Bielefeld. Noch sind die Schulen und Kitas trotz steigender Infektionszahlen in NRW geöffnet, doch da sich auch in diesen Einrichtungen positive Corona-Tests häufen, müssen Kinder immer häufiger zuhause bleiben. Die Folge: Eltern müssen den Familienalltag von jetzt auf gleich neu planen. In einer Zeit, in der alternative Betreuungsmöglichkeiten fehlen, Hobbys ausfallen und existenzielle Sorgen Ängste auslösen, ist das eine Belastung, die für immer mehr Familien zur Zerreißprobe wird. Doch wie können Eltern diese Herausforderungen meistern? Die Bielefelder Psychiaterin Solmaz Golsabahi-Broclawski gibt Tipps für die schwere Zeit.
„Das größte Problem der Pandemie für Eltern ist Überforderung", sagt Golsabahi-Broclawski. „Diese Überforderung wird jedoch nicht nur durch den Wegfall von Kinderbetreuung ausgelöst, sondern vor allem durch Ungewissheit und Ängste." Eltern haben nach Einschätzung der Psychiaterin auf die Fragen, wie sie die Krise gesundheitlich, finanziell und als Familie meistern, oft keine Antworten. „Und das ist eine Situation, die wir bislang alle nicht kannten und deshalb sehr belastend ist. Unabhängig davon, ob man Kinder hat oder nicht, denn niemand mag es, wenn die Lebensplanung aus den Fugen gerät."
Zusätzliche Last: die Sorge ums Kind
Auf Eltern lastet neben den Sorgen um die eigene Gesundheit oder die wirtschaftliche Existenz jedoch noch eine zusätzliche Last: die Sorge um ihr Kind oder ihre Kinder. „Mütter und Väter machen sich Gedanken um die physische, aber auch psychische Gesundheit ihrer Kinder, die durch das Coronavirus, aber auch durch die vielen Einschränkungen bedroht ist", sagt Golsabahi-Broclawski. Zudem fehle aktuell die Zeit zum Nachdenken, weil sich Informationen ständig überholen.
„Die Folge: Eltern haben keine Antworten mehr auf die Fragen ihrer Kinder." Das verunsichere beide Seiten nachhaltig. „Eltern haben Angst, ihren Kindern zu schaden und Kinder sind verängstigt, weil ihre Mütter und Väter als Leitfiguren keine Antworten haben. Das wirkt auf Kinder nicht selten bedrohlich, weil das stabile Umfeld wankt."
„Auf die Pandemie folgt die natürliche Abfolge von Frust, Wut und Angst"
Doch wie gehen Eltern damit um? „Wichtig ist, dass sie sich klar machen, dass die Sorgen und Ängste berechtigt sind und deshalb auch zugelassen werden sollten. Das bedeutet aber nicht, dass man in Panik verfallen sollte", sagt Golsabahi-Broclawski. „Als Reaktion auf die Pandemie oder bestimmte Einschränkungen, die uns besonders ärgern, folgt die natürliche Abfolge von Frust, Wut und Angst. Und darauf folgt Antrieb, den man unbedingt für neue Wege im Familienalltag nutzen sollte."
Die Pandemie führt laut Golsabahi-Broclawski allen Menschen vor Augen, wie fragil unsere Lebenskonstrukte sind. „Dabei brauchen wir für Sport nicht unbedingt ein Fitnessstudio, für ein tolles Abendessen kein Restaurant oder für einen Filmabend kein Kino." Trotz der vielen fehlenden Freizeitangebote können Eltern ihren Kindern viel ermöglichen und auch viele Einschränkungen ausgleichen, sagt die Bielefelderin. „Mit neuen Wegen können wir alle und insbesondere Eltern dafür sorgen, dass die kommenden, womöglich tristen Monate deutlich schneller vergehen, denn wie wir Zeit empfinden, hängt immer davon ab, was wir daraus machen."
"Eltern sollten ehrlich sein und Hoffnung vermitteln"
Im Umgang mit Kindern rät die Psychiaterin Eltern zu Ehrlichkeit. „Eltern sollten ihren Kindern deutlich machen, dass aktuell niemand weiß, wann die Pandemie endet, in welcher Form Weihnachten gefeiert werden kann oder wann sie wieder ausgiebig mit ihren Freunden spielen können."
Wichtig ist laut Golsabahi-Broclawski auch die Vermittlung von Hoffnung. „Eltern können ihren Kindern deutlich machen, dass die gesamte Welt an einem Ende der Pandemie arbeitet, dass Weihnachten nicht ausfällt, auch wenn nicht die gesamte Familie kommen kann, und, dass Treffen mit Freunden auch anders möglich sind."
Damit können Eltern Kindern in dieser schweren Zeit Sicherheit vermitteln. „Kinder kommen mit der Krise häufig besser zurecht als Erwachsen, solange ihre Eltern mit Problemen und Ungewissheit offen und ehrlich umgehen." Unehrlichkeit sorge für das Gegenteil. „Kinder haken mit bohrenden Fragen nach, wenn in den Aussagen ihrer Eltern etwas nicht stimmt.

