Landrat zur Corona-Lage: "Müssen Impfangebot ausweiten"

Herr Adenauer, Sie betonen immer, dass Gütersloh &bdquo;der beste Kreis der Welt" sei. Im Moment sind wir vor allem in einem Spitze – in den Inzidenzen. Woran liegt’s?Sven-Georg Adenauer: Dafür gibt es nicht nur eine Erklärung – die Lage ist, wie unser Gesundheitsamt immer betont, diffus. Ein Grund ist, dass wir als wirtschaftsstarker Kreis einen großen Anteil an Arbeits-Migration haben. Ein weiterer, dass es bei uns viele große Familien gibt, auch solche mit einem freikirchlichen Hintergrund. Viele stecken sich jetzt mit der Delta-Variante innerhalb der Familie an, das erleben wir gerade zum Beispiel in Harsewinkel. In beiden genannten Gruppen herrscht eine gewisse Impfskepsis. Aber das ist nur ein Aspekt, die Inzidenzen steigen wie in der ganzen Republik aufgrund eines diffusen Ausbruchsgeschehens in einer Zeit, in der es kaum Einschränkungen gibt.Mit den Religionsgemeinschaften hatten Sie bereits im Frühjahr ein klärendes Gespräch, wegen eines Corona-Ausbruchs nach einer viel zu großen Mennoniten-Hochzeit. Werden Sie jetzt wieder auf die Freikirchen zugehen, die ja dem Thema Impfen meist skeptisch gegenüber stehen?Die Bürgermeisterin aus Harsewinkel und ich haben uns abgestimmt, auf die Religionsgemeinschaften zuzugehen. Heute kam die Rückmeldung von Frau Amsbeck-Dopheide, dass die Angesprochenen keinen Informations- und Aufklärungsbedarf haben. Es gibt auch bei diesen Religionsgemeinschaften solche, die geimpft sind, und solche, die sich nicht impfen lassen wollen. Lesen Sie auch: Corona-Fälle nach Gottesdiensten. Kommt jetzt die Testpflicht vor Gottesdiensten? Und wie, meinen Sie, bekommen wir im Kreis die Infektionszahlen in den Griff? Nach wie vor durch das Einhalten der AHA-L-Regel und zukünftig durch 2 G im Freizeitbereich. Und natürlich durch Impfen, Impfen, Impfen. Dafür werde ich auch weiter werben. Ich bedaure, dass wir das Impfzentrum schließen mussten und es nur als kleine Variante Impfstelle wieder öffnen durften. Aber da, wo wir Impfstellen anbieten, sind die Schlangen lang. Das Angebot möchten wir weiter ausbauen. Ich kann mir vorstellen, dass wir in naher Zukunft das Angebot deutlich ausweiten. Es ist schwer nachzuvollziehen, dass zum 30. September ein funktionierendes Impfzentrum im Kreis Gütersloh geschlossen wurde, um am 24. November eine provisorische Impfstelle eben dort wieder zu eröffnen. Jetzt brauchen Sie vermutlich neues Briefpapier und neue Hinweisschilder ...Da haben Sie recht. Wir mussten das Impfzentrum unter Fristsetzung dicht machen. Das Impfen sollte von den Ärzten übernommen werden. Von daher haben wir jetzt eine andere Situation. Wir impfen ja auch nur an drei Tagen in der Woche mit drei Impfstraßen. Aber ich bin froh, wenn wir die Ärzte entlasten können. Im Moment rekrutieren wir für die Impfstelle Personal – das war anfangs nicht so ganz einfach, da hier anders bezahlt wird als im Impfzentrum. Warum ist das so? Das Impfzentrum wurde von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe gestellt und darüber das Personal auch bezahlt. Die Impfstelle müssen wir als Kreis einrichten und das Land bezahlt nach den Regeln des öffentlichen Dienstes. Klar, dass einige zögern, wenn sie für die gleiche Tätigkeit vorher mehr Geld bekommen haben. Aber ich höre, dass wir inzwischen genügend Leute beisammen haben. Aber es wird nicht in so einem Umfang sein wie vorher, als wir im Impfzentrum bis zu 2.800 Menschen täglich impfen konnten. Anders als beim Impfzentrum haben Sie die Terminvergabe jetzt selbst in die Hand genommen. Hat das geklappt? Knapp zwei Stunden nach dem Start des Buchungssystems waren alle bisher freigeschalteten 4.638 Impftermine vergeben. 4.219 impfwillige Personen, das sind rund 91 Prozent, haben sich für eine Booster-Impfung angemeldet. 242 Leute, also etwas mehr als 5 Prozent, bekommen ihren ersten Piks mit Biontech. Unsere IT sagt, die Systeme laufen stabil. Sind Sie denn schon geboostert? Nein, noch nicht. Ich bin ja noch nicht 70, daher gehe ich auch nicht in die Impfstelle. Aber ich habe mir einen Termin beim Hausarzt geben lassen. Herr Wüst hat eine Verschärfung der Corona-Regeln im Freizeitbereich für kommende Woche angekündigt – es gilt 2 G – nur Geimpfte und Genesene sollen in NRW Zugang zu Kinos, Konzerten, Restaurants, Weihnachtsmärkten und Fußballstadien bekommen. Hat er das gemacht, weil Sie ihm geschrieben haben? (lacht) Da will ich meinen Einfluss mal nicht überstrapazieren, vielleicht war das ein kleiner Baustein. Darum geht es mir aber nicht. Wichtig ist, dass es kommt. Ich halte es für richtig. Das hat mich sehr gefreut, als ich das gehört habe. Warum haben Sie das dann noch nicht einfach im Alleingang umgesetzt? Ich hätte mich mit dem Land abstimmen müssen, und da wäre ich zurückgepfiffen worden. Es hätte sicher für Verwirrung gesorgt, wenn dann nach den Bund-Ländergesprächen die Maßnahmen wieder angepasst worden wären.Werden Sie sich jetzt bei Herrn Wüst für die Wiedereinführung der Maskenpflicht an Schulen einsetzen? Die Maske ist wichtig, um das Infektionsrisiko zu senken. Aber das Thema wird besonders unter Eltern sehr kontrovers diskutiert. Es steht ja jedem Schüler frei, die Maske auch weiterhin zu tragen. Ich bin mir aber sicher, dass da in den nächsten Tagen noch was kommt vom Land. Lesen Sie auch: Mehr Infektionen? So ist die Lage an den Schulen im Altkreis Wo können Sie denn als Kreis eigene Akzente setzen in der Pandemiebekämpfung?Das ist schwer. Ich appelliere natürlich weiterhin an all jene, die noch wankelmütig sind, sich impfen zu lassen. Die Zahlen derjenigen, die sich jetzt noch impfen lassen, sind ja doch noch recht hoch. Es wäre vernünftig, das Impfzentrum in den alten Strukturen wieder zu reaktivieren. Mit Freude habe ich heute gelesen, dass auch Betriebsärzte Auffrischungsimpfungen anbieten wollen. Gemeinsam mit ihnen, den niedergelassenen Ärzten und unserer KoCI schaffen wir es sicher, ein breites und niederschwelliges Impfangebot bei uns im Kreisgebiet zu etablieren.Es herrscht immer noch Unklarheit, wie viele Menschen im Kreis Gütersloh geimpft sind. Wie wollen sie die Impfquote erhöhen – gerade bei den von Ihnen zu Beginn angesprochenen Arbeitsmigranten aus Südosteuropa herrscht ja oft eine Impfskepsis. Speziell für die Südosteuropäer informieren wir über unsere Hotline auch in verschiedenen Sprachen zum Thema Impfen. Ich rede aber auch mit den heimischen Unternehmen, die haben ja ebenfalls ein großes Interesse daran. Wir arbeiten hier Hand in Hand. Ein Problem sind die häufig wechselnden Arbeitnehmer, das ist für die Unternehmen eine offene Flanke. Wir sind nun einmal ein wirtschaftlich starker Kreis mit viel Migration.Wenn wir nach Bayern und Sachsen blicken, dann laufen dort die Krankenhäuser voll. Der Kreis Gütersloh hat gemessen an der Einwohnerzahl sehr wenig Intensivbetten. Was ist, wenn hier die Zahl der Krankenhauspatienten stark steigt? Die Gefahr sehe ich im Moment bei uns noch nicht. Ich bin ja auch Sprecher der OWL-Landräte. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass wir auch auf andere Krankenhäuser in OWL ausweichen können, wenn es hier eng wird.Nach den Erfahrungen aus der Tönnies-Krise: Sind wir vorbereitet, falls so etwas noch einmal passiert?Ja. Wir bekommen ab Mitte Januar auch noch personelle Verstärkung: Angela Lißner wird unser neues Dezernat Ordnung, Gesundheit und Bevölkerungsschutz leiten. Sie bringt vielfältige Erfahrungen aus dem Bereich Katastrophenschutz und Krisenmanagement mit. Sie wird uns vom ersten Tag an eine große Hilfe in diesem Bereich sein. Außerdem haben wir zur Bewältigung der Corona-Aufgaben 60 Stellen zusätzlich bekommen, von denen 18 unbefristet die sogenannte Taskforce Pandemie bilden. Lesen Sie auch: Tönnies-Verantwortliche über Corona-Ausbruch: "Es gab eine Eskalationsspirale" Die Kontaktverfolgung ist bei den derzeitigen Zahlen schon nicht mehr möglich. Muss da bald die Bundeswehr wieder aushelfen? Bis jetzt noch nicht. Aber ein erneutes Hilfeersuchen habe ich im Hinterkopf. Die Verteidigungsministerin hat ja bereits angekündigt, bis zu 12.000 Soldatinnen und Soldaten zur Unterstützung zu mobilisieren. Die Bundeswehr ist bei mir im Haus immer ein gern gesehener Gast. Das Interview führte Anja Hustert

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