Detmold. Pöbelnde Bürger im Jobcenter, angefeindete Jugendamtsmitarbeiter oder Notärzte, die geschlagen und an ihrer Arbeit gehindert werden: Bedrohungen und Gewalt gegen Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sind längst keine Seltenheit mehr. Damit sie davor künftig besser geschützt werden können und wissen, was im Notfall zu tun ist, sind nun alle Städte, Kreise, Gemeinden und Kommunen sowie die Bezirksregierung Detmold dem Präventionsnetzwerk #sicherimDienst beigetreten.
Das von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) 2022 ins Leben gerufene Netzwerk dient dazu, mithilfe von Trainings und einem einfachen Erfahrungsaustausch die Sicherheit der Beschäftigten zu erhöhen. Mittlerweile haben sich mehr als 1.700 Behörden, Organisationen und Verbände angeschlossen. „Wir dürfen nicht zulassen, dass solche Menschen über unsere Mitarbeiter herfallen“, sagte Reul auf der offiziellen Beitrittsveranstaltung am Donnerstagmittag in Detmold.
Mittlerweile würden auch Mitarbeiter bedroht, bei denen man es zunächst gar nicht vermute, sagte für den Regierungsbezirk Detmold Präsidentin Anna Katharina Bölling. Busfahrer gehören dazu, ebenso wie Postboten, Lehrer und Veterinäre. „Gewalt, körperlich wie physisch, hat bei uns in OWL nichts zu suchen“, betonte Bölling.
Mitarbeiter werden bis vor die Wohnungstür verfolgt
Trauriger Höhepunkt von Anfeindungen gegen Staatsbedienstete in den vergangenen Jahren waren die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (2019) und des Hamelner Landrates Rüdiger Butte (2013). „Früher waren es oft nur Briefe, heute sind es Anfeindungen im Netz und das Nachstellen bis vor die Wohnungstür der Mitarbeiter“, sagt Bölling.
Konkrete Zahlen, wie viele Beamte in den vergangenen Jahren Opfer von Anfeindungen und Gewalt geworden sind, gibt es nicht. Laut Deutschem Forschungsinstitut habe aber wohl bereits jeder vierte physische oder körperliche Gewalt erlebt und die Dunkelziffer scheine hoch. Sieben von zehn Fällen werden laut der Erhebung aus dem Jahr 2023 nicht gemeldet.
Oft, weil Betroffene glauben, die Ermittlungsbehörden nähmen ihre Ängste und Sorgen nicht ernst – vor allem bei Hasskommentaren in Sozialen Netzwerken. Dem sei aber mitnichten so, sagte Markus Hartmann, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW. „Unsere Mitarbeiter sind speziell für solche Fälle sensibilisiert“, so Hartmann. Auch das Strafrecht sei mittlerweile eindeutig. Alles was, bestraft werden könne, stehe dort drin. Allerdings müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden, gerade was die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union betreffe. „Da gibt es Nachholbedarf“, sagt Hartmann.
Appell von Innenminister Reul: „Machen Sie es zur Chefsache“
„Mit dem Beitritt der kommunalen Familie aus dem Regierungsbezirk Detmold sind wir in NRW nun flächendeckend aufgestellt“, erklärte Minister Reul und appellierte an die rund 80 geladenen Bürgermeister, Amtsleiter und Beamten: „Machen Sie das Thema zur Chefsache, nur so können wir etwas bewirken“. Es werde dauern, aber mithilfe des Netzwerks sei bereits heute viel erreicht worden.
So lernen die Beamten in Gewaltschutztrainings etwa, wie sie ihre Schreibtische optimal im Büro aufstellen, damit sie in brenzligen Situationen schnell fliehen können. „Aber auch die Bürger brauchen einen Fluchtweg“, sagt der Aachener Trainer Volker Haupt. „Sie müssen genauso der Situation entkommen können wie der Beamte.“ Die häufigsten Angriffe seien laut Haupt übrigens Ohrfeigen. „Die wenigsten schlagen mit der Faust zu.“

