Bielefeld/Berlin. In dieser Woche hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vor einem schwerwiegenden Rückfall gewarnt. In der Corona-Krise seien es häufig die Mütter, die zu Hause die Kinder versorgten. Tradierte Rollenbilder würden so wieder gesellschaftsfähig.
Politische Maßnahmen sollten generell auf die Gleichstellung von Männern und Frauen abgeklopft werden, verlangt die Dachgewerkschaft. "Viele Frauen haben im Alter so wenig Geld, dass es kaum zum Leben reicht. Obwohl sie eine Lehre gemacht oder studiert haben und einer geregelten Arbeit nachgegangen sind", sagt DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell unserer Redaktion. "In Berufen, die mehrheitlich von Frauen geprägt werden – in Kindertagesstätten oder in der Pflege – herrscht bei den Arbeitgebern oft noch ein Leitbild, das seit zwanzig Jahren überholt ist."
Beschäftigte in wichtigen Berufen werden strukturell unterbezahlt
Die Corona-Pandemie hat offengelegt, welche Menschen in einer Krise – in den Worten von Kanzlerin Angela Merkel – "den Laden am Laufen halten". Key workers werden sie in Großbritannien genannt: Pflegekräfte, Busfahrer und Verkäuferinnen – Beschäftigte der "kritischen Infrastruktur". Als Helden gefeiert, erhielten sie schlagartig größere Anerkennung, schreiben Malte Lübker und Aline Zucco vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung über die "Neubewertung systemrelevanter Sektoren".

In einigen der aufgeführten Berufszweige, im Finanz- und Versicherungswesen oder der Energie- und Wasserversorgung, ist die Tarifbindung hoch, die Entlohnung gut. In der Alten- und Krankenpflege, in der Ernährungswirtschaft oder im Einzelhandel, das hat diese Krise gezeigt, sind nicht nur die Löhne, sondern auch die Bedingungen häufig empörend schlecht. "Beschäftigte in einzelnen systemrelevanten Sektoren werden strukturell unterbezahlt", so Lübker und Zucco.
Der Einzelhandel genoss bis zur Krise kaum Prestige
Aus Studien gehe zudem hervor, dass Berufe mit einem hohen Frauenanteil eher ein geringes gesellschaftliches Ansehen hätten. Hoch geschätzte Berufe wie der des Arztes oder Richters würden indes überwiegend von hervorragend bezahlten Männern ausgeführt.
Der Einzelhandel, in dem Frauen in Teilzeit mehr als die Hälfte der Beschäftigten stellen, genoss bislang wenig Prestige. Zu Beginn der Krise betonte Merkel: "Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale auffüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zurzeit gibt." Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warb für eine größere finanzielle Würdigung, denn "Wertschätzung drückt sich auch in Bezahlung aus".
Beschäftigte raten davon ab, ihren Berufsweg einzuschlagen
Der organisierte Einzelhandel mit mehr als drei Millionen Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber in Deutschland. Im Lohnspiegel der Hans-Böckler-Stiftung stehen Kassierer und Verkäuferinnen weit oben – auf der Negativliste: "Beschäftigte im Einzelhandel raten mehrheitlich davon ab, diesen Berufsweg einzuschlagen", heißt es. "Die Gründe: familienunfreundliche Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung und überhebliche Kunden."
Die Umfrage ist nicht repräsentativ, wendet der Handelsverband zu Recht ein und entgegnet, dass in der Branche "traditionell sehr flexibel gearbeitet werden" könne. Frauen schafften es oft in Führungspositionen. "Im Einzelhandel wird gutes Geld für gute Arbeit gezahlt." So habe das durchschnittliche Gehalt eines Vollzeitbeschäftigten 2019 laut der Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes bei 3.083 Euro gelegen.
Ausgesprochen niedrige Löhne im Einzelhandel
In unserer Gehaltstabelle rangiert der Einzelhandel ganz unten. Der Berechnung liegen jeweils 38 Wochenstunden ohne Sonderzulagen bei zehn Jahren Berufserfahrung zugrunde. "Der Einzelhandel hat ausgesprochen niedrige Löhne", sagt Malte Lübker und verweist auf den WSI-Beitrag: Im Vergleich der Durchschnittsgehälter aller Branchen, heißt es darin, "verdienen Beschäftigte in Logistik, Transport und Verkehr 16, in der Ernährungswirtschaft 20 und im Einzelhandel sogar 23 Prozent weniger als Beschäftigte außerhalb der kritischen Infrastruktur".
Um Ihren Kommentar abzusenden, melden Sie sich bitte an.
Sollten Sie noch keinen Zugang besitzen, können Sie sich hier registrieren.