Raus der Komfortzone: Verbale Keilerei im Wahlkampf um die Jüngsten

Erstmals treffen die vier Versmolder Bürgermeisterkandidaten bei einem Schlagabtausch der Argumente aufeinander. Die Vorzeichen sind besonders, denn vor ihnen sitzen etwa 60 Abiturienten des CJD-Gymnasiums. Und die wollen Antworten auf Zukunftsfragen.

Moderator Tristan Lippold (von links) hat die Kandidaten zur Meinungsbekundung per Karte aufgefordert. Und beim ÖPNV sind sich Michael Meyer-Hermann, Ralf Zurmühlen, Joachim Klack und Knud Schmidt einig: Versmold ist hier noch zu schwach aufgestellt. | © Marc Uthmann

Marc Uthmann
29.08.2020 | 29.08.2020, 18:00

Versmold. In ihren Sozialwissenschaftskursen hatten die Abiturienten unter der Regie des Koordinators für politische Bildung, Markus Kuhlmann, die Veranstaltung vorbereitet. Und die jungen Frauen und Männer waren darauf aus, die Bürgermeisterkandidaten aus dem üblichen Phrasentrott zu locken. So mussten sie diese Sätze vervollständigen, zu Aussagen per Farbkarte abstimmen oder Thesen formulieren, die sie möglichst weit von den Konkurrenten abheben. Schülermoderator Tristan Lippold stellte immer wieder neue Aufgaben und bildete mit Martin Bohle ein gut vorbereitetes Duo.

Kurze Keilerei

Ein Mal kam Schärfe in die Debatte, inhaltlich fundiert war das Scharmützel zwischen dem parteilosen Ralf Zurmühlen und Michael Meyer-Hermann (CDU) indes nicht. Zurmühlen, der sich für diesen Vormittag offenbar Attacke auf die Fahnen geschrieben hatte, ging den Bürgermeister mit Blick auf den Stadtring scharf an: „Sie lügen immer", behauptete er einfach mal und setzte nach: „Und Sie reden wie ein Studierter." Worauf Meyer-Hermann trocken konterte: „Das bin ich ja auch." Das Gelächter der Schüler hatte er damit auf seiner Seite.

Witzige Szene

Die Kandidaten sollten Aussagen formulieren, mit denen sie sich weit von den Wettbewerbern distanzieren – und sich dann auf einer zwischen den Polen Grün und Rot markierten Skala aufstellen. Michael Meyer-Hermann warf „Der amtierende Bürgermeister macht gute Arbeit" in den Raum und spurtete sogleich zu Grün, was ihm wieder einige Lacher einbrachte. Die parteilosen Joachim Klack und Knud Schmidt stellten sich in der Mitte auf, Ralf Zurmühlen stur auf Rot.

Herzensthemen

Joachim Klack blieb sich treu: „Natur- und Klimaschutz sind mir am wichtigsten. Politik ist schwerfällig, es braucht frischen Wind. Meine Kandidatur ist ein Brief an die Enkelgeneration", erklärte der Landwirt, der politisch den Grünen nahe steht. „Im Interkommunalen Gewerbegebiet zerstören wir gerade unsere Lebensgrundlagen. Wir müssen jetzt anfangen, etwas zu ändern." Michael Meyer-Hermann hob die Digitalisierung hervor, die alle Lebensbereiche betreffe: „Da gibt es eine rasante Entwicklung, an der wir dranbleiben müssen." Für CJD-Einrichtungsleiter Knud Schmidt steht die Attraktivität von Versmold als Lebensort im Vordergrund: „Um das zu erreichen, brauchen wir mehr Bürgerdialog." Ralf Zurmühlen gab sich grundsätzlich: „Wir sind nur Gast auf diesem Planeten – und dürfen ihn nicht vernichten."

Streitpunkte

Ralf Zurmühlen warf Michael Meyer-Hermann immer wieder die hohe Verschuldung der Stadt vor und kündigte für den Fall seiner Wahl einen Sparkurs an. Aber die anderen Herausforderer wollten das nicht zum Thema machen. Joachim Klack sah Versäumnisse bei der Digitalisierung: „Wir haben das hier verschlafen. Vectoring ist nicht zukunftsfähig. Wir brauchen Glasfaser bis in jedes Haus." Knud Schmidt betonte: „Wir müssen hier mehr sozialen Wohnungsbau schaffen." Der Bürgermeister wollte diese Kritik natürlich nicht so stehen lassen und verwies vor allem beim Klimaschutz auf die Projekte, welche die Stadt in den vergangenen Jahren umgesetzt habe.

Politische Fesseln

Um die Frage, ob ein Verwaltungschef besser parteilos sein sollte, entspann sich eine Debatte. „Bei einem Bürgermeister geht es um Zutrauen und Vertrauen", betonte Knud Schmidt, der parteilos antritt, aber von der SPD unterstützt wird. „Da ist es gut, wenn er unabhängig ist und nicht an Beschlüsse auf Parteiebene gebunden." Michael Meyer-Hermann sah es anders: „Ich bin Mitglied der CDU, und das mit Stolz. Aber das Parteibuch ist kommunalpolitisch nicht so relevant."

Enttäuschte Jugend

Ein ironisches Schüler-Statement, das Martin Bohle vorlas, gab den Kandidaten dann zu denken: „Wir sollten hier eine Idylle für Senioren schaffen. Etwas für Jugendliche zu tun, ist hoffnungslos." Knud Schmidt schlussfolgerte daraufhin: „Wir brauchen hier eine echte Jugendvertretung, wo man schon jünger als 16 dabei sein kann." Bürgermeister und Stadtrat einfach machen zu lassen, die dann womöglich an den Bedürfnissen der Jugend vorbeiplanten, sei der falsche Weg. Michael Meyer-Hermann wollte der Schülerkritik etwas widersprechen: „Ich verweise auf das Soccerfeld, die Skateranlage und das Umfeld des JuZ, das wir neu gestaltet haben." Joachim Klack forderte mehr Dialog: „Es hat keinen Sinn, wenn wir euch einfach nur etwas hinstellen."

Alles in einer Minute

In einer Minute sollten die Kandidaten abschließend auf den Punkt bringen, was ihnen wichtig ist. „Ich plädiere dafür, dass wir in Versmold ganz stark auf Windenergie setzen, auch wenn ich weiß, dass das schwierig ist", sagte Joachim Klack, der zudem vorschlug, die Wasserstoffproduktion als umweltfreundliche Energiequelle auch lokal voranzutreiben. „Wir hatten drei trockene Jahre, es braucht Lösungen." Ralf Zurmühlen versprach, sich um Jugend, alte Menschen und Integration gleichermaßen zu kümmern. Michael Meyer-Hermann brachte sich mit seinen 37 Jahren als Bindeglied zwischen den Generationen ins Spiel: „Ich möchte die Zukunftsthemen in Versmold mit euch angehen." Knud Schmidt plädierte für den kritischen Blick: „Michael Meyer-Hermann verweist darauf, was er alles erreicht hat. Beurteilen müssen das andere. Aber es gibt hier Baustellen – wir sollten die Stadt lebendiger gestalten."

Kommentar

Einer agiert nicht auf Augenhöhe

Es war ein aufschlussreicher Vormittag in der Sparkassen-Arena. Denn die Bürgermeister-Kandidaten wurden zumindest ein wenig aus ihrer Komfortzone gerissen. Zum einen war es der richtige Schachzug der Schüler, das Quartett mit ungewöhnlichen Frageformen an ellenlangen Wahlkampf-Plattitüden zu hindern. Zum anderen mussten sich die Aspiranten direkt vor ihren jüngsten Wählern behaupten – und den Blick weit in die Zukunft richten.
Michael Meyer-Hermann setzte voll auf die Karte Verlässlichkeit: Er verwies auf die vergangenen sechs Jahre unter seiner Regie, betonte Erfolge und seine Kompetenzen. Dazu der ein oder andere witzige Einschub und der Hinweis auf die Bedeutung der Digitalisierung – fertig war sein Konzept für die Jugend.
Joachim Klack versuchte sich da eher als philosophischer Visionär: Wasserstoff und Windkraft für die Rettung des Planeten lautet sein Rezept. Ansonsten hätte er gerne schon Glasfaserkabel in jedem Haus. Richtige Hinweise – doch als Bürgermeister mit praxistauglicher Strategie empfahl sich Klack auch diesmal nicht wirklich.
Knud Schmidt blieb seinem Fahrplan hingegen treu. Mehr Bürgerbeteiligung lautete sein Versprechen, mit dem er sich vom Amtsinhaber absetzen wollte. Dass „MMH" sich seiner Sache sehr sicher zu sein scheint und immer wieder auf seine Bilanz verweist, will Schmidt auch künftig als Ansatz zur Attacke nutzen. Nach dem Motto: Es ist eben doch nicht alles Gold, was glänzt. 
Ralf Zurmühlen hat in dieser Diskussion aus seiner Sicht leider nur eines bewiesen – dass er abgesehen von Emotionen inhaltlich nicht viel für das Amt zu bieten hat. Das haben auch die Schüler registriert.

Von Marc Uthmann