
Versmold-Hesselteich. Das Leben in diesem Dorf könnte so schön sein. Idyllische Landschaften, stolze Höfe, großer Zusammenhalt, engagierte Bürger – Hesselteich hat viel zu bieten. Was nicht umsonst Jahr für Jahr beim Wettbewerb »Unser Dorf hat Zukunft« von der Jury ausführlich gelobt wird. Doch sowohl das Lob als auch der Slogan dürften in den Ohren vieler Hesselteicher mittlerweile wie Hohn klingen. Denn sie fühlen sich gleich dreifach abgehängt.
Anschlüsse so begehrt wie Dauerkarten beim BVB
Zu Besuch bei Pirjo Schack und Matthias Hoffmeier. Die beiden wollen auf ihrem Biohof vier Wohnungen bauen. Noch so ein modernes Projekt, das Hesselteich auf dem Weg in die Zukunft des ländlichen Lebens gut zu Gesicht stehen wird. Das Paar steht jetzt allerdings mitten auf einer Baustelle, auch ein paar Nachbarn und Leidensgenossen sind vorbeigekommen – denn sie alle eint derselbe Ärger.

„Neben unserer wird es hier noch drei weitere Wohnungen geben, also haben wir drei zusätzliche Anschlüsse bei der Telekom beantragt", erzählt Pirjo Schack. Grundversorgung mit Telefon und Internet – das klingt nach einer selbstverständlichen Voraussetzung für den Umzug in ein neues Zuhause. Eine der Bewohnerinnen wird Pirjo Schacks Mutter sein. Im März ging der Antrag in ihrem Namen zur Telekom. „Bislang hat sie noch nicht einmal eine Antwort erhalten", sagt Pirjo Schack.
Das ist bei Melanie und Wolfgang Märländer anders. Auch sie wollten einen zweiten Telefonanschluss – immerhin führen sie von Hesselteich aus die Vertriebsniederlassung eines spanischen Unternehmens. „Zur Antwort haben wir bekommen, dass derzeit keine Ports frei seien und wir darum keinen weiteren Anschluss bekommen könnten", erzählt Melanie Märländer. Eine Erfahrung, die seither auch weitere Hesselteicher gemacht haben. Was dazu führt, dass Telefonanschlüsse in Hesselteich mittlerweile so knapp und begehrt sein dürften wie Dauerkarten bei Borussia Dortmund – freiwerdend nur beim Ableben bisheriger Inhaber.
Das klingt im Zeitalter immer modernerer Kommunikation schlicht absurd – Matthias Hoffmeier bringt es auf den Punkt: „Potenzielle Mieter fragen heute als Erstes nach der Qualität der Internetverbindung. Wir können ihnen derzeit nicht mal Telefon versprechen."
Dabei wäre es gerade für die Zukunft ländlicher Gebiete so wichtig, dass sie – wenn schon nicht in der Nähe von Metropolen liegend – zumindest nicht von der Kommunikation abgeschnitten wären. Doch genau das droht Hesselteich derzeit. Besonders dramatisch ist die Lage von Juliane und Manfred Schütte. Weil sie Probleme mit der Telekom bei der Umstellung von analoger auf digitale Telefonie hatten und die neue Lösung endlich auch schnelleres Internet versprach, wechselten sie zum Anbieter Servario . Der bietet seit zwei Jahren Internet über Funk an.
Doch konnte das Unternehmen bislang weder stabile Bedingungen bieten noch die versprochene Surfgeschwindigkeit sicherstellen – meist nur neun Mbit im Download anstelle von 33.
Vor allem aber droht Servario die Insolvenz (das HK berichtete). Bis Ende August ist der Betrieb gesichert, die Suche nach einem Investor geht weiter. „Die Stadt hat Servario nahegelegt, den Service zu verbessern", sagt Melanie Märländer mit einem müden Lächeln. Denn die Hesselteicher kommen mittlerweile kaum noch in Kontakt zum Krisenunternehmen.
Sollte sich also kein Investor finden – was beim bislang mangelnden Kundeninteresse durchaus droht –, stünden die Schüttes ohne Telefon und Internet da. Und an neue Anschlüsse der Telekom ist ja in Hesselteich bekanntlich schwer zu kommen ...
„Eigentlich müssten wir zuerst vom Ausbau profitieren"
Pirjo Schack und Matthias Hoffmeier haben in ihrer Beziehung zum Bonner Giganten schon Teilerfolge erzielt, indem sie die Bundesnetzagentur eingeschaltet und so Druck gemacht haben. Doch unter dem Strich steht ein dreifach gebeuteltes Dorf: Das Telefonnetz am Anschlag, das Internet kurz vor dem Rückfall in eine Zeit mit maximalen Geschwindigkeiten von zwei Mbit im Download – und zu guter Letzt noch ein äußerst schwaches Handynetz, bei dem eine gute Verbindung Glückssache ist.
Matthias Hoffmeier klingt ein wenig verbittert, als er sagt: „Kommunale Unternehmen wie die Sparkasse machen ihre Filialen dicht und empfehlen uns Onlinebanking – aber in Hesselteich geht das gar nicht." Die Menschen im Dorf warten jetzt auf den Ausbau des Glasfasernetzes. Der soll im Sommer beginnen. „Eigentlich müssten wir zuerst vom Ausbau profitieren, denn wir sind doch am meisten unterversorgt", sagt PirjoSchack, lacht und schickt hinterher: „Das fordern wir jetzt."
Das sagt die Telekom
„Kunden, die einen Telefonanschluss brauchen, bekommen ihn", betont Telekom-Sprecher Andre Hofmann. „Wir sorgen für Nachschub und erweitern dafür auch das Netz, wenn es nötig ist. Allerdings nur, wenn es um unsere Kunden geht." Das könne mitunter aber schon einmal „sechs bis acht Wochen" dauern. „Korrekt ist, das wir in Hesselteich keinen Internetzugang zur Verfügung stellen können", so Hofmann weiter. „Telefon ist möglich, Internet nicht."
Das vergebliche Warten auf einen Anschluss beklagen Verbraucherschützer schon seit Jahren als besonderes Ärgernis – selten funktionierten die Prozesse reibungslos. Manchmal vergingen Monate, bis alle Zuständigkeiten geklärt, alle Formalien abgearbeitet seien und der Anschluss technisch hergestellt werden könne.
Gerade auf dem Land sei der letzte Schritt aber oftmals schwierig, denn schnell seien die Kapazitätsgrenzen erreicht. Dabei ist die Telekom grundsätzlich verpflichtet, einen Anschluss zu der Wohnung und zu jedem Haus für jeden Kunden zu legen. Diese Vorschrift ist Inhalt des so genannten Universaldienstes, einer Form der Grundversorgung. Auch das Telekommunikationsgesetz macht den Anbietern konkrete Vorschriften: Bei einem Umzug oder Anbieterwechsel dürfen Telefon und Internet höchstens einen Tag unterbrochen sein.
An der mangelhaften Umsetzung ändern diese gesetzlichen Vorschriften allerdings nichts. Eine Meldung bei der Bundesnetzagentur kann helfen, gerade dann, wenn es in einer Region mehrere Fälle gibt.
Kommentar: Landflucht statt Landlust
In Holland verlegen sie Glasfaserkabel kurz unter der Grasnarbe – das wäre mit deutschen Tiefbauämtern nie zu machen. In den baltischen Staaten gibt es das beste Netz Europas – weil sie vorher schlechtere Infrastruktur hatten als wir und dann grundlegend neu aufgebaut haben. Und hierzulande dauert alles so lange, weil es eben seine Ordnung haben muss und marktwirtschaftliche Prinzipien nicht verletzt werden dürfen.
Gründe über Gründe, alle sicherlich sehr gut – nur in Hesselteich oder anderen abgeklemmten deutschen Dörfern will die keiner hören. Denn einerseits ermuntern Politiker und Verwaltungen die Menschen, auf dem Land zu leben und nicht von dort zu fliehen. Und andererseits liefern sie ihnen nicht einen einzigen Grund dafür: Wenn ich schon eine halbe Stunde Auto fahren muss, um ins Kino zu gehen oder ins Stadion, dann will ich zu Hause zumindest an die moderne Kommunikation angeschlossen sein. Will daheim arbeiten können, soziale Kontakte pflegen. Ohne schnelles Netz ist das nicht drin. Als Argument für das Leben auf dem Land blieben dann der schöne Ausblick und die gute Luft. Das ist bitter wenig.