Gütersloh

"Seit September gefastet": Wie eine ehemals Magersüchtige Weihnachten erlebte

Die Gütersloherin Katharina war vier Jahre magersüchtig. Sie erzählt, wieso der Kampf mit den Kilos zu dieser Zeit am schlimmsten war und wie sie von der Krankheit loskam.

"Ich hatte solche Angst vor Weihnachten", sagt Katharina F., die vier Jahre magersüchtig war. | © Symbolbild Pixabay

Larissa Kirchhoff
25.12.2020 | 25.12.2020, 19:00

Gütersloh. „Weihnachten war für mich vier Jahre lang ein Gang durch die Hölle", sagt Katharina F. (19), als sie auf ihre Zeit als Magersüchtige zurückblickt. Umgeben von Schokoladennikoläusen und herzhaften Gerichten habe Weihnachten sich in dieser Zeit für sie wie die totale Zerstörung des eigenen Körpers angefühlt. Katharina erzählt von Kontrollverlust, Panikattacken und Lügen. Aber sie verrät auch, wie sie es geschafft hat, die Festtage heute wieder zu genießen.

„Das war die Hochphase meiner Magersucht"

Wenn Katharina die letzten vier Weihnachten Revue passieren lässt, wird sie sehr emotional. „Ich hatte solche Angst vor Weihnachten. Ich wusste, dass es eigentlich unmöglich ist, mein Gewicht in der Zeit zu halten, geschweige denn zu reduzieren", erzählt sie. Ein Jahr bleibe ihr besonders in Erinnerung. Mit einer Körpergröße von 1,70 Metern habe sie 2016 gerade einmal 46 Kilo gewogen. Das ist gleichzusetzen mit einem Body Mass Index (BMI) von 15,9 - bedeutet starkes Untergewicht. „Das war die Hochphase meiner Magersucht. Ich habe schon im September angefangen zu fasten und möglichst viele Kalorien zu verbrennen, um an Weihnachten essen zu können", erzählt Katharina.

Die damals 16-Jährige lebte unter einem Dach mit ihrer Familie. Ihre Mutter kündigte ihren Job, um eine Rundumbetreuung für ihr krankes Kind zu ermöglichen. Katharina war somit unter ständiger Beobachtung. Wie also fasten? „Ich habe ständig gelogen. Mein Essen für die Schule landete im Schließfach. Und zuhause habe ich extrem langsam gegessen. Für einen Teller Nudeln brauchte ich rund eineinhalb Stunden", berichtet sie.

In dieser Zeit sei sie zu schwach gewesen für Sport. Daher habe sie Situationen des Kochens und Backens, die zur Vorweihnachtszeit Gang und Gäbe sind, zum Verbrennen von Kalorien genutzt. „Erstens war es gut, weil ich genau wusste, wie viele Kalorien mein Essen hat und was drin ist. Und zweitens verbrennt Kochen einige Kalorien, das wissen nur die wenigsten", erklärt Katharina. Zu dem strikten Vorbereitungsprogramm gehörte aber noch mehr: „Ich habe auf Salz verzichtet, Sahne mit Wasser verdünnt und keine Soßen mehr gegessen."

Der härteste Kampf waren die Festtage selbst

Die harten Vorbereitungen haben letztlich aber nur dazu geführt, dass der eigentliche Kampf an den Festtagen noch schlimmer wurde. „Ich war noch dünner als vorher. Das hat mir damals so gut gefallen, dass die Angst vor dem Zunehmen immer größer wurde", berichtet Katharina. „Ich habe mir nachts gewünscht, dass ich morgens in der Klinik aufwache. Sonst wollte ich nie hin, aber das wäre der einzig vertretbare Grund gewesen, nicht mit ins Restaurant zu müssen", fährt die 19-Jährige fort. Katharina erklärt, dass sie vor jedem Kaffeetrinken und jedem Mittag- und Abendessen stundenlang panisch mit ihrer Familie diskutiert habe. „Ich habe geschrien, geweint und meiner Familie schlimme Dinge an den Kopf geworfen. Ich fühlte mich in eine Ecke gedrängt und wusste nicht, wie ich der Situation entfliehen kann", erzählt sie.

Rückblickend war frittiertes Essen, was an Weihnachten nicht unüblich ist, ihr schlimmster Feind am Tisch. Während sich andere darüber freuten, kam das Verzehren von Kalorien und Fett für Katharina einem Gefühl von Kontrollverlust gleich. „Ich wusste ja nicht, wie die Köche im Restaurant das Essen zubereiten. Mein Kartenhaus, aus den Kalorien und Inhaltsstoffen, die ich täglich für meinen Körper festgelegt hatte, ist zusammengebrochen. Mit jedem einzelnen Biss ein Stückchen mehr", berichtet die 19-Jährige.

Nach vier Jahren Magersucht offiziell gesund

Heute weiß Katharina, dass diese Festtage auch für die Familie ein Gang durch die Hölle waren. Seit rund eineinhalb Jahren hat die junge Frau die schlimmste Zeit hinter sich. Sie gilt offiziell als gesund. Ihr Ausweg? Sie habe ihren Ehrgeiz nicht mehr zum Abnehmen genutzt, sondern für die Schule. „Ich habe irgendwann angefangen, mein extremes Verhalten auf das Lernen zu lenken. Ich habe gebüffelt ohne Ende, da habe ich über das Essen nicht mehr nachgedacht", erzählt Katharina. In dieser Zeit habe sie auch ihren jetzigen Freund kennengelernt.

„Ohne Psychologen und ohne Klinik habe ich dann einen Schalter umgelegt. Ich wollte gesund werden", erläutert sie. Das hat sie geschafft. Trotzdem ist sich die 19-Jährige sicher:„Die Krankheit wird mich immer begleiten. Auch wenn ich gesund bin und mich auf Weihnachten freue, weiß ich ganz genau, wie viele Kalorien ich wieder zu mir nehme", sagt Katharina. Sie ist sich sicher: "Ich denke, unbewusst werde ich mich immer bewusst ernähren."