuzungen sogar miteinander kommunizieren können. Passantenströme Wer durch Lemgo geht, durchschreitet in der Nähe des Rathauses einen unsichtbaren Vorhang: einen Laser-Vorhang. Der wird von einem Gerät an einer Hausfassade auf die Straße projiziert, erklärt Seick. Geht jemand hindurch, wird er oder sie gezählt. Dadurch wird die Zählung von Passanten per Hand überflüssig gemacht. Doch laut Seick kann das Gerät mehr. Es erfasst nämlich auch die Größe der Passanten. So kann es erkennen, ob gerade ein Kind, ein Erwachsener oder ein Fahrradfahrer vorbeikommt. Alles anonymisiert, unterstreicht Seick. Die Menschen selbst sind nicht zu identifizieren. Ganz in der Nähe zählt ein sogenannter &bdquo;Pyrosensor“ Passanten, indem er die von ihnen abgestrahlte Wärme registriert – über die Breite der gesamten Straße. Laut Seick ist das Gerät so fein eingestellt, dass es sogar zwei Menschen unterscheiden kann, die aus Sicht des Sensors fast deckungsgleich nebeneinander hergehen. Diese und weitere Messmethoden zeigen den &bdquo;Pulsschlag einer Innenstadt“. Interessant sind solche Daten für die Planung, erklärt der Experte: Wo sind zu welcher Zeit wie viele Menschen unterwegs? Welche Veranstaltungen erzeugen welche Wirkung? Müssen Wege optimiert werden? Doch es gibt auch Systeme, die die Passanten nicht nur zählen, sondern feststellen, wohin sie sich bewegen. Mit Fraunhofer-Unterstützung sei ein solches System in Bielefeld installiert. Damit könne etwa ausgewertet werden, wie viele Personen morgens zwischen acht und zehn Uhr mit dem ÖPNV in der Innenstadt ankommen – und wo sie hingehen, berichtet Seick. Auch das datenschutzkonform, also anonymisiert. Hochwasser und Starkregen Zu welchen Jahreszeiten droht Hochwasser? Und wie hoch steigt es in der Regel? In Städten gibt es zu diesen Fragen meist viel historisches Wissen. Doch weil der Klimawandel häufiger und heftiger zu Starkregen führt, kommt der Erfahrungsschatz an seine Grenzen. Sensoren und künstliche Intelligenz können weiterhelfen, ist Seick überzeugt. So sind in Lemgo etwa an Brücken Geräte angebracht, die per Ultraschall oder Radar den Pegel der Bega messen. Diese Daten können genutzt werden, um das Wetter und potenzielle Gefahren genau vorherzusagen – und frühzeitig zu warnen. Das Problem: Um die KI zu trainieren, braucht es Hochwasserereignisse - sogar sehr viele davon. Deswegen laufen laut Seick Projekte in gleich mehreren Städten: neben Lemgo zum Beispiel auch in Steinheim im Kreis Höxter oder im Eifelkreis. Noch auf der To-do-Liste stehe die komplette Überwachung des Kanalsystems einer Stadt – vielleicht sogar Lemgos – sagt Seick. Die Idee dahinter: Droht die Überlastung des Kanalsystems durch Starkregen, würden Sensoren das registrieren. Das System könnte dann automatisch Wasser in Überlaufbecken leiten. Lemgo als Reallabor Laut Institutsdirektor Jürgen Jasperneite können andere Städte in Lemgo sehen, wie bestimmte Technologien zur Anwendung kommen. Prinzipiell arbeitet das Fraunhofer-Institut bereits mit vielen kleinen und großen Städten in der Region und darüber hinaus zusammen. Darunter Detmold, Gütersloh und Paderborn. Langfristig geht es den Experten aber nicht nur darum, verschiedene Technologien und Methoden zu erproben – sondern den Städten auch die Fähigkeiten zu vermitteln, um die Infrastruktur eigenhändig zu pflegen und die Daten zu nutzen. &bdquo;Wir können als Forschungsinstitut den Support für die Städte nicht leisten“, sagt Seick. &bdquo;Die Städte selbst müssen daher in verschiedenen Bereichen Kompetenzen entwickeln.“ Prinzipiell ist sich Institutsdirektor Jasperneite aber sicher: KI und Automation stehen &bdquo;rosige Zeiten“ bevor.

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