Die Bücher dieses Wertheraners stehen in der Bibliothek des US-Kongresses

Werther. Es gibt Berufe, bei denen hat jeder ein Bild davon, wie der Arbeitsalltag ungefähr aussehen könnte: Lehrerin, Müllmann, Elektrikerin oder auch Zeitungsredakteur. Und dann gibt es Berufe, da fragen auch nach Jahren noch die eigenen Eltern: "Was genau machst du eigentlich?" Was ein Historiker macht, glauben die meisten zu wissen. Mit einem Geschichtsstudium kann man Lehrerin werden, oder man bleibt an der Uni und forscht. Und dann gibt es noch den Weg, den Stefan Remeke eingeschlagen hat. "Agentur für historische Publizistik" lautet der Name des Unternehmens, mit dem der Wertheraner seit 2007 sein Geld verdient, und das sehr erfolgreich. Eines seiner jüngsten Projekte ist die Chronik der SPD. Natürlich nicht die gesamten vergangenen 160 Jahre. Die sind weitgehend schon historisch ausgewertet. Doch auf den Internetseiten der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung endet die Geschichte der SPD 1993. In einer Zeit, in der Björn Engholm Parteichef war. Und nun ist es Stefan Remeke, der den Auftrag hat, einige der Jahre danach abschnittsweise fortzuführen. 1995 bis 1998 sowie 2016 bis 2022 sind bereits fertig und warten auf ihre Veröffentlichung. Wie in einem Kalender soll man dann einmal auf den Seiten der Stiftung für jeden Tag nachlesen können, welche für die Partei prägenden Ereignisse dort stattfanden oder welche SPD-Akteure auf bundespolitischer Ebene aktiv waren. "Ich habe mich dabei auf die klassischen SPD-Themen konzentriert", erklärt Stefan Remeke. Er holt Menschen aus der zweiten Reihe ins Rampenlicht Denn die sind eigentlich Remekes Spezialgebiet: alles, was in historischer Hinsicht mit den Themen Arbeit und Sozialpolitik zusammenhängt. Ende der 1990er-Jahre, als Stefan Remeke noch an der Uni in Bielefeld und später in Bochum am Institut für soziale Bewegungen (ISB) und am Institut zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung (IGA) arbeitete, waren "Arbeitsthemen en Vogue", sagt er. Er promovierte über die Ära Willy Brandt und beschäftigte sich dann schwerpunktmäßig mit Gewerkschaftsgeschichte. Gerade in einer Zeit, in der sich die Geschichtswissenschaft veränderte. "Von den riesigen objektivierbaren Datenapparaten wollte man weg und in die Köpfe der Menschen rein. Denn da findet Geschichte statt", erklärt er. Biographien waren für ihn genau das richtige Mittel dazu. "Wissenschaftlich erarbeitet, aber populär aufgeschrieben", sagt er. Und so ist eines seiner großen Projekte, von dem er besonders begeistert erzählt, eine Biografie aus der Gewerkschaftsgeschichte. 2012 ist im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung sein Buch "Anders links sein. Auf den Spuren von Maria Weber und Gerd Muhr" erschienen. Die Namen sagen wohl erstmal den wenigsten etwas. Das weiß auch Stefan Remeke. Erfolg misst sich nicht mit Bestseller-Listen "Es sind Gewerkschafts-Funktionäre aus der zweiten Reihe", erklärt er. Maria Weber war von 1972 bis 1982, Muhr von 1969 bis 1990 stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Und während die Vorsitzenden gemeinsam mit den Politikern regelmäßig öffentlich in Erscheinung getreten sind, haben Weber und Muhr unter Ausschluss der Öffentlichkeit viel bewirkt. Die Biographie über die beiden, die zu Beginn der 2000er-Jahre verstorben sind, war ein großer Erfolg. Nicht auf den Bestseller-Listen. Das ist nicht die Währung, in der Wissenschaftspublizisten ihren Erfolg bemessen. Und auch nicht finanziell. "Solche Projekte müssen vorab wirtschaftlich abgesichert sein, denn Verkaufszahlen spielen bei uns keine Rolle", sagt Stefan Remeke. Für ihn zählt, ob sein Buch etwas bewirkt hat, ob und wie es in den entsprechenden Fachkreisen aufgenommen wird. Und auch in welchen Bibliotheken es zu finden ist. Im US-Kongress liest man seine Bücher Und da kann der Wertheraner Histroriker mit einer beachtlichen Liste aufwarten. Von der Bibliothek der Freien Universität Berlin über wichtige Bibliotheken in Slowenien, der Schweiz, den Niederlanden, Kanada und Frankreich bis zu der Universitätsbibliothek im englischen Cambridge: Überall greifen Wissenschaftler und Studenten auf sein Werk zurück. Besonders verbreitet ist es in den USA. Die berühmten Universitäten von Harvard, Princeton und Stanford sind neben vielen anderen US-Unis in der Liste zu finden. Und selbst der amerikanische Kongress in Washington D.C. hält das Buch in seiner Library of Congress bereit. Die Arbeit hat sich also offensichtlich gelohnt. Drei bis fünf Jahre steckt Stefan Remeke in jedes seiner großen Projekte. "Unter dem geht es nicht", sagt er. Für die Biographien hat er viele Zeitzeugen-Interviews geführt, um eine erste Orientierung zu bekommen, welche Themen für Weber und Muhr wichtig waren, und sich dann durch kilometerlange Aktenregale gearbeitet. Damals wurde sich noch per Brief gestritten "Es ist ja alles aufbewahrt, jeder Brief, jedes Schritstück", erklärt er und hatte richtig Freude an den Streitereien, die sich Maria Weber mit den für ihre Polterigkeit bekannten CSU-Größen Franz-Josef Strauß und Edmund Stoiber per Post geliefert hat. "Das sind Sternstunden der Archivarbeit", sagt Stefan Remeke. Davon gibt es nicht viele. Häufig sei das Quellenstudium einfach nur Arbeit und auch Quälerei. Graue Quellen nennt man die Dokumente wie Satzungen, Protokolle, Schriftwechsel oder Geschäftsberichte, die ausschließlich in Archiven lagern. Doch auch für einen Historiker gibt es ab und zu Aufgaben abseits des Schreibtischs. Seit 2018 ist Stefan Remeke für die RAG (ehemals Ruhrkohle-AG) als Projektentwickler zuständig für den Aufbau eines Zeitzeugen-Archivs "Menschen im Bergbau". Dafür ist er einige Monate quer durch Deutschland gefahren - mit einem ganz handfesten Auftrag: "Damit die Bergbau-Kultur nicht verloren geht."

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